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Beitrag vom 28.04.2009
Sonja Hilzinger - Elisabeth Langgässer
Yvonne de Andrés
Die christliche Schriftstellerin Elisabeth Langgässer jüdischer Herkunft blieb in Deutschland. 1936 erhielt sie Schreibverbot. Ihre Haltung gegenüber den Nazis blieb widersprüchlich.
Mit dem Namen Elisabeth Langgässer verbinden heute viele Menschen den ICE, der von Berlin Ostbahnhof nach München fährt. Ähnlich ist es auch Sonja Hilzinger ergangen, bis sie 1992 in Hamburg auf der zweiten Tagung der Arbeitsgemeinschaft "Frauen im Exil" der Schriftstellerin Cordelia Edvardson, der Tochter von Elisabeth Langgässer, begegnete. Edvardson las auf der Konferenz aus ihrem Buch "Die Welt zusammenfügen". Erst über die Tochter entdeckte Sonja Hilzinger Elisabeth Langgässer. Ein Arbeitsstipendium ermöglichte ihr 2005 die systematische Beschäftigung mit deren Nachlass in Marbach.
Elisabeth Langgässer wurde 1899 in Alzey als Tochter eines zum Katholizismus konvertierten Juden geboren. Gestorben ist sie 1950 in Rheinzabern. Ihre Jugend verbrachte sie in Alzey, Mainz und Worms. Elisabeth Langgässer hat ihre schriftstellerische Laufbahn als Lyrikerin begonnen. Ihre ersten Gedichtbände "Der Wendekreis des Lammes" (1924) und "Die Tierkreisgedichte" (1935) berühren gesellschaftlich-politische Themen noch kaum. Bis 1928 arbeitete sie als Lehrerin. Weil sie ein uneheliches Kind zur Welt brachte, der Vater des Kindes war verheiratet, wurde sie nach der Geburt ihrer Tochter Cordelia aus dem Staatsdienst entlassen. Es folgte die Übersiedlung nach Berlin zu Mutter und Bruder.
Ein Jahr lang wirkte sie als Dozentin für Pädagogik an der Sozialen Frauenschule von Anna von Gierke in Berlin. Sonja Hilzinger kommentiert ihre Tätigkeit: "All diese politischen Aspekte der sozialpädagogischen Frauenbildung sind Elisabeth Langgässer zutiefst suspekt." 1931 erhält sie den Literaturpreis des Deutschen Staatsbürgerinnen-Verbandes, sie ist zunehmend eingebunden in Berliner Literaturkreise und setzt darauf, als freie Autorin zu leben. Sie verkehrt in linkskatholischen Kreisen um die Frankfurter Rhein-Mainische Zeitung und ist mit Alfred Kantorowicz, Peter Huchel, Ina Seidel, u.a. befreundet. Es entstehen vor allem Gedichte, darüber hinaus beginnt sie den Roman "Der Gang durch das Ried". 1935 heiratet sie den katholischen Philosophen Wilhelm Hoffmann, mit dem sie drei weitere Töchter haben wird.
Mit den Rassengesetzen des Dritten Reiches 1935 gilt sie als "Halbjüdin" und wird mit Schreibverbot belegt. Ihre älteste Tochter Cordelia wird als Volljüdin eingestuft. Die Familie lebt in ständiger Unsicherheit. Langgässer, die Haupternährerin der Familie, muss Zwangsarbeit in Fabriken leisten. Die Zeit des NS ist ihre schriftstellerisch produktivste. Dennoch ist sie äußerlich und innerlich gelähmt. Äußerlich durch eine voranschreitende Krankheit - Multiple Sklerose - und innerlich rettet sie sich in einen übersteigerten Katholizismus. Sie lebt in einer Art innerer Emigration. Sie verpasst verschiedene Möglichkeiten, ihre Tochter Cordelia zu Freunden ins Ausland zu bringen. Cordelia lebt zwischen Todesangst und Hoffnung bei ihrer Mutter. Einerseits empfindet sie das Verhalten ihrer Mutter als Verrat. Andererseits will sie die Mutter vor einer Anklage wegen Hochverrats schützen und fügt sich deshalb widerspruchslos, als sie aus der elterlichen Wohnung in das jüdische Krankenhaus in Berlin umziehen muss. Cordelia wird 1943 nach Theresienstadt und Auschwitz deportiert. Sie überlebt.
Die Romane Elisabeth Langgässers fanden in der Bundesrepublik nur anfänglich Beachtung. Ihre Auffassung, dass der Nationalsozialismus als ein Gericht Gottes bzw. als ein Anlass zur Läuterung angesehen werden müsse, wurde nach 1945 nicht geteilt: "Aber ich halte es für erwiesen [...], dass in der Zeitlichkeit stets das Böse über das Gute den Sieg davonträgt und der Endsieg über das Böse Gott sozusagen persönlich durch einen Eingriff von oben muss vorbehalten bleiben. Daher gibt es keinen geschichtlichen Zeitraum, der nicht mit der Katastrophe, und zwar zwangsläufig, enden wird." (E. Langgässer: "Das unauslöschliche Siegel", Bd. 2, Sammlung Luchterhand, S. 23) Sie verbindet dafür kulturpessimistisches Gedankengut mit geschichtsphilosophischen Reflexionen und heilsgeschichtlichen Motiven zu neuen Deutungsmustern. Der Roman wertet die Moderne als Verfall und stilisiert ihre eigene Gegenwart zum geschichtlichen Wendepunkt mit endzeitlicher Qualität. Langgässer entwirft eine Kritik am Nationalsozialismus und verstrickt sich aufgrund ihrer antiliberalen Position in Ambivalenzen gegenüber dem Nationalsozialismus. Hauptthema in der Dichtungen ist der Mensch in seinem Ringen um sein Heil bzw. sein Unheil.
Sonja Hilzinger beschreibt in ihrem Buch, warum Elisabeth Langgässer nach dem Krieg durch alle Raster fiel: "Elisabeth Langgässer, diese Frau der Widersprüche, die als Halbjüdin im `Dritten Reich´ unter Schreibverbot stand und deren älteste Tochter als Jugendliche nach Auschwitz deportiert wurde, die so verhaftet war in ihrem antijüdischem Katholizismus und die eigene jüdische Herkunft so völlig ausblendete, dass sie ihre und ihrer Tochter Gefährdung nicht realisierte – sie passt da nirgends hinein."
Zur Autorin: Dr. Sonja Hilzinger ist Privatdozentin für Neuere deutsche Literatur an der Universität Mainz. Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt auf Literatinnen der DDR- und Exilliteratur. Sie hat sich intensiv mit den Autorinnen Anna Seghers und Christa Wolf und der Herausgabe ihrer Werke beschäftigt. Hier nur eine kleine Auswahl ihrer Publikationen: Christa Wolf, Leben, Werk, Wirkung, (2007) Das Leben fängt heute an. Inge Müller, (2005) 1996 gab sie bei dtv ein Lesebuch mit Erzählungen von Anna Seghers heraus und zu der 13-bändigen Seghers-Taschenbuchausgabe im Aufbau Verlag schrieb sie die Nachworte. Sie lebt und arbeitet als Literaturwissenschaftlerin in Berlin. Weitere Informationen zur Autorin: www.sonjahilzinger.de
AVIVA-Tipp: Sonja Hilzinger legt anlässlich des 110. Geburtstages, dem 23. Februar, von Elisabeth Langgässer die erste umfassende Biografie der Autorin vor. Zusammen mit dem 1999 erschienen Marbacher Magazin zu Elisabeth Langgässer erhält frau einen erschöpfenden Einblick vorwiegend in das Leben und das Werk dieser kontroversen Frau. Hilzinger hat akribisch alle verfügbaren Materialien, Briefe und anderen Dokumente zusammengetragen. Da Langgässer ebenso wie Anna Seghers aus derselben Gegend um Mainz kommt und beide jüdischer Herkunft sind, versucht sie, häufig konstruiert, immer wieder Querverbindungen der beiden Autorinnen herzustellen.
Weiterführende Informationen zu Elisabeth Langgässer: www.langgaesser.de
Sonja Hilzinger
Elisabeth Langgässer
Eine Biografie
Verlag für Berlin-Brandenburg, erschienen März 2009
Gebunden, 497 Seiten
ISBN: 978-3-86650-250-5
29,90 Euro