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Beitrag vom 16.04.2011
Antonia Meiners - Wir haben wieder aufgebaut. Frauen der Stunde null erzählen
Sonja Baude
Trümmerfrauen aus Deutschland und Österreich sprechen über ihr Leben nach dem Krieg. Die Generation, die bald nur noch in der Erinnerung fortleben wird, berichtet von Entbehrungen und Hoffnungen.
"Wir haben fast alles verloren: Staat, Wirtschaft, die gesicherten Bedingungen unseres physischen Daseins". Dies schrieb der Heidelberger Philosoph Karl Jaspers im Geleitwort der 1945 gegründeten Zeitschrift "Die Wandlung", die sich die geistige Erneuerung der deutschen BürgerInnen zum Ziel setzte. Das verbrecherische Agieren Nazi-Deutschlands rief die Gegenwehr der Alliierten hervor, so dass Deutschland am Ende des Krieges nicht nur geistig, sondern auch materiell einem Schutthaufen glich. Den "von Hitlerdeutschland entfesselte[n] Terror[, der...] über ganz Europa Tod und Zerstörung gebracht" hat, konstatiert auch Antonia Meiners, Herausgeberin des Buches "Wir haben wieder aufgebaut" in ihrer Einleitung. Thema des Buches sind aber nicht die Voraussetzungen dieser Zerstörung, vielmehr richtet sich der Blick auf die Frauen der Stunde Null, die nach der Zerstörung an der Erneuerung und am Wiederaufbau entscheidend mitwirkten. Die sogenannten "Trümmerfrauen" sind ein konstitutioneller Baustein der deutschen Nachkriegsgeschichte und steineklopfende Frauen gehören zu den geläufigen kollektiven Erinnerungsbildern. Welche Lebensgeschichten sich aber hinter diesen Bildern verbergen, ist weit weniger bekannt. Im Fokus des Buches steht das Interesse, diese Frauen selbst mit ihren Geschichten zu Wort kommen zu lassen und ihre Erinnerungen als "Moment der eigenen geschichtlichen Vergewisserung" zu begreifen.
Meiners Interesse ist eng gebunden an ihre eigene Biographie. Sie widmet der Generation ihrer Mutter das vorliegende Buch, einer Generation, deren Leben vielfach durch Flucht und Vertreibung, den Verlust geliebter Menschen und Entbehrungen geprägt waren, die aber dennoch mit unermüdlicher Kraft sich der Aufgabe stellten, ums Überleben und auch für ein besseres Leben zu kämpfen, auch wenn sie die "historische Chance, langfristig mehr Verantwortung zu übernehmen, nicht wahrgenommen haben". Zwanzig Zeitzeuginnen kommen zu Wort, darunter so prominente wie die ehemalige FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher, aber auch ganz unbekannte Frauen berichten aus ihren Leben. Diesen Frauen ein Denkmal setzen zu wollen, ist sicherlich ein Verdienst des vorliegenden Buches.
Unterteilt ist das Buch in fünf Kapitel: "Das Land versinkt im Chaos", "Kampf ums tägliche Brot", "Überleben in Ruinen", "Hoffnung auf den Neubeginn", "Neue Rollen, alte Muster". Das jeweilige Kapitel wird mit einem zusammenfassenden Text eingeleitet. Diese Texte sind vermutlich von der Herausgeberin verfasst, jedoch nicht eindeutig ausgewiesen. Daneben gibt es viele Bilder und eine Reihe von beschreibenden Textfragmenten, deren AutorInnenschaft eher mühsam im Anhang zu eruieren ist. Darin liegt eine Schwäche der vorliegenden Publikation, die weit davon entfernt ist, eine chronologisch geordnete Geschichte zu erzählen oder aber auch historische Zusammenhänge dezidiert zu analysieren. Vielmehr sehen wir uns einer Melange aus privaten und veröffentlichten Bildern und Beschreibungen gegenüber, die eine Atmosphäre gefühliger Anteilnahme evoziert. Die Abbildung von rohen Kartoffeln, als Metapher für die schlechte Ernährungssituation, wird da zum Beispiel neben eine Fotografie gesetzt, auf der wir Kinder bei der Schulspeisung sehen. Auch Rezepte der simplen Küche, mit dem Ziel, aus nichts etwas zu machen, unterstreichen die Situation der Mangelzeit.
Gänzlich ausgespart wird in diesem Buch der Holocaust. Auch Hinweise auf den unmittelbaren Umgang mit den Gräueltaten des deutschen Terrorregimes während und im Anschluss des Krieges lassen sich nicht finden, weder in den Erinnerungsberichten noch in den übrigen Textpassagen. An einer einzigen Stelle heißt es bei einer Zeitzeugin: "dass die Juden so verfolgt wurden, das wusste ich erst sehr spät." Diese Marginalisierung der Shoa hätte immerhin von Seiten der Herausgeberinnenschaft thematisiert und kommentiert werden müssen. Geschichte nimmt ihren Anfang nie in einer Stunde Null, sondern ist die fortführende Entwicklung der Menschen und es wäre naiv, den problematischen Begriff der Stunde Null wörtlich verstehen zu wollen und damit zu rechtfertigen, dass kein Blick zurückgeworfen wurde.
In der deutschen Wissenschaftslandschaft prägte sich in den 1980er Jahren der Zweig der Alltagsgeschichte aus. Ein Versuch, das Leben und Handeln derer zu beleuchten und verstehbar zu machen, deren Existenz nicht vornehmlich als geschichtsmächtig gegolten hatte. Dies ist aber nur dann sinnvoll, wenn damit die Frage einhergeht, in welchem Verhältnis die Einzelnen zu den jeweiligen Strukturen stehen. Und diese Fragestellung ihrerseits bedarf als Grundlage einer sehr genauen Analyse der politischen und historischen Umstände: Erst dann kann der Blick auf die Einzelnen ein weitergreifendes Verstehen ermöglichen.
Es erscheint daher als ein zweifelhaftes Unternehmen, sich darauf verlassen zu wollen, durch die Zusammenstellung verschiedenster Quellen, deren Einschlägigkeit für die LeserInnen nicht ersichtlich begründet wird, ein kohärentes Geschichtsbild zu zeichnen. Und obwohl viele Alltagsaspekte des deutschen Nachkriegslebens Erwähnung finden, gelingt es der vorliegenden Publikation nicht, ein Desiderat der Alltagsgeschichte auszufüllen: vielmehr setzt das Buch auf einen Albumscharakter, dessen Bilder, nicht nur in ihrer grafischen Gestaltung, manchmal ein wenig schief zu hängen scheinen.
AVIVA-Fazit: "Wir haben wieder aufgebaut" versammelt nebst vielen Abbildungen zwanzig Zeitzeuginnenerzählungen der sogenannten Trümmerfrauen über das Leben der unmittelbaren deutschen Nachkriegszeit. Diese Frauen selbstredend zu Wort kommen zu lassen, ist ein Verdienst des Buches. Gleichzeitig vermittelt es zuweilen den Eindruck einer gewissen Willkür in der Auswahl seiner sonstigen Quellen und historischen Einordnung und läuft damit Gefahr, einer sentimentalen Lesart gegenüber einer historisch erhellenden den Vorzug zu geben.
Zur Autorin: Antonia Meiners in Bamberg geboren, in München eingeschult, aber groß geworden in Berlin. Sie studierte in Ostberlin Kulturwissenschaften und nach ihrem Wechsel nach Westberlin im Jahr 1977 Germanistik und Theaterwissenschaft. Sie arbeitet als freie Lektorin für Buchverlage und veröffentlicht Bücher zu historischen Themen. Sie ist die Herausgeberin des Buchs "Kluge Mädchen", erschienen 2006 im Elisabeth Sandmann Verlag und Autorin des Buchs "Kluge Geschäftsfrauen" (gemeinsam mit Claudia Lanfranconi), erschienen 2010 ebenfalls im Elisabeth Sandmann Verlag. (Quelle: Verlagsinformationen)
Antonia Meiners
Wir haben wieder aufgebaut. Frauen der Stunde null erzählen.
Elisabeth Sandmann Verlag, erschienen 11.03. 2011
160 Seiten, ca. 150 Abbildungen
ISBN 978-3-938045-54-1
24,95 Euro
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