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Beitrag vom 10.12.2010
Simone Frieling - Im Zimmer meines Lebens. Biografische Essays über Sylvia Plath, Gertrude Stein, Virginia Woolf, Marina Zwetajewa u.a.
Evelyn Gaida
Die Autorin wählt einen thematischen Mittelpunkt, der viel mehr beinhaltet, als vier Wände und einen Tisch: Den "Kampf um das eigene Zimmer, die Suche nach dem Platz zum Schreiben, dem Raum der ...
... Kreativität" von Schriftstellerinnen des späten 19. und des 20. Jahrhunderts. Frieling ist in ihren kurzen Essays Problemen auf der Spur, denen "alle schreibenden Frauen gleichermaßen unterworfen sind", zeigt eine Gratwanderung und Zerreißprobe auf, die Gesellschaft und Familie insbesondere für Frauen bereithalten. Hinzu kamen die Kriege und Umwälzungen einer Epoche der Extreme – viele Künstlerinnen gingen daran zugrunde.
Die Lebensumstände der aufgeführten Autorinnen sind dabei sehr verschieden: Die Leserin wandert von Virginia Woolfs "(fast) perfektem Haus" über Katherine Mansfields lebensfeindliches Unbehaustsein bis zu Elisabeth Langgässers "Damenzimmer". Dazwischen liegen sowohl Marina Zwetajewas und Else Lasker-Schülers gemarterte Existenzkämpfe, als auch Gertrudes Steins "legendäres Arbeitszimmer" und gehobener Empfangssalon für die obere Intellektuellenriege ihrer Zeit, voller Gemälde der Moderne, die heute Millionen wert sind.
Die Heftigkeit und Dramatik der Mehrheit dieser Schicksale sind schwer mit einer so kurzen Darstellungsform zu vereinbaren – Selbstmord reiht sich in schneller Abfolge an Selbstmord. Das hinterlässt zwangsläufig den Nachgeschmack einer schlaglichtartigen Betrachtung, die herausgerissene und schwer verdauliche Brocken auf den Teller häuft. Andererseits lässt die Versammlung dieser Porträts die Problematik der geschilderten Schreibsituationen aufklaffen wie einen Schnitt durch das Leben der Autorinnen. Frieling verfasst keine biografischen Kurz-Chroniken, sondern führt mitten in die "Lebenszimmer" hinein.
Zerrissenheit zieht sich durch das Buch wie das Leitmotiv eines Romans: Schreiben, so macht es überdeutlich, ist ein zermürbendes Unternehmen, das rücksichtslos an Körper und Seele sägt. Für Frauen ist es sehr oft mit unvereinbaren Lebensentwürfen verbunden. Zu den klassischen Herausforderungen der schriftstellerischen Arbeit – Ideenschübe, Nachtschichten, Ruhebedürfnis, Übermüdung, zerrüttete Nerven, Durststrecken – kamen für viele der porträtierten Autorinnen die Anforderungen der Rolle als Mutter und Ehefrau, die, etwa bei Sylvia Plath, Elisabeth Langgässer und Anne Sexton, zu Überforderung oder alternativ zu Verdrängung führten. Davor konnten selbst "Geld und ein eigenes Zimmer" nicht bewahren, die Virginia Woolf als grundlegende Voraussetzung für die schriftstellerische Tätigkeit von Frauen gefordert hatte.
Katherine Mansfield, Tochter großbürgerlicher Eltern, und Else Lasker-Schüler, Tochter eines Bankiers, Ehefrau eines Arztes und alleinerziehende Mutter, gaben ihre finanziell gesicherte Existenz in materiellem Wohlstand für ein Leben als freie Schriftstellerinnen auf. Mansfield starb "34-jährig in einem Kuhstall", Lasker-Schüler hauste zur Zeit der Veröffentlichung ihres ersten Lyrikbandes "Styx" (1902) hinter den Holzgittern eines ehemaligen Flaschenraums in einem Berliner Keller. "Und als ich gelegentlich in einem Kreise meinen Traum erzählte, der mich oftmals in der Nacht beschlich, sorgten die betroffenen Anwesenden für ein wirkliches Zimmer. Ich träumte, ich sei Gemüse – kam eine Ratte, eine große schwarze Ratte, beknabberte mich", berichtete die Dichterin.
Später übten politische und historische Erschütterungen einen gewaltsamen Einfluss auf den Lebensweg Lasker-Schülers und vieler anderer Autorinnen aus. Nach zahlreichen privaten Schicksalsschlägen, darunter der Tod ihres einzigen Sohnes Paul, musste sie vor dem nationalsozialistischen Terror allein und mittellos erst in die Schweiz, dann nach Palästina flüchten, wo sie in ärmlichsten Verhältnissen lebte. Trotzdem brachte die 70-Jährige im Exil noch die unglaubliche Energie auf, mit dem "Kraal" eine Verbindung von KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen, JournalistInnen, IngenieurInnen zu gründen, die unter ihrer Leitung regelmäßig Vorträge hielten. Durch den Reichtum ihrer Fantasie und ihre innig verwurzelte, unabhängige Glaubenskraft war die Künstlerin in der Lage, selbst Armut und Elend lange Zeit zu ertragen, ohne vollends daran zu verzweifeln. Umso verwunderlicher ist es, dass Frieling diese Fähigkeit in Lasker-Schülers Fall auf ein fantasierendes Münchhausen- und Till Eulenspiegel-Gebaren reduziert.
Der russischen Dichterin Marina Zwetajewa ließen die unfassbar zerstörerischen Realitäten des Zweiten Weltkrieges und Stalinistischer Verbrechen keinerlei Raum mehr für solche geistigen Freiheiten übrig: "Den Mann haben sie mir weggenommen, die Tochter haben sie mir weggenommen, alle gehen mir aus dem Weg. Ich verstehe nichts von dem, was hier vorgeht, und mich versteht niemand. Als ich noch (in Paris) war, hatte ich wenigstens in meinen Träumen eine Heimat. Jetzt bin ich hierhergekommen, und man hat mir meinen Traum weggenommen", klagte die zutiefst Zerrüttete einem Bekannten in Moskau. Zwetajewa beendete am 31. August 1941 ihr Leben. Heute gilt sie als bedeutendste russische Lyrikerin des 20. Jahrhunderts.
AVIVA-Tipp: "Kein Raum war ihr zu unwirtlich, als dass er ihre Kreativität hätte brechen können", schreibt Frieling über Marina Zwetajewa. Konfrontiert mit Krieg, Verlust, existenzieller Bedrohung, gesellschaftlicher Erwartungshaltung oder Verachtung, Überforderung, Angst und (Selbst-)Zweifeln ist das Schreiben auch Zuflucht, "Ort der Selbstvergewisserung und Selbstbestätigung, ja ein Hort des Glücks." Zwar bot der extrem zerbrechliche `Raum´, der das Schaffen von Schriftstellerinnen des 20.Jahrhunderts umgab, kaum Schutz vor inneren und äußeren Erschütterungen. Simone Frielings Schilderung dieser auf Leben oder Tod umkämpften Schreiborte bringt umso mehr die Macht der Kreativität und die geistige Kraft von Frauen zum Vorschein, die unter solchen Umständen Weltliteratur hervorbrachten. Es ist eine Sammlung von Autorinnenporträts, die man nicht vergisst, und die vor allem dringend dazu anstiften, Bücher der Porträtierten zu lesen.
Zur Autorin: Simone Frieling ist Malerin und Autorin. Sie hat zwei Romane, einen Erzählband und zahlreiche Anthologien veröffentlicht. 1998 hat sie den Martha-Saalfeld-Förderpreis erhalten. Simone Frieling, die in Wuppertal geboren ist, lebt nach Stationen in Zürich und München heute in Mainz. Weitere Infos und Kontakt: www.simonefrieling.de
Simone Frieling
Im Zimmer meines Lebens. Biografische Essays über Sylvia Plath, Gertrude Stein, Virginia Woolf, Marina Zwetajewa u.a.
edition ebersbach, erschienen am 15.09.2010
Halbleinen Hardcover, 144 Seiten
ISBN: 978-3-86915-027-7
15,80 Euro
Weitere Informationen finden Sie unter:
www.edition-ebersbach.de
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