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Beitrag vom 08.02.2011
Irena Brezna - Schuppenhaut
Kristina Tencic
Meisterlich verknüpft Irena Brezna zwei Erzählstränge zu einem metaphernreichen wie auch kafkaesken Liebesroman, der sich um die Hautkrankheit Psoriasis (Schuppenflechte) spinnt.
"Die Psoriasis spricht nicht mit Worten, sie spricht mit Schuppen."
Sie ist eine Ehefrau, eine Gefährtin, eine Geliebte, das Erbe, das Kind, aber auch die Verbrecherin, eine Schuldige. Die Rede ist von der Psoriasis, besser bekannt unter der Bezeichnung Schuppenflechte. Als weitgehend unerklärliche und unkontrollierbare Hautkrankheit, die schubartig kommt und geht und nur ihre Rötungen und Krusten hinterlässt, wird sie in Irena Breznas Roman zur ungewöhnlichen Protagonistin.
In einer Hybridform zwischen Subjektivität und Objektivität, wissenschaftlichem Herangehen und liebender Teilnahme nähert sich die Autorin sehr feinfühlig ihren Romanfiguren, die sie, entlang der Einteilung der Betroffenen selbst, in PsoriatikerInnen und Nicht-PsoriatikerInnen teilt. Dazwischen befindet sich eine Psychologin, die mittels einer Studie das Krankheitsbild erforschen möchte und sich dabei in einen Psoriatiker verliebt. Die zwei Handlungsstränge der Interviewführung und der Erinnerung, eher wohl Abrechnung mit dem Geliebten, verlaufen parallel und sind doch wunderbar miteinander verwoben. Differenziert durch gefühlskalte wissenschaftliche Begriffe und gleichzeitig mit in der ungewöhnlichen Vergangenheitsform Präteritum gehaltenen Passagen, schmiegt sich die Erzählerin in leidenschaftlicher Liebe an ihren schuppigen Partner.
Dieser sprachliche Schliff ist wiederum ein Ausdrucksmittel für die Andersartigkeit und gewisse Rudimentarität, die sie den hautbefallenen PatientInnen zuschreibt, welche, ähnlich der Integrität nationaler Grenzen, sich in ihrer Lebenswelt einen gemeinsamen, ethnisch anmutenden Raum eingerichtet haben. Und doch triumphiert die Einsamkeit über sie und die Solidarität geht nur so weit, dem/der anderen nicht mit unangenehmen Blicken und Fragen zu begegnen. Denn in einer Welt, in der Sauberkeit, Disziplin und Kontrolle dominieren, auch über das uns ureigene Medium der Kommunikation mit dem Außen und dem Innen, der Haut, passt eine solch mystische Krankheit nicht ins Bild.
"Die Maßlosen trifft ein frühes Ende und du trugst das apokalyptische Zeichen dafür in Form deines Flechtenkleides. Ich hatte es im Grunde gewusst: Unsere Liebe lebte von der Intensität der kurz bemessenen Zeit wie zwischen zwei Schüben. Du sagtest oft: Die ewigen Götter lieben nicht."
Auch die AVIVA-Berlin-Redakteurin Claire Horst hat sich in ihrem 2006 erschienen Werk "Der weibliche Raum in der Migrationsliteratur" mit Irena Breznas Roman auseinandergesetzt; Damals noch in der Erstausgabe von 1989 vorliegend, die jedoch von der Autorin gründlich überarbeitet wurde.
Claire Horst sieht in dem Roman einen Beleg dafür, dass der Körper der Ort ist, "an dem Strukturmerkmale wie Geschlecht, Ethnie usw. festgemacht werden. An ihm werden die Zuschreibungen deutlich, die Frauen ebenso wie Migranten erfahren. Zum einen ist er daher das Medium der Zuschreibung und Klassifizierung, zum anderen ist er auch ein Instrument, das eingesetzt werden kann, um den Raum zu erkunden." Indem Brezna jedoch einen Mann auserkoren hat, um ihn als fremdes Objekt zu beschreiben, setzt sie stereotype Zuordnungen aus und gibt eine neue Perspektive auf die hybride Form der weiblichen Migrationsliteratur, die sich, laut Horst, nur selten so strukturiert und doch transzendierend in zwei Räume einteilen lässt, wie bei Brezna.
AVIVA-Tipp: Intensiv ist das Spiel zwischen Anziehung und Abstoßung, Einssein und Anderssein in der Abrechnungs- und doch feinfühligen Liebesschrift Breznas. So, wie die Schuppen ihrer Romanfiguren abfallen, versucht sich die Autorin nach dem Zwiebelprinzip dem Phänomen der Psoriasis zu nähern. Die Krankheit bleibt eine Hülle ohne Kern, die sich individuell mit Erfahrungen und Emotionen füllt und ihr die Unergründlichkeit verleiht, die Brezna spielerisch und kafkaesk in Worten wiederzugeben vermag. So gelingt es ihr, die zwei so gegensätzlichen Welten in der Liebe zu vereinen.
Zur Autorin: Irena Brezna ist Schriftstellerin und Publizistin, ehemalige Kriegsjournalistin in Tschetschenien, Slawistin und interkulturelle Vermittlerin. Als studierte Psychologin hat die Autorin selbst bereits an der Erforschung der Hautkrankheit gearbeitet. Die Berichte der Betroffenen ließ sie in ihr 1989 erstmals erschienenes Buch "Die Schuppenhaut" einfließen, welches für die Neuausgabe vollständig überarbeitet wurde. 2008 erschien ihr Roman "Die beste aller Welten". Sie zählt zu den bedeutendsten Publizistinnen in Bezug auf Mittel- und Osteuropa, was ihr durch zahlreiche Auszeichnungen, u.a. mit dem Emma-Journalistinnen-Preis und dem Theoror-Wolff-Preis bestätigt wurde.
1950 in Bratislava in der Slowakei geboren, lebt sie seit 1968 in der Schweiz.
Schuppenhaut
Irena Brezna
Edition Ebersbach, erschienen Juli 2010
Gebunden, 120 Seiten
ISBN: 978-3-86915-025-3
16,80 Euro