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Beitrag vom 27.10.2009
Margaret Atwood - Das Jahr der Flut
Claire Horst
Die bereits siebzig Jahre alte Atwood beweist mit diesem Roman wieder einmal, dass sie zu Recht als bedeutendste Autorin Kanadas gilt. Das Jahr der Flut ist nicht nur ein zivilisationskritisches...
...Werk, sondern vor allem zeichnet es sich durch umfassendes Wissen, sensible Darstellung der ProtagonistInnen und durch Atwoods herausragende Erzählkunst aus.
Schon mit dem vorangegangenen Roman "Oryx und Crake" hatte die Autorin einen ähnlich pessimistischen Zukunftsentwurf vorgelegt. Die Kritik an bedenkenlosem Forschungsdrang und Umweltzerstörung, die das Werk ausgemacht hatte, ist auch in "Das Jahr der Flut" wieder das Leitmotiv. Die Hauptfiguren des Vorgängerromans tauchen erneut auf – als Randfiguren. Es sind nun zwei weibliche Erzählstimmen, die das gleiche Geschehen aus veränderter Perspektive erfahrbar machen. Wir befinden uns im Jahr Fünfundzwanzig, dem Jahr der Flut. Toby lebt allein in einem ehemaligen Schönheitsinstitut – außer einigen Tieren glaubt sie, die einzige Überlebende einer weltweiten Katastrophe zu sein. Doch auch die junge Ren hat überlebt, in einem abgeriegelten Quarantäneraum, der zu einem Bordell gehörte. Dort hat sie gearbeitet, bevor die "wasserlose Flut" einsetzte.
In der Welt, die durch die Flut zerstört wurde, gehörten Ren und Toby der Ökosekte der "Gottesgärtner" an. In diese Welt kehrt der Roman immer wieder zurück: Zwischen dem "Schöpfungstag" der Gottesgärtner und dem Jahr fünfundzwanzig nach der Schöpfung entsteht und verschwindet eine ganze Welt. Angeführt von Adam Eins und weiteren Adams und Evas, unternimmt die Gruppe den Versuch eines Lebens fernab von der Ausbeutung und Zerstörung der Natur. Grenzenlose Überwachung durch halbstaatliche Sicherheitsfirmen, das Auftauchen geklonter Tiere, die sich günstiger verbrauchen lassen als die natürlichen, und die Fleischproduktion aus menschlichen Fetten bestimmen die Gesellschaft, der die Gärtner sich entziehen. Dass sie als AußenseiterInnen gelten, ist nur für die Kinder der Gemeinschaft ein Problem – Lieder, Rituale und Festtage zu Ehren unzähliger Heiliger bestimmen den Alltag der Gärtner, die ihre Nahrung aus den Abfallprodukten der Gesellschaft selbst produzieren.
Von der Obrigkeit werden sie zunächst geduldet: "Sie halten uns für verschrobene Fanatiker, die Nahrungsextremismus mit fehlendem Modebewusstsein und puritanischer Antikonsumhaltung verbinden. Aber da wir nichts haben, was sie wollen, zeichnen wir uns nicht als Terroristen aus." Gefährlich wird es für die Gruppe erst, als sie zu einflussreich wird.
Im Gegensatz zu Dystopien wie "Schöne Neue Welt" in denen der negativen Realität eine positive Gegenwelt gegenübergestellt wird, zeichnet Atwood auch ihre Gottesgärtner nicht als unfehlbare Lichtgestalten. Mit viel Ironie hinterfragt sie den Prediger Adam, dessen Ansprachen an die Gruppe nicht immer seiner eigenen Überzeugung entsprechen. Das Gesangbuch der Gärtner erinnert nicht zufällig an die Texte protestantischer Gesangsbücher, die "wasserlose Flut" an die biblische Apokalypse.
Und das ist auch das Ungewöhnliche an Atwoods Texten: ihre sprachliche Kreativität und Lust an der Wortschöpfung. Außerhalb der Kolonie der Gottesgärtner befinden sich die Plebs, slumartige Wohngebiete voller "Plebsratten", Angehörige der "Asian Fusions, Blackened Redfish oder Lintheads". Wohlhabendere BürgerInnen leben in von Biotech-Konzernen regierten Gebieten. Auch die Auswirkungen der technisierten Welt sind sprachlicher Natur: Neu entstandene Tierarten sind neben den "Löwämmern", die eine religiöse Sekte geklont hat, um die Vereinigung von Löwe und Lamm im Paradies vorwegzunehmen, auch die Mo´hairs, die wie blaue, rosa oder lila Bonbons aussehen und zur Produktion von Kunsthaar gezüchtet wurden.
AVIVA-Tipp: Trotz der Flut an absurden Einfällen entsteht an keiner Stelle der Eindruck, einer sinnlosen Fantasy-Kreation aufzusitzen. Eher trifft zu, was Atwood selbst über ihren Roman sagt: ein Weiterdenken aktueller Entwicklungen führt zwangsläufig zu den von ihr beschriebenen Konsequenzen. Dass es Atwood tatsächlich daran gelegen ist, auf die unaufhaltsame Zerstörung unseres Planeten aufmerksam zu machen, verdeutlicht die eigens zum Roman gestaltete Homepage www.yearoftheflood.com/de. Hier finden sich auch Informationen zu Umweltschutzorganisationen, zur musikalischen Umsetzung der Lieder aus dem Buch und zur Möglichkeit, eigene Umwelt-Heilige zu ernennen. Dass einige KritikerInnen Atwood freudlosen Ökofanatismus vorwerfen, ist in keiner Weise gerechtfertigt. Dazu ist ihr Text zu humorvoll und vielschichtig. "Das Jahr der Flut" ist eine hochintelligente und Besorgnis erregende Zukunftsvision, die dennoch großen Spaß macht: Liebesgeschichten und Verfolgungsjagden, Eifersuchtsszenen zwischen pubertierenden Mädchen und Sackleinen tragende ÖkoaktivistInnen halten die Spannung aufrecht.
Zur Autorin: Margaret Atwood ist heute die wohl berühmteste Autorin Kanadas. Sie wurde 1939 in Ottawa geboren. Nach dem Studium in Toronto und Harvard lehrte sie an verschiedenen nordamerikanischen Universitäten englische Sprache und Literatur. Ihr umfangreiches Werk umfasst Romane, Kurzgeschichten, Gedichte, Essays und Kinderbücher und wurde in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Margaret Atwood erhielt mehrere Ehrendoktortitel und unzählige internationale Preise und Auszeichnungen, darunter den höchsten kanadischen Literaturpreis, den Governor General´s Award, den Giller Prize, den spanischen Prinz-von-Asturien-Preis und im Jahr 2000 den Booker Prize. 2005 wurde sie für den ersten Man Booker International Prize nominiert. Margaret Atwood lebt mit ihrer Familie in Toronto. (Verlagsinformationen)
Die Autorin im Netz: http://margaretatwood.ca
Margaret Atwood
Das Jahr der Flut
Originaltitel: Year of the Flood
Deutsch von Monika Schmalz
Berlinverlage, Erscheinungstermin: 3. Oktober 2009
480 Seiten, gebunden
ISBN-13: 9783827008848
22,00 Euro
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