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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 11.10.2015


Ingeborg Boxhammer - Marta Halusa und Margot Liu. Die lebenslange Liebe zweier Tänzerinnen
Lisa Sophie Kämmer

Die bewegende Geschichte zweier junger Frauen, deren Liebe die Zeit des Nationalsozialismus überdauerte. Mit ihrer Kurzbiografie liefert die Journalistin und Software-Trainerin einen wichtigen...




... Beitrag, um verfolgten lesbischen Frauen während der Nazizeit ein Gesicht zu geben.

Lesben im "Dritten Reich" – eine Spurensuche

Das Schicksal von lesbischen Frauen im Nationalsozialismus wurde wie die Diskriminierung und Verfolgung homosexueller Männer über viele Jahrzehnte von der Forschung nicht thematisiert. Erst infolge der Arbeiten der Historikerin Claudia Schoppmann, die in ihrer Dissertation die Situation vor allem weiblicher Opfer analysierte, nahmen sich zu Beginn der 1990er Jahre allmählich einzelne ForscherInnen dieser Thematik an. Im Zuge ihrer Recherchen zur Lebenssituation von lesbischen Frauen im Nationalsozialismus stößt auch die Journalistin Ingeborg Boxhammer auf das Schicksal einer Betroffenen, deren Leidensgeschichte wie die vieler anderer Lesben in Vergessenheit geraten ist. Es handelt sich um die jüdische Tänzerin Margot Liu. Mithilfe überlieferter Archivalien und der Unterstützung des Neffen von Margot Liu, gelingt es Boxhammer in der Folge, das Leben von Margot und ihrer Partnerin Marta Halusa zu rekonstruieren. Die so entstandene Kurzbiografie zeichnet sich dabei durch ein umfangreiches Bildmaterial aus, das den Lebensweg der beiden Protagonistinnen anschaulich illustriert.

Der Beginn einer lebenslangen Liebe – Margot Liu und Marta Halusa

Bevor Ingeborg Boxhammer die Verfolgungsgeschichte der beiden Frauen während der Zeit des Nationalsozialismus informativ erläutert, erfährt die Leserin in einem ersten Teil der Kurzbiografie mehr über die Herkunft der beiden Protagonistinnen.
Margot Liu, die 1912 als Margot Holzmann im schlesischen Ratibor geboren wird, wächst als Halbwaise in einem jüdischen Erziehungsheim auf, das 1907 von der berühmten Frauenrechtlerin Bertha Pappenheim (1859-1936) in der Nähe von Frankfurt gegründet wurde. Ihr Traum, eines Tages als angesehene Tänzerin zu arbeiten, erfüllt sich nach bestandener Ausbildung in einer Ballettschule. So tritt Margot ab 1931 erfolgreich als Tänzerin in verschiedenen deutschen Städten auf.
Während ihre spätere Tanz- und Lebenspartnerin eine professionelle Ausbildung genoss, lernt Marta Halusa das Tanzen neben ihrer Anstellung als Küchenhilfe.
Sie wird 1910 in Brunsbüttel geboren, wächst in einfachen Verhältnissen auf und ist evangelischer Konfession. Die beiden Frauen lernen sich 1932 in Hamburg kennen und lieben, wo beide in derselben Varieténummer als Tänzerinnen auftreten. Als "Pepita und Peter" touren sie anschließend durch Deutschland, wobei sie auch einige Auftritte im Ausland absolvieren. Gemeinsam ziehen sie 1937 nach Berlin.

Verfolgt und inhaftiert

Während die männliche Homosexualität infolge des § 175 in den Jahren 1933 bis 1945 öffentlich unter Strafe gestellt wurde und Tausende homosexuelle Männer aufgrund ihrer sexuellen Neigung in Konzentrationslager verschleppt wurden, waren sexuelle Handlungen unter Frauen nicht strafrechtlich kriminalisiert. Zwar verstieß auch ihre Sexualität gegen das "gesunde Volksempfinden", doch erblickte man in ihren gleichgeschlechtlichen Handlungen keine ernstzunehmende Gefahr, sondern qualifizierte sie als "kurzzeitige Verirrungen" ab. Lesben gerieten dennoch ab 1935 verstärkt als sogenannte "Asoziale" in das Visier der Gestapo, die einen Zusammenhang zwischen Prostitution und weiblicher Homosexualität vermutete. Auch Margot und Marta werden in der Folge mehrmalig verhaftet und der "Gewerbsunzucht" bezichtigt. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft ist Margot in besonderer Weise gefährdet. In Absprache mit Marta heiratet sie deshalb 1941 den Chinesen Chin-Lan Liu, wodurch sie die chinesische Staatsbürgerschaft erhält. Als dieser sich getäuscht sieht und die Scheidung einfordert, taucht Margot mithilfe von Marta unter. Nur mit viel Glück überlebt das Paar das Ende des Krieges.

Im Kampf um eine rechtmäßige Entschädigung

Im Herbst 1945 stellen Liu und Halusa einen Antrag auf Anerkennung als "Opfer des Faschismus". Sie beide sind von der Gestapo mehrmals in "Schutzhaft" genommen und gewaltsam verhört worden, wodurch sie körperliche und seelische Gebrechen davontragen. Da beide Frauen auch im antifaschistischen Widerstand aktiv waren, werden ihre Anträge schließlich bewilligt. Dennoch kommt es in den nachfolgenden Jahren zu langwierigen Prozessen, in deren Verlauf die beiden immer wieder darum kämpfen müssen, dass ihr Leid staatlicherseits anerkannt wird. Während ehemalige Täter und Handlanger zum Teil hohe Gehälter und Renten beziehen, müssen Liu und Halusa wie viele andere Opfer des NS-Regimes um eine rechtmäßige Entschädigung bangen. 1949 emigrieren die beiden nach England. In Deutschland, wo man sie aufgrund ihrer Liebe und Margots jüdischer Herkunft verfolgte, möchten sie nie wieder leben.

Zur Autorin: Ingeborg Boxhammer wurde 1962 in Ostwestfalen geboren und arbeitet gegenwärtig als freie Journalistin und Software-Trainerin. 1991 erlangte sie den Magister in Älterer und Neuerer Germanistik sowie Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in Bonn. Von 1991 bis 1997 arbeitete sie als Filmarchivarin und Vorführerin in einem Kino. Neben dem Schreiben von Filmrezensionen hält sie seit 1992 auch Filmvorträge. Im Frühjahr 2007 veröffentlichte sie ihr erstes Buch "Das Begehren im Blick - Streifzüge durch 100 Jahre Lesbenfilmgeschichte". Seit 2005 ist sie Redakteurin bei dem Online-Portal lesbengeschichte.org.
Aktuell arbeitet Boxhammer an einer Biografie über Margarete Herz (1872-1947) und Helene Wolff (1871-1917), die als frühe Aktivistinnen im Kampf für das Frauenwahlrecht auftraten.

AVIVA-Tipp: Mit ihrer "Jüdischen Miniatur" ist es Boxhammer gelungen, das Schicksal der beiden Tänzerinnen Margot Liu und Marta Halusa knapp, aber eingehend nachzuzeichnen. Ihre Kurzbiografie dürfte einen wichtigen Impuls für die historische Forschung liefern, die weiterhin daran krankt, die Lebenswege lesbischer Frauen im Nationalsozialismus ausreichend sichtbar zu machen. Dass die biografische Rekonstruktion aufgrund unzureichenden Quellenmaterials dabei Lücken aufweist und die Autorin in mehreren Fällen auf Vermutungen zurückgreifen muss, tut dem Büchlein keinen Abbruch, sondern zeugt von den Bemühungen Boxhammers, die die Leserin zugleich zu eigenen Schlussfolgerungen anspornt.

Ingeborg Boxhammer
Marta Halusa und Margot Liu. Die lebenslange Liebe zweier Tänzerinnen

Hentrich & Hentrich Verlag Berlin, erschienen im August 2015
Aus der Reihe Jüdische Miniaturen, Bd. 175, herausgegeben von Hermann Simon
Broschur, 92 Seiten, 20 Abbildungen
ISBN 978-3-95565-116-9
9,90 Euro
www.hentrichhentrich.de

Weitere Infos unter:

www.lesbengeschichte.org Quellen und Studien zu lesbischen Frauen im Nationalsozialismus

www.freie-radios.net Interview mit der Historikerin Claudia Schoppmann zum Thema Lesben im Nationalsozialismus

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Lisa Sophie Kämmer