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Beitrag vom 04.10.2010
Ladislaus Löb - Geschäfte mit dem Teufel
Stephen Tree
Held oder Verräter? Ein neues Buch über die Tragödie des Judenretters Rezsõ Kasztner. "Geschäfte mit dem Teufel" – ein Buch von Ladislaus Löb über die Unmöglichkeit, sich angesichts des absolut...
... Bösen moralisch richtig zu verhalten und über die Schwierigkeit, dieses Verhalten nachträglich richtig zu beurteilen:
Die Geschichte von Rudolf (Rezsõ) Kasztner, 1906 – 1957. Der den – von den deutschen Machthabern beschlossenen und von den ungarischen Behörden organisierten – Massenmord an den ungarischen JüdInnen zu verhindern versuchte, sich dafür auf Verhandlungen mit den Mördern einließ, dabei über 1600 Menschen rettete und später in seiner neuen Heimat Israel als "Verräter seines Volkes" ermordet wurde. Nacherzählt von einem der 1.600, der die Geschehnisse als verängstigter Elfjähriger miterlebt hat und nun, als emeritierter Deutsch-Professor in Brighton, seinem Retter ein Denkmal in Buchform setzt.
Ungarn war im Zweiten Weltkrieg mit Deutschland verbündet gewesen, die ungarischen JüdInnen wurden seit 1920 unterdrückt und wirtschaftlich eingeengt. Aber vor der organisierten, industriell betriebenen Vernichtung blieben sie bewahrt. Bis am 19. März 1944 deutsche Truppen einmarschierten, um einen bevorstehenden Seitenwechsel Ungarns zu verhindern. Während die offizielle jüdische Führung sich der Illusion hingab, die JüdInnen des Landes durch Kooperation schützen zu können, versuchte ein kleines zionistisches Hilfskomitee in Budapest, das polnisch-jüdischen Flüchtlingen geholfen hatte und mit dem Vorgehen der Nazis vertraut war, dem bevorstehenden Massenmord Einhalt zu gebieten.
Einer der Leiter war der Jurist und Journalist Rudolf Kasztner, ein junger Zionist aus dem rumänisch-ungarischen Cluj, Sohn frommer Eltern, hochbegabt und durchsetzungsfähig, der sich mit seinem Ehrgeiz und seiner Ungeduld mit dem, was er als Zögerlichkeit und Langsamkeit anderer empfand, nicht nur Freunde gemacht hatte. Von der – richtigen – Annahme ausgehend, dass die SS-Führung angesichts des offensichtlich verlorenen Krieges auf einen "Separatfrieden" mit den Westalliierten hoffte, versuchte er, den Vernichtungsprozess durch Aufnahme von Verhandlungen mit den Deutschen bis zum absehbaren Kriegsende hinauszuzögern – was zu Eichmanns Angebot von "Blut gegen Ware" führte, dem vorgeblichen Austausch von jüdischem Leben gegen Lastwagen und Dollars, zuletzt gegen Kaffee.
Dass sich die Alliierten darauf nie einlassen würden, war Kasztner von Anfang an klar, aber ebenso, dass es darauf ankam, den Schein eines solchen Entgegenkommens zu wahren und mit allen erdenklichen Mitteln – Bluff, Lüge, Bestechung – lebensrettende Zeit zu gewinnen. Von jüdischen Organisationen der freien Welt halbherzig unterstützt, trieb Kasztner die entsprechenden Verhandlungen voran. Er bereiste (manchmal in Nazi-Uniform) gemeinsam mit hohen SS-Chargen, denen daran gelegen war, sich für die bevorstehende Nachkriegszeit eine gute Ausgangsposition zu verschaffen, mehrere Konzentrationslager – darunter Bergen-Belsen – und war mit daran beteiligt, dass sie den Alliierten "intakt", das heißt ohne vorherige Abschlachtung der InsassInnen, übergeben wurden.
Er brachte, mit großer Mühe und sehr viel Geld, einen Zug mit über 1600 Menschen (Rabbiner, Professoren, OpernsängerInnen, JournalistInnen, zionistische Führer, aber auch Krankenschwestern, BäuerInnen, viele Kinder und mehrere Hundert Jüdinnen und Juden aus seiner Heimatstadt, unter anderem seine Familie) nach Zwischenaufenthalt in Bergen-Belsen, wo sie monatelang von Eichmann als Geiseln festgehalten wurden, in die Schweiz. Kasztner gilt als der Jude, der während der Nazi-Zeit die meisten JüdInnen gerettet hat. Doch tat er dies, während eine halbe Million JüdInnen in Ungarn der deutschen Mordmaschine zum Opfer fielen. Man hat ihm später den Vorwurf gemacht, dass er, der doch genau Bescheid wusste, die JüdInnen Ungarns nicht laut und eindringlich genug gewarnt hat, dass er mit den Nationalsozialisten kollaboriert und sich persönlich bereichert habe. Bis heute ist heftig umstritten, ob man in ihm den Helden sehen soll oder einen Verräter.
Doch der entschlossene Widerstand, den man sich im Nachhinein so sehr ersehnt, erschien aus der Situation der Betroffenen unmöglich und sinnlos. Er konnte nur da gelingen, wo die JüdInnen, wie in Dänemark und dem Kernland Bulgariens, von der Mehrheitsbevölkerung und deren Institutionen unterstützt wurden. Das traf auf Ungarn nicht zu. Nach dem Krieg zog Kasztner ins neu gegründete Israel, bekam als Sprecher des Wirtschaftsministeriums einen Regierungsposten und einen Listenplatz der Mapai für die anstehenden Parlamentswahlen. Daraufhin wurde er von einem Ungarn in einem Flugblatt angegriffen, einem Mann, der 50 Angehörige im Holocaust und einen Sohn im israelischen Unabhängigkeitskrieg verloren hatte. Man hätte den in wenigen hundert Exemplaren verbreiteten Aufruf auf sich beruhen lassen können. Doch die Staatsanwaltschaft meinte dem Ansehen des jungen Staates einen Verleumdungsprozess schuldig zu sein. In den Kasztner einwilligte – um ihn zu verlieren.
Die Wut der Überlebenden über das Geschehene, die Verzweiflung über die eigene Ohnmacht, hatten ein konkretes Ziel gefunden. Rudolf Kasztner verlor Regierungsposten und Listenplatz, seine Tochter wurde auf dem Schulweg mit Steinen beworfen, seine Frau lag mit Depressionen im Bett. Den günstigen Ausgang des Revisionsprozesses – 1958 entlastete ihn das Oberste Gericht in einem neuen Verfahren von den Anschuldigungen – hat er nicht mehr erlebt. Am 15. März 1957 wurde Rudolf Kasztner vor seiner Wohnung in Tel Aviv von jungen Extremisten aus nächster Nähe niedergeschossen. Ob der Kasztner-Prozess, wie der Autor Ladislaus Löb meint, der Beginn des "allmählichen Rechtsrutschs" in Israel war, soll dahingestellt bleiben. Als erste öffentliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust hat er das Selbstverständnis des Staates Israel jedenfalls nachhaltig beeinflusst und wurde mehrmals künstlerisch als Oper, Theaterstück oder Film aufgearbeitet ("Killing Kasztner" war 2009 beim Jüdischen Filmfestival Berlin zu sehen).
Zum Autor: Ladislaus Löb ist emeritierter Professor für Deutsche Sprache und Literatur an der University of Sussex in Brighton, England. (Quelle: Verlagsinformation)
AVIVA-Tipp: Die um Objektivität bemühte, auf zahlreiche Quellen sowie fremde und eigene Erinnerungen gestützte Darstellung von Ladislaus Löb erlaubt den LeserInnen, sich ein umfassendes Bild von dem Mann zu machen, der, dem ersten Gerichtsurteil zufolge, seine Seele dem Satan verkauft haben soll.
Dieser Artikel von Stephen Tree ist unter selbigem Titel in der Zeitschrift "jüdisches berlin", Ausgabe Oktober 2010, erschienen und wurde "AVIVA-Berlin" von dem Autor freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Ladislaus Löb
Geschäfte mit dem Teufel
Böhlau Verlag, erschienen 2010
Gebunden, mit Schutzumschlag, 277 Seiten
27 Schwarz-Weiß-Abbildungen auf acht Tafeln
ISBN: 978-3-412-20389-4
24,90 Euro
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