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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 13.03.2010


Ruza Kanitz - Polenta oder Milchkaffee
Kristina Tencic

Ist Milchkaffee tatsächlich besser als Polenta, nur weil er in Berlin konsumiert wird? Die aus Ex-Jugoslawien emigrierte Autorin will es genau wissen und porträtiert feinfühlig diese beiden Welten




Es war kein einfaches Leben. Bereits im Kindesalter mussten alle Geschwister auf dem Feld und bei dem Weiden des Viehs mithelfen und somit die Arbeit übernehmen, die der trunksüchtige Vater nicht machen wollte. Als Postbote im Jugoslawien der 80er Jahre, in der kargen und ärmlichen Region Lika im heutigen Kroatien, gab es Gelegenheit genug auf ein Glas Slivovic bei den Dorfnachbarn zu verweilen. Was indes mit seinen fünf Kindern und seiner Frau passierte, ob sie genug zu essen hatten, Holz zum Feuermachen oder in der Schule mitkamen interessierte dabei wenig.

In dieses Konglomerat aus Angst, Hunger, Streit und Unvorhersehbarkeit wurde Lucija geboren. Sie hat rote Haare, ist eine gute Schülerin und macht sich trotz allem ihre Kindheit mit viel Phantasie und der wenigen Zeit zum Spielen so angenehm wie möglich. Sie ist noch jung als eine Zigeunerin ihr prophezeit, dass sie eines Tages in Deutschland leben würde.

Als einige Jahre später eine deutsche Jugendgruppe in ihrem Dorf Urlaub macht, lernt die inzwischen zur technischen Zeichnerin ausgebildete Lucija den Berliner Matthias kennen. Die junge Kroatin himmelt ihn an und willigt leichtgläubig in seine Pläne ein, mit nach Deutschland zu kommen. Hoffnungsvoll, neugierig, aber vor allen Dingen naiv macht sich Lucija auf den Weg in das Land, in dem aus Sicht der Tito-Pionierin Milch und Honig fließen.

Dort angekommen findet sie sich jedoch in einer dunklen und verdreckten Erdgeschosswohnung irgendwo in der Weitläufigkeit der Großstadt wieder, mit einem arbeitslosen Mann, der sich nicht für sie interessiert und Schwiegereltern, die sie nur mit ihren "Schließlich-geht-es-dir-gut,-du-bist-hier-in-Deutschland,-du-hast-doch-alles" sagenden-Gesichtern misstrauisch begutachten.

"Wie ein dicker Vorhang wirkte der Schnee, der vom Himmel fiel. Doch diese Menschen gerade waren real gewesen, kein Theater, auch mein Mann, den ich hinter mir gelassen hatte. Was verbarg sich hinter diesem dicken weißen Vorhang? Wie viele Überraschungen würde ich noch erleben? Wenn ich nur ein wenig hinter den Vorhang dieser Menschen schielen könnte, um wenigstens zu erahnen, wie es weitergehen würde. Doch der dicke weiße Vorhang hielt dicht, ließ niemanden hinaus – keinen Sieger und keinen Verlierer."

Ruza Kanitz beschreibt in dem vermutlich stark autobiografisch geprägten "Polenta oder Milchkaffee" sehr eingehend ihren Herkunftsort und die enttäuschende neue Welt, und lässt hierdurch die Schwere der Gründe und Abgründe der Migration am eigenen Leib erfahrbar machen. Warum nur, so fragt sich die Leserin immer wieder, geht sie nicht wieder zurück zu ihren Freunden und ihrer Familie sondern setzt sich freiwillig dieser Einsamkeit und dem Gefühl der Unbrauchbarkeit aus?

Einzig schade an dem sehr lesenswerten, Perspektiven-wechselnden Roman ist, dass sich der Verdacht einstellt, hier keine/n LektorIn beschäftigt zu haben. Manchmal gerät etwa die Chronologie aus den Fugen oder Begriffe werden erst zu spät erläutert. Auch ist an manchen Stellen der Handlungsstrang zu langatmig indes besteht an anderen weiterer Erklärungsbedarf, wie etwa bei dem ersten Besuch der Protagonistin in der alten Heimat. Hier hätte frau sich die gleiche Reflexion und liebevolle Erzählintensität gewünscht, die sie den Kindheitserinnerungen gewidmet hat.

AVIVA-Tipp: Der Zwischen-zwei-Welten-Roman "Polenta oder Milchkaffee" räumt mit vielen Vorurteilen der deutschen Gesellschaft über ihre Einwanderer auf und behandelt die ureigene Frage unserer mobilen globalisierten Gesellschaft nach dem Preis der Migration. Feinfühlig nuanciert die Autorin die im Hintergrund beißenden Zweifel, ob denn in der Heimat wirklich alles so schlecht war.

Zur Autorin: Ruza Kanitz wurde 1961 in Kroatien geboren. Nach Abschluss der Volksschule ging sie nach Slowenien, um in Koper eine Ausbildung als technische Zeichnerin zu absolvieren. Durch ihren ersten Ehemann, einen Deutschen, kam sie 1982 nach Berlin, wo sie eine zweite Ausbildung als Finanzbuchhalterin absolvierte. (Quelle: Geest-Verlag)

Ruza Kanitz
Polenta oder Milchkaffee

Geest-Verlag, erschienen 2009
Paperback, 320 Seiten
ISBN: 978-3-86685-165-8
12,50 Euro

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