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Beitrag vom 29.11.2009
Deutschland Märchenland. Prominente greifen zur Feder. Herausgegeben von Silke Fischer
Claire Horst
Die Berliner Märchentage sind längst zu einer Institution geworden. Seit 1989 finden sie jährlich statt und ermöglichen Kindern und Erwachsenen den Besuch von zahlreichen spannenden, lustigen...
... oder besinnlichen Veranstaltungen rund um das Thema Märchen aus aller Welt.
Prominente waren bislang an den Märchentagen nicht als AutorInnen beteiligt, sondern vorrangig als VorleserInnen für die Kleinsten. Silke Fischer, die Leiterin der Märchentage, hat sich nun etwas Neues einfallen lassen: "Märchen, verfasst von berühmten Zeitgenossen". Sieben mehr oder weniger bekannte Persönlichkeiten aus Kultur, Politik und Wirtschaft haben für das Buch eigene Märchen verfasst, die der Unternehmer und Illustrator Claus Hipp (genau, der mit der Babynahrung) farbenfroh bebildert hat.
Ebenso unterschiedlich wie ihre ErfinderInnen sind die Märchen, die sich in diesem kleinen Bändchen finden. Der Schauspieler Walter Kreye, bekannt als Hauptdarsteller der Serie "Der Alte", hat ein fantasievolles Märchen über den "Lumpenkönig" beigetragen, der über seiner Liebe zu schönen Blumen vergisst, Obst und Gemüse für seine BürgerInnen anzubauen. Zum Glück rettet sie der Narr, der – wie im Märchen so üblich – klüger ist als sie alle zusammen. Auch die Ärztin und TV-Moderatorin Franziska Rubin orientiert sich am klassischen Märchengenre. In ihrer Geschichte muss eine Prinzessin große Gefahren überstehen, um ihre geliebte und schwer erkrankte Schwester zu retten. Als Medizinerin weiß Rubin, dass es bei der Heilung nicht nur auf das richtige Medikament ankommt: "Der Tee, den Lina brachte, tat Aliva sehr gut. Man kann aber nicht mit Bestimmtheit sagen, dass es der Tee alleine war, der Aliva gesund gemacht hatte, denn der König brachte eine junge Frau auf sein Schloss, die die Mädchen in ihr Herz schloss. So waren sie wieder eine glückliche königliche Familie und wenn sind nicht gestorben sind...
...dann leben sie noch heute." Um Gesundheit und Heilung geht es auch in der Geschichte der Moderatorin Tita von Hardenberg. Ihre Nurida besitzt eine besondere Gabe ...
Nicht alle Beiträge halten sich an die überlieferte Form des Volksmärchens, doch auch ohne Hexen und "es war einmal" entstehen schöne Geschichten. Hatice Akyün etwa, die Autorin des Bestsellers Einmal Hans mit scharfer Soße - Leben in zwei Welten und Trägerin des Grimme Online Awards, hat eine Geschichte über die Freundschaft zwischen einem türkisch- und einem deutschstämmigen Mädchen beigetragen. Märchenhaft ist an dieser Geschichte vielleicht nur die offene Haltung, die die beiden Familien zueinander einnehmen. Der Wunsch nach Toleranz spricht auch aus dem Beitrag des Schauspielers Pierre Sannossi-Bliss, in dem ein riesenhafter Junge und ein rundes kleines Mädchen, die beide Leseratten sind, ein Liebespaar werden.
Dass zwei Beiträge etwas abfallen, tut dem Gelingen des Sammelbandes daher keinen Abbruch. Der Sänger Gunther Emmerich hat es sich ein wenig zu leicht gemacht und ein launiges Alphabetgedicht eingereicht, das wahrscheinlich weder Kinder noch Erwachsene sonderlich amüsant finden, und den Beitrag von Thilo Sarrazin möchte man am liebsten gar nicht kommentieren, so erwartungsgemäß fällt er aus. Nur die Moral seiner Geschichte sei hier angedeutet: Seid froh über die Boni der Banker und den unausgeglichenen Welthandel, liebe NormalbürgerInnen, die ihr naiv und ungebildet seid, denn gäbe es Konkurrenz und Leistungsdruck nicht, säßen wir alle in Wollpullis in ungeheizten Räumen und tränken Muckefuck.
AVIVA-Tipp: Insgesamt eine interessante Mischung von Beiträgen und Beitragenden. Die Idee, Prominente kreativ werden zu lassen, geht auf und könnte für Kinder oder auch deren Eltern Vorbildfunktion haben. Schreibt und erzählt Märchen, so schwer ist es gar nicht. Und Spaß macht es auch – das Verfassen wie das Lesen. Spannend bleibt die Frage, wer wohl zur nächsten Mini-Anthologie beitragen wird. Karl-Theodor von Guttenberg und Nina Hagen ergäben sicher eine ertragreiche Kombination.
Zu der Herausgeberin: Silke Fischer wurde 1961 in Thüringen geboren und floh kurz vor dem Mauerfall über Ungarn nach West-Berlin. Dort studierte sie Theaterwissenschaften und Lateinamerikanistik. Seit zehn Jahren leitet die Direktorin des "Deutschen Zentrums für Märchenkultur – Märchenland" die Berliner Märchentage. 2009 wurde sie von "Kulturmarken" als Kulturmanagerin des Jahres nominiert. Weitere Infos unter: www.berliner-märchentage.de
Silke Fischer (Hrsg.): Deutschland – Märchenland. Prominente greifen zur Feder.
Diederichs Verlag, erschienen November 2009
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 89 Seiten
Mit Leseband, durchgeh. vierfarb., 11 farb. Abb.
Mit Illustrationen von Klaus Hipp
ISBN: 978-3-424-35019-7
16,95 Euro