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Beitrag vom 08.04.2009
Ina Kerner - Differenzen und Macht. Zur Anatomie von Rassismus und Sexismus
Claire Horst
Wie können die Funktionsmechanismen und das Verhältnis von Rassismus und Sexismus angemessen beschrieben werden? Das ist die Leitfrage, der die Autorin in ihrer Untersuchung nachgeht. Basierend...
... auf der Machtanalyse von Michel Foucault versteht sie Rassismus und Sexismus gleichermaßen als Postulate, die Machtstrukturen und Herrschaftsverhältnisse begründen.
Ina Kerner stellt also nicht die einzelnen Differenzkategorien in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung, sondern Machtkategorien. So vermeidet sie die Frage nach der "Essenz" von Rassismus und Sexismus und kann ihre Vielseitigkeit fassen.
Um die Verschränkungen und die gegenseitige Bedingtheit von Rassismen und Sexismen aufzuzeigen, analysiert sie zunächst die Funktionsweisen und die Ursprünge des Rassismus und widmet sich anschließend dem Sexismus. Dazu teilt sie beide Bereiche jeweils in drei Kategorien auf: die epistemische, institutionelle und personale Dimension. Im abschließenden Kapitel führt sie beide Bereiche zusammen und analysiert "Ähnlichkeiten, Unterschiede, Kopplungen und Intersektionen" zwischen ihnen.
Schon in der Einleitung verdeutlicht Kerner, dass sie keine empirische Analyse vorlegt. Ihr Werk ist nicht praxisbezogen angelegt, obwohl die Ergebnisse sich sicherlich in der antirassistischen / feministischen Praxis anwenden lassen. Stattdessen bietet sie eine Analyse und Bewertung der wichtigsten Theorien und stellt sie in einen Zusammenhang. "Das Ziel ist [...] die Erarbeitung einer Kartographie verschiedener Formen von Rassismus und Sexismus".
Das Teilkapitel "Rassismus" stellt zunächst unterschiedliche Definitionen von "Rasse" vor und verfolgt die Geschichte nicht nur des Rassenbegriffs, sondern auch der Auseinandersetzung damit. Bei Autoren wie Immanuel Kant und Houston Stewart Chamberlain sind unterschiedliche Konzeptionen von "Rasse" nachzuweisen, die bis in die heutigen Diskurse nachwirken. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann die Kritik daran, etwa durch Eric Voegelin und Magnus Hirschfeld. Kerner erläutert die unterschiedlichen Herangehensweisen und ihre Begrenztheit.
In der Nachfolge des Nationalsozialismus wurde das "Rasse"-Konzept wiederholt in Frage gestellt. Sehr differenziert legt Kerner die Problematik dar, die mit der Verwendung des "Rasse"-Begriffs wie mit seiner Ablehnung verbunden ist – wird auf ihn doch auch Bezug genommen, um rassistische Diskriminierung benennen zu können. Zudem kommt der Rassismus der Neuen Rechten ohne den Begriff der "Rasse" aus – er wird durch andere ersetzt, etwa den der "Ethnizität" oder der "Kultur". In einem ersten Fazit stellt Kerner fest, dass rassistische Denkformen flexibel seien. Um Rassismen fassen und ihre ausgrenzende und machtpolitische Wirkung erkennen zu können, müsse ihre Wandlungsfähigkeit erkannt werden.
In das Sexismuskapitel leitet die Autorin mit der Darstellung von Simone de Beauvoirs Werk ein, das sie als grundlegend für den modernen Feminismus ansieht. Im Anschluss betrachtet sie beispielhafte Vertreterinnen der wichtigsten Richtungen des Feminismus. Im Blickpunkt ihres Interesses stehen dabei die Konzeption von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen (wird von einer Zweigeschlechtlichkeit ausgegangen?) und inwiefern Differenzen innerhalb der Genusgruppen betrachtet werden. Ferner richtet sie ihr Augenmerk darauf, welche Bereiche untersucht werden, etwa Arbeitsteilung und Sexualität, und auf die Untersuchung von Machtstrukturen.
Kerner unterteilt den Feminismus in drei Hauptrichtungen: die Gleichheitsposition, die Differenzposition und Positionen, die das Konzept "Geschlecht" pluralisieren und hinterfragen. Grundlegend für ihre Unterscheidung ist also, wie Geschlecht gefasst wird. Innerhalb des Gleichheitspostulates unterscheidet sie zwischen liberalen, radikalen und sozialistischen Positionen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie für ein universalistisches Prinzip eintreten und gleiche Rechte für Männer und Frauen fordern. Sie erklären vermeintliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen – jenseits der strikt biologisch-körperlichen – für sozial konstruiert. Anhand der Ausrichtung auf bestimmte Interessengebiete differenzieren sich die Gleichheitsfeministinnen untereinander.
Die entgegengesetzte Position vertreten Verfechterinnen des "Gynozentrismus", die nicht die Konstruktion zweier Geschlechter, sondern die negative Bewertung "weiblicher" Eigenschaften kritisieren. Kerner gibt zu bedenken, dass der Gynozentrismus dazu beitragen kann, dass Stereotypen wie der Mutterkult und gewisse Weiblichkeitsmythen des Sichkümmerns zementiert werden. Dies gilt beispielsweise für die Theorie der in Frankreich populären Sylviane Agacinski, die in der Politik eine Geschlechterparität fordert, die auf den unterschiedlichen Bedürfnissen von Männern und Frauen beruhen solle. Ihr wirft Kerner zudem Heterosexismus vor.
Beiden Richtungen entgegengesetzt sind Theorien, die sich von reiner "Frauen"-Politik abwenden. Zunächst von afroamerikanischen und lateinamerikanischen Frauen wurde kritisiert, dass der Feminismus nur die Belange weißer, heterosexueller Frauen der Mittelschicht in den Blick nehme. Themen wie das der Arbeitsteilung im Haushalt oder der Entscheidung zwischen Beruf und Familie sind nicht für alle Frauen von Belang, stehen für viele gar nicht zur Wahl. Aktivistinnen und Theoretikerinnen wie bell hooks fordern also eine Pluralisierung des gender-Begriffes: nicht alle Frauen sind gleich.
Judith Butler führt diese Denkrichtung weiter und kritisiert nicht nur die Konstruktion des sozialen Geschlechts (gender), sondern auch die des biologischen (sex). Pluralisiert werden soll auch der sex-Begriff. In ihrer Betrachtung rassistischer Ausschreitungen gegen MigrantInnen in Deutschland und der Rolle, die Frauen dabei als Mittäterinnen spielen, untersucht sie bereits die Verschränkungen von Sexismus und Rassismus.
Im dritten Hauptkapitel führt Kerner Rassismus- und Sexismustheorien zusammen. Ähnlichkeiten untersucht sie unter Zuhilfenahme verschiedener AutorInnen. So verweisen einige ForscherInnen auf die Parallele zwischen der Rolle von Frauen und Ortsfremden im antiken Griechenland, die beide von der Norm des einheimischen Mannes abwichen. Kerner nennt auch die rassistisch-sexistische Praxis der abwertend gemeinten Feminisierung des schwarzen oder des jüdischen Mannes, die vielen Texten zugrunde liegt. In Kampagnen wie der Greencard-Initiative der Bundesregierung, in der "Kinder statt Inder" gefordert wurden, sieht sie eine Kopplung beider Mechanismen.
Kerner macht jedoch deutlich, dass eine einfache Gleichsetzung rassistischer und sexistischer Mechanismen etwaige Machtgefälle außer Acht lässt: Sie macht deutlich, dass reine Parallelisierungen nicht dienlich seien, da sie Verflechtungen, etwa die Rolle schwarzer Sexisten oder weißer Rassistinnen, nicht in den Blick nehmen könnten. "Verschieden ´Ungleiche` sind qua Ungleichheit gegenüber einer Normgruppe nicht automatisch untereinander gleich." Zur Untersuchung der Unterschiede nimmt sie auch die Funktion der Klasse in den Blick. Damit kommt das Konzept der "Triple Oppression" zum Tragen, das die vielfältige Verschränkung von Machtverhältnissen aufgrund von "Rasse", Klasse und Geschlecht untersucht.
AVIVA-Tipp: Das Buch, das auf Kerners Dissertation basiert, bietet eine umfassende Darstellung der wichtigsten Rassismus- und Sexismustheorien. Kerner setzt diese zueinander in Beziehung und klopft sie auf ihre Überzeugungskraft hin ab. Naturgemäß kommen einige Ansätze dabei zu kurz oder bleiben unerwähnt – das Konzept der "Critical Whiteness" wird nur in einem Satz gestreift, TheoretikerInnen der Postcolonial Studies bleiben außen vor. Ihr Ansatz jedoch, eine "Kartographie" der verschiedenen Rassismus- und Sexismustheorien vorzulegen und ihre Verbindungen untereinander aufzuzeigen, ist sehr produktiv. Das Buch bietet zwar keine Möglichkeit zur Handlungspraxis – wie etwa antirassistisches und feministisches Handeln aussehen könnte, ist nicht ihr Anliegen. Es zeigt aber die Vielschichtigkeit der beiden Formen ausschließenden Denkens auf und verdeutlicht, dass beide eng mit Machtstrukturen verknüpft sind. Zudem ist es als Einführung in die Rassismus- und Sexismustheorie bestens geeignet.
Zur Autorin: Ina Kerner ist Juniorprofessorin für "Diversity Politics" am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin und am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin.
Ina Kerner
Differenzen und Macht. Zur Anatomie von Rassismus und Sexismus
Campus Verlag, erschienen März 2009
Reihe Politik der Geschlechterverhältnisse, Band 37
ISBN: 9783593385952
34,90 Euro
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