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Beitrag vom 30.12.2010
Gabriele Wohmann - Wann kommt die Liebe
Sonja Baude
1958 debütierte Gabriele Wohmann mit dem Erzählungsband "Mit einem Messer". Seither gilt sie als Meisterin der Kurzgeschichte. In ihrem neuen Erzählungsband seziert die 78-jährige in 18 Geschichten..
... gewaltige Katastrophen des ganz normalen Alltags.
Kaum ein literarisches Genre, das Gabriele Wohmann nicht beherrscht: In den letzten fünfzig Jahren schrieb die 1932 geborene Autorin Hörspiele, Gedichte, Romane und vor allem Erzählungen. Die 18 neuen Geschichten sind allesamt schonungslose Bestandsaufnahmen zwischenmenschlicher Beziehungsmuster, zwischen Kindern und ihren Eltern, zwischen jungen und alten Ehepartnern.
"Ich mag nur noch Menschen, die Sorgen haben" so die lakonische Selbstwahrnehmung der Protagonistin der ersten Erzählung. Damit ist auch Gabriele Wohmanns Perspektive festgelegt. Ihr Blick fokussiert alltägliche Lebensformen, in denen ein scheinbar unaufgeregtes Nebeneinander tiefe Beschädigungen aller Beteiligten anrichtet
"Besuch der einfach so hereinplatzt, kann ich sowieso nicht ausstehen" lautet der erste Satz einer Geschichte und schon sind wir mitten drin in einer ihrer ungemütlichen Situationen. Die Leserinnen werden in fast allen Erzählungen in bürgerliche deutsche Wohnzimmer geführt, um dort am gedeckten Kaffeetisch dem ganz normalen Wahnsinn beizuwohnen. Im Detail bekanntlich steckt der Teufel und so verpasst es Wohmann nicht, in gewaltig schnellem Erzähltempo, fein säuberlich Beziehungskonstellationen und Charaktere ihrer Figuren zu skizzieren: Ungesagte Spannungen werden minutiös seziert, Eifersucht und Argwohn sind an der Tagesordnung. Dabei begegnet Wohmann ihren Figuren nie mit Sympathie, weder Männern noch Frauen. Stattdessen führt sie das "zivilisatorisch angepasste Leben" als langweilig und sinnleer vor und stellt die täglichen Zumutungen bloß, die ein solches Leben birgt.
"Sumpfzypressen", so der Titel einer Erzählung, entfaltet Blatt für Blatt beim ehelichen Salatessen die Abwesenheit von Liebe und gegenseitigem Verstehen. Während der Ehemann im angerichteten Grünzeug stochert und mäkelt, versucht sie ihm von ihrer Reportage über Sumpfzypressen, an der sie zurzeit arbeitet, zu erzählen. Aber "dass ihn ihr Bericht nicht übermäßig fesselte, ja nicht einmal mehr als knapp höflich hörte er zu, entging ihr." Sie selbst träumt sich in eine Abenteuerwelt, in der die Sumpfzypressen zu Sehnsuchtsorten werden. Sie bleiben unerreichbar, denn am Ende erfahren wir, wie "das Geheimnis des Sumpfzypressenwaldes hieß: Er wächst aus dem Wasser. Aus ziemlich tiefem Wasser. Kein Zutritt."
Der Titel "Wann kommt die Liebe" verzichtet auf ein Fragezeichen und konsequenterweise erhalten wir keine Antworten, außer der vielleicht, die uns die kürzeste Geschichte weist, dass das Ziel aller Lebensanstrengungen der Tod ist: "Wahrhaftig, so außergewöhnlich gern und und nach dem Zeitsystem pünktlich diese Ausschweifung Leben, wahrhaftig: der Tod."
AVIVA-Tipp: Mit ihren Kurzgeschichten entwirft Gabriele Wohmann ein Panoptikum ganz alltäglicher Seelenabgründe. Das tut sie in rasant kurzweiligem Erzähltempo, wobei ihre präzisen Analysen zwischenmenschlichen Zusammenlebens immer von einem höchst ironischen Unterton geprägt sind. Die moralische Werteskala ihrer Figuren ist dabei ganz unten angesiedelt und doch wirken sie alle aus dem echten Leben gegriffen, so dass uns zuweilen ganz unwohl zumute werden kann.
Zur Autorin: Gabriele Wohmann, 1932 in Darmstadt als Gabriele Guyot geboren, arbeitet seit 1956 als freie Schriftstellerin. In ihrer über fünfzigjährigen Schaffenszeit sind mehr als 80 Werke entstanden. Sie wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem 1971 mit dem Literaturpreis der Stadt Bremen, 1988 mit dem Hessischen Kulturpreis, 1997 mit dem Großen Bundesverdienstkreuz und 2003 mit der Silbernen Verdienstplakette der Stadt Darmstadt.
Gabriele Wohmann
Wann kommt die Liebe
Aufbau Verlag, erschienen September 2010
200 Seiten
ISBN 978-3-351-03310-1
19,95 Euro
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