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Beitrag vom 04.07.2009
David Rieff - Tod einer Untröstlichen. Die letzten Tage von Susan Sontag
Corinna Waffender
Der Sohn von Susan Sontag schreibt über das Sterben seiner Mutter. Und er stellt eine interessante Frage: Was ist die Wahrheit und wie viel davon verträgt der Mensch?
Susan Sontag, US-amerikanische Philosophin, Essayistin und Schriftstellerin führte zweifellos ein schillerndes Leben: Klug, politisch und exzentrisch - nur unzureichend lässt sich eine Frau skizzieren, deren Spiegel die Öffentlichkeit war und die sich und ihren Intellekt gekonnt und bewundernswert in Szene zu setzen wusste: In Deutschland bekannt wurden vor allem ihre essayistischen Betrachtungen über Fotografie, Aids und nicht zuletzt über Krebs.
Wer nun erwartet, ein solcher Mensch, der im Übrigen bereits zwei schwere Krebserkrankungen überlebt hatte, würde am Ende leise sterben, hat sich natürlich getäuscht: Susan Sontag stellte sich dem eigenen Tod in der Praxis mit jenem unerbittlichen Kampf den sie theoretisch der Sterblichkeit schlechthin angesagt hatte. Wie dieser persönliche Krieg gegen die Leukämie, an deren Folgen sie 2004 verstarb, aussah, erfahren wir aus dem etwa 160 Seiten dünnen Buch, das ihr Sohn David Rieff, selbst politischer Schriftsteller und Journalist, geschrieben hat.
Der englische Titel verrät mehr über das Vorhaben des Autors: Swimming in a sea of death legt den Blick nicht nur auf den Tod sondern auch auf das (Über)leben der Angehörigen mit der Todkranken. Rieff will aufzeigen, wie sich das persönliche Umfeld einer Todkranken im Bezug auf Wahrheit über den Gesundheitszustand verhält: Konfrontiert man eine Sterbende mit der Wirklichkeit oder lügt man um der Hoffnung der Patientin willen? Dabei setzt sich Rieff grundsätzlich mit der Frage auseinander, was es bedeutet, in einer Kultur zu leben, die den Tod eher leugnet, als ihm ins Gesicht zu sehen.
Der Autor schildert sehr private Momente der Todgeweihten: Susan Sontag als medizingläubigen Dickkopf, der an der Auswegslosigkeit verzweifelte. Eine mehr als sieben Jahrzehnte alte Intellektuelle, die in Depression verfiel, wenn eine Therapie nicht anschlug oder euphorisch wurde, wenn sie Hoffnung in neue Forschungsergebnisse setzen konnte. Eine launische Kranke, die von dem Kreis derjenigen, die ihr das unaushaltbare Alleinsein zu verkürzen suchten, viel verlangte, vor allem aber den Willen, an ihr Überleben zu glauben.
Doch statt die Nöte und Hoffnungen Susan Sontags FreundInnen und Angehöriger aufzugreifen, reflektiert der Sohn vor allem eigene Schuldgefühle. Dazu gibt er Einblick in sehr persönliche Szenen: beispielsweise wie Mutter und Sohn von der fast immer unheilbaren Form der Leukämie, dem sogenannten Myelodysplastischen Syndrom, erfahren. Zwar schimmert in manchen Zeilen die Wut und Trauer des Sohnes durch, der seiner verkopften Mutter die bittere Wahrheit ersparen möchte, obwohl er selbst nicht mehr an Rettung glaubt, doch verwehrt Rieff seine emotionale Befindlichkeit. Zwar gewährt er Einblick in Sontags Tagebuch, doch mit seinen eigenen Ängsten lässt er die LeserInnen weitgehend auf der Strecke. Das ist schade, denn gerade der unvernünftige Teil des Dilemmas zwischen Aufrichtigkeit und Mitgefühl hätte eine essayistische Auseinandersetzung verdient.
Die Fokussierung auf die Sterbende statt auf das Dilemma der Überlebenden ist umso bedauerlicher, als dass der Autor sich in seinen Ausführungen auf die Beziehung zwischen Sohn und Mutter beschränkt. Die intellektuell zum Teil interessant ausgeführten eigenen Gewissensbisse und Schuldgefühle wirken durch die eindimensionale Reflexion nach zwei Dritteln des Buches langatmig. Im Grunde bringt der Autor bereits auf Seite 96 der deutschen Übersetzung mit einem jüdischen Sprichwort den Konflikt treffend auf den Punkt: "Es gibt nicht nur die Pflicht, dem anderen alles zu sagen, was er verkraften kann, sondern auch die Pflicht, das nicht zu sagen, was er nicht verkraften kann."
Während seine Mutter gegen ihr Vergehen kämpfte, lag ihr Sohn im Kampf mit seiner ganz persönlichen Erkenntnis: dass jeder Mensch und also auch Susan Sontag sterben muss. Aus Angst, ihr mit dieser Gewissheit vielleicht den Todesstoß zu versetzen (oder sie als Vertraute kurz vor ihrem Ende zu verlieren?), hielt er die Lüge von Rettung entgegen seiner Überzeugung bis zuletzt aufrecht. Man wünscht sich, über dieses persönliche Dilemma mehr zu erfahren, statt mitunter den Blick auf viel zu intime Momente der Sterbenden zu werfen.
Kritisch erscheint schließlich auch die Tatsache, dass der Autor Susan Sontags Wahlfamilie nahezu außen vor lässt: Ihre langjährige Lebensgefährtin, die Fotografin Annie Leibowitz, die immerhin von 1988 bis 2004 ihre Weggefährtin war, erwähnt er lediglich in einem ironischen Nebensatz. Überhaupt fragt man sich bei der Lektüre, wo und wann all die anderen FreundInnen und Vertraute am Kranken- und Sterbebett waren, ob es zwischen ihnen und dem Sohn nie einen Austausch gegeben hat. Dadurch entsteht zum Teil der Eindruck, David Rieff habe seine Mutter in den letzten Monaten ihres Lebens rund um die Uhr begleitet. Eine Vorstellung, die er andererseits selbst durch das zu Lebzeiten eher schwierige Verhältnis und seinen Beruf als Reisejournalist in Zweifel zieht.
Susan Sontag hätte zu dem Zweispalt Wahrheit oder gnädige Lüge zweifellos ein prägnantes und brillantes Essay geschrieben. Ihrem Sohn hat dabei der Mut gefehlt, das zu offenbaren, was manche LeserInnen mehr interessiert hätte: Wie man damit fertig wird, einen geliebten Menschen im Angesicht des Todes zu belügen und ihn vielleicht gerade deshalb nicht trösten zu können? Und so bleibt die Frage im Raum, die sich durch das ganze Buch zieht, das auf seltsam rationale Weise dieses prominente Sterben als missglückt beschreibt: Was müssen wir eigentlich wissen und warum?
Trotz leichter Themaverfehlung bleibt das Buch des Sohns jedoch ein Muss für alle Fans der Mutter.
AVIVA-Tipp: Interessante persönliche Betrachtung über Leben und Sterben der US-amerikanischen Intellektuellen Susan Sontag. Lohnend, um sich dabei und danach mit den großen Fragen nach Wahrheit und Sinn zu beschäftigen.
David Rieff
Tod einer Untröstlichen. Die letzten Tage von Susan Sontag
Originaltitel: Swimming in a sea of death
Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser
Carl Hanser Verlag, erschienen 2009
Euro 17,90
Fester Einband, 160 Seiten
ISBN-10: 3-446-23276-1
ISBN-13: 978-3-446-23276-1
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"Susan Sontag. Geist und Glamour" Die erste Biographie von Daniel Schreiber
Weitere Infos zu Susan Sontag finden Sie unter: www.susansontag.com