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Beitrag vom 15.04.2010
Silvia Kontos - Öffnung der Sperrbezirke - Zum Wandel von Theorien und Politik der Prostitution
Undine Zimmer
Herrschaft und Lust sind die beiden stärksten Komponenten, die Prostitution vom Mittelalter bis heute prägten. Prostitution fand und findet noch immer in tabuisierten gesellschaftlichen Räumen...
... statt. Silvia Kontos hat mit "Öffnung der Sperrbezirke" eine politische Geschichte der Prostitution verfasst und treibt darin gleichzeitig die aktuelle Debatte um Prostitution als "normalen Beruf" weiter an.
"Unerwünscht, aber unverzichtbar": Bürgerliche Gesellschaften haben seit der Reformation Sexualität normativ mit der Ehe verknüpft. Was für die Einen zur privatesten Sache der Welt gehört, wird für die anderen zum Geschäft. Prostitution ist in seinen verschiedenen Formen noch immer Schauplatz der Geschlechterzuschreibungen. Machtkonstellationen zwischen den Geschlechtern spielten von jeher eine Rolle in diesem Business und waren schon immer verbunden mit der Überschreitung von Grenzen. Heute verwischen Migrationsprostitution, Sextourismus und Heiratshandel stärker als zuvor die Übergänge zwischen öffentlicher und privater/familiärer Sphäre.
Sivlia Kontos schreibt ausgehend von einer heterosexuellen Prostitution, die vor allem als "Dienst am Mann" verstanden wird. Sowohl Freier als Prostituierte gelten zwar als AkteurInnen, dennoch macht die Autorin darauf aufmerksam, dass ein hierarchischer Zusammenhang von Sexualität und Geschlecht wirksam bleibt. Selbst dann, wenn man von den Prostituierten als "Herrinnen des Verfahrens" spricht, um ihre Subjektivität zu wahren und sie als aktive professionelle Geschäftsfrauen von ihrem "Opferstatus" zu befreien.
Das Hauptanliegen dieser Publikation ist es, der LeserIn vor Augen zu führen, dass Prostitution mehr ist als eine sexuelle Dienstleistung. Kontos sind die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereiche wichtig, in die Prostitution heute hineinspielt. Arbeitsrecht, gesellschaftliche Diskriminierung, Gewalt und Ausbeutung von Prostituierten bieten noch immer Anlass zu Reformen und sind bereits Teile eines Prozesses. Diesen nennt die Autorin die Politik der Prostitution und möchte mit dem vorliegenden Buch auf dem Feld der Prostitution vor allem eine Konfliktgeschichte der Geschlechter schreiben.
Der erste Teil beginnt mit einer theoretischen Auseinandersetzung mit den Prostitutionstheorien des 19. Jahrhunderts. Von der Untersuchung des "Dirnentums" (A.J.B. Parent-Duchatelet), der "Superiorität des Mannes" (C. Lombroso) bis zu "Prostitution und Psychoanalyse" (Freud) und anderen werden chronologisch verschiedene Standpunkte dargelegt. Kontos beleuchtet die Erklärungsmuster für die Notwendigkeit und Existenz von Prostitution in hegemonialen gesellschaftlichen Positionen. Dazu gehört auch das Eingeständnis, dass erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts mit der Idee von der "Prostituiertenpersönlichkeit" aufgeräumt werden konnte. Es folgen neuere Positionen, mit besonderer Berücksichtung der Frauenbewegung in den 1980er Jahren, die den Debatten neue Anstöße zur Sexualität gegeben haben. Die Kapitel "Prostitutionstheorien im Kontext von Frauenbewegungen und Feministischer Theorie" und "Prostitution im Kontext hegemonialer Männlichkeit" können auch als Kernkapitel gelesen werden.
Im zweiten Teil konzentriert sich die Autorin auf die Historie der rechtlichen Regelungen, deren Bestreben es war, Prostitution zu institutionalisieren und kontrollierbar zu machen. Der zweite Teil ist keinesfalls weniger spannend als der erste: Zahlreiche Fallbeispiele veranschaulichen (erfolglose) Versuche der Kontrolle. Auch dieser Teil schließt reflektierend mit einem Kapitel über Prostitution und Frauenbewegungen ab, wobei in alte und neue Frauenbewegung unterschieden wird.
"Die Öffnung der Sperrbezirke" steht für die Forderung nach einer offensiven gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der Prostitution, im Idealfall zusammen mit den Prostituierten. Immer noch, so kritisiert Kontos, wird über deren Köpfe hinweg laut diskutiert, während ihre Stimmen leise geblieben sind.
Zur Autorin: Silvia Kontos, Prof. Dr. phil. habil. für Soziologie und Frauenforschung in Wiesbaden, beschäftigt sich mit Körperpolitik als Dimension der Geschlechterverhältnisse. Dazu gehören Abtreibungsregulierungen, Reproduktionstechniken und Prostitution. Kontos gehört der Frauenbewegung seit ihren Anfängen an. Für "Sperrbezirke" hat Kontos einen langen Rechercheprozess auf sich genommen. Seit den 1980er Jahren beschäftigt sie sich mit Prostitution.
AVIVA-Tipp: Dieses Buch ist eine Bereicherung für alle, die sich mit Prostitution als gesellschaftliches Phänomen, mit der Verhandlung der Geschlechterpositionen und Sexualität auseinandersetzen. Es reflektiert kritisch den aktuellen Forschungstand und bezieht auch intersektionale Ansätze mit ein. Ausgehend vom Diskurs über Prostitution schreibt die Autorin gleichzeitig eine Geschichte der Frauenbewegung. In dieser Verbindung liegt auch eine besondere Stärke des Buches. Die beiden Teile ergänzen sich, indem sie zeigen wie sich theoretische Perspektiven und die Umsetzung der Reglementierungen gegenseitig bedingen. Besonders das Kapitel über feministische Theorien und die Fallbeispiele des zweiten Teils verleihen der Publikation Aktualität. Die theoretischen Abschnitte sind anschaulich und prägnant formuliert, so dass die Leserin die Entwicklung der Positionen sehr gut nach verfolgen und sich in das Thema einarbeiten kann.
Silvia Kontos
Öffnung der Sperrbezirke - Zum Wandel von Theorien und Politik der Prostitution
Ulrike Helmer Verlag, erschienen 2009
Paperback, 428 Seiten
ISBN 978-3-89741-285-9
32,90 Euro
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