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AVIVA-BERLIN.de im Oktober 2024 - Beitrag vom 13.11.2009


Else Lasker-Schüler - IchundIch
Claire Horst

Bekannt ist Else Lasker-Schüler hauptsächlich als expressionistische Lyrikerin. Ihr Gedichtband "Mein blaues Klavier" enthält einige der schönsten poetischen Werke der Epoche. "Die Wupper" ist...




...ihr bekanntestes Theaterstück. Mit "IchundIch" wird ein weiteres dramatisches Werk aus dem Nachlass nun zum ersten Mal in voller Länge veröffentlicht.

Lasker-Schüler fiel mit ihrem auffallenden Kleidungsstil, ihrem Hang zu selbstgewählten Pseudonymen ("Prinz Jussuf") und der Weigerung, sich an gesellschaftliche Konventionen anzupassen, in ihrer Heimatstadt Wuppertal ebenso auf wie in Berlin, wo sie seit 1894 lebte. Ihr Leben war von materieller Armut geprägt. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten floh die Dichterin in die Schweiz und später nach Palästina, wo das vorliegende Drama Anfang der vierziger Jahre entstand.

Ähnlich wie Charlie Chaplin in seinem Klassiker "Der Große Diktator" lässt Lasker-Schüler in "IchundIch" reale und phantastische Gestalten aufeinander treffen. Doch entstammen ihre Phantasiegestalten nicht der eigenen Imagination. Bei ihr stoßen die Charaktere aus Goethes "Faust" auf die Führer der Nationalsozialisten – bevor diese zugrunde gehen. Damit ist "IchundIch" nicht nur eine Vision zum Ende der Nazis – es beinhaltet eine viel weiter greifende Kritik an der gesamten deutschen Geistesgeschichte. Denn Mephisto, Faust und Marte Schwertlein verstehen sich mit Goebbels, Hitler und Göring gar nicht so schlecht. Viel stärker als in ihren bekannten Texten nimmt die Autorin hier eine explizit politische und antifaschistische Haltung ein.

Die Handlung – Nazis und Goethe-Figuren treffen bei einem Festmahl aufeinander – bettet die Autorin in eine Theaterszene ein. Sie selbst, "die Dichterin", der Regisseur Max Reinhard und weitere ZeitgenossInnen betrachten und kommentieren das Geschehen vom Zuschauerraum aus, nach der Schlussszene stirbt die Dichterin. Eine wirklich positive Wendung nimmt es also selbst mit dem Tod der führenden Nazis nicht in diesem Drama.

Tatsächlich kam das Stück nie zur Aufführung. Einige Male trug Lasker-Schüler ihr Werk in Israel vor. Die sehr gewinnbringenden Anmerkungen der Herausgeber enthalten unter anderem den Einführungstext, den die Autorin für einen solchen Abend geschrieben hat. Auf merkwürdige Weise verschmilzt da das Werk mit der Realität, denn ihre ZuhörerInnen waren zum Teil dieselben, die auch in der Mantelszene des Stückes erscheinen. Das erinnert an den Lebensstil Else Lasker-Schülers, die sich und ihre Umgebung beständig inszenierte und mythologisierte. Und trotzdem ist das Besondere und Wertvolle an diesem Drama nicht sein verworrener und mythischer Anteil, sondern der Einbezug historischer Gestalten. Der Untergang der Nazis "in den Lavafluten", die Auftritte von van der Lubbe und einer sprechenden Vogelscheuche lesen sich mit ähnlicher Genugtuung wie sie Tarantinos "Inglourious Basterds" verbreitete.

AVIVA-Tipp: Das Drama lässt Else Lasker-Schüler in einem neuen Licht erscheinen und weckt zugleich Lust darauf, ihre wunderbaren Gedichte noch einmal zu lesen – einige davon hat sie in das Stück eingebaut. Den Herausgebern ist es hoch anzurechnen, dass sie sich gegen die Auffassung früherer Herausgeber gestellt haben, "dass Else Lasker-Schüler im ganzen unlesbar" sei und nur in Teilen "Diamanten" statt "Schutt" geliefert habe.

Zu Autorin: Else Lasker-Schüler, geboren 1869 in Elberfeld bei Wuppertal, heiratete 1894 den Arzt Berthold Lasker-Schüler, von dem sie sich fünf Jahre später trennte. Um die Jahrhundertwende fand sie Zugang zur avantgardistischen KünstlerInnenszene Berlins. Von 1903-12 war sie mit ihrem zweiten Mann Herwarth Walden verheiratet, dem späteren Herausgeber der expressionistischen Zeitschrift "Der Sturm". Im Jahr 1912 lernte sie Gottfried Benn kennen, zu dem sie eine eher problematische Beziehung unterhielt, und dem sie in ihren Gedichten den Namen "Giselheer der Barbar" verpasste. 1933 flüchtete Else Lasker-Schüler aus Berlin nach Zürich, ab 1939 lebte sie in Jerusalem, wo sie im Januar 1945 starb. Ihre Werke und Briefe erscheinen seit 1996 im Jüdischen Verlag im Suhrkamp Verlag.

Else Lasker-Schüler – IchundIch
Herausgeber: Karl Jürgen Skrodzki, Kevin Vennemann
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, erschienen: 12.10.2009
18,00 Euro
Gebunden, 101 Seiten
ISBN: 978-3-633-54241-3

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Beitrag vom 13.11.2009

Claire Horst