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Beitrag vom 19.03.2015
Laurie Penny - Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution
Claire Horst
Schnoddrig wie gewohnt schreibt die Autorin von "Fleischmarkt" sich auch hier wieder ihre Wut vom Herzen. Ihren klaren Blick verliert sie dabei jedoch nie – auch nicht in Bezug auf vermeintliche...
... MitstreiterInnen im Kampf um eine gerechte Welt, denen sie Blindheit für die wirklichen Herausforderungen vorwirft.
Ihre Wut richtet sie nicht nur gegen ein abstraktes "neoliberales" System, das statt gleicher Teilhabe aller den maximalen Profit für wenige anstrebe, sondern auch an Strömungen des Feminismus, die sie als zu wenig radikal empfindet. Statt gegen Sexismus richteten diese sich gegen Sex, statt für Rechte für alle kämpften sie nur für Rechte einer bestimmten Gruppe.
Denn Strömungen des "Mainstream-Feminismus", die das ultimative Heil in der Etablierung von Frauenquoten sähen, hält Penny für wenig revolutionär. An der Logik des Kapitalismus ändern solche Maßnahmen gar nichts, findet sie – und selbst wenn eine Minderheit von Frauen davon profitieren würde, änderte sich für die Mehrheit gar nichts.
Diese anderen möchte die Autorin aufrütteln, diejenigen, die bislang nicht profitieren und dennoch an einen möglichen Wandel glauben. Mit dem gewohnten Pathos appelliert Penny an ihre Zielgruppe:
"Das Buch richtet sich an die anderen, die sich nie zufrieden geben, denen es nie gut genug, denen es nie frei genug ist, wenn nur ein paar gleichberechtigt sind. Es ist für die Unsäglichen, die Unnatürlichen, die, die andere verschrecken. Die nicht tun, was man ihnen sagt. Die den Mund aufmachen, wenn sie es nicht sollen, und die nicht auf Knopfdruck lächeln. Die schräg sind und immer zu viel wollen. Wenn ihr so jemand seid oder sein könntet, dann ist dieses Buch für euch."
Ihre eigene Erfahrung als magersüchtige Jugendliche, aus von gängigen Schönheitsnormen unterdrückte junge Frau, als von Trollen und Stalkern bedrohte Journalistin zieht die Autorin immer wieder heran, um ihr Missbehagen an gesellschaftlichen Strukturen zu erläutern. Und sie sucht nach Verbündeten:
Was bedeuten starre Geschlechternormen für Männer? Dass auch männlich sozialisierte Menschen unterdrückenden Strukturen unterworfen sind, dass der Zwang zu Stärke und Gefühllosigkeit Männer ebenso zerstören können wie der Zwang zur Unterwerfung Frauen, legt Penny glasklar dar.
Ihr Feminismus will ein "Feminismus für alle" sein: "Feminismus, der sich verkauft, ist ein Feminismus, der so gut wie allen gefällt und niemandem, weh tut, ein Feminismus, der beruhigt, der sich an die Mittelschicht richtet und für sie spricht, der auf sozialen Aufstieg ausgerichtet ist, der von Schulen, Shopping und zuckerfreien Snacks faselt und sich nicht etwa mit armen Frauen, queeren Frauen, hässlichen Frauen, transsexuellen Frauen, Sexarbeiterinnen, allerinstehenden Müttern der anderen befasst, die nicht ins Schema passen. Diese Art Feminismus interessiert mich nicht."
Immer wieder appelliert Penny an ihre LeserInnen, für alle zu kämpfen, eben auch die nichtweißen Frauen im Blick zu behalten – und kommt dann doch immer wieder auf die eigenen Erfahrungen und Schwierigkeiten zurück, wenn es konkret wird. Und das sind eben die einer weißen, akademisch gebildeten Vertreterin der Mittelschicht. Das ist der Widerspruch, dem sie nicht entkommen kann: Einerseits plädiert sie dafür, gemeinsam zu kämpfen – denn sexistische Strukturen schaden allen. Dann schreibt sie aber wieder von den "Mädchen mit dem Prinzessinnenhaar" und dem "rosigen Teint, über den Männer sehnsüchtig schreiben". Obwohl sie also alle hereinholen will, ein Ende machen will mit der Orientierung an den Anforderungen des Mainstreams, der Frauen gegeneinander aufhetzt, der die "Schönen" und die weniger Schönen gegeneinanderstellt, tappt sie in dieselbe Falle.
Erhellend ist ihre Darstellung der New Yorker Occupy-Bewegung, an der sie einerseits die vielen Beteiligten interessieren, die ganz unten sind – Obdachlose, Straßenkinder, Langzeitarbeitslose – andererseits aber die Tatsache, dass auch hier Vergewaltigungen und Frauenfeindlichkeit stattgefunden haben. "Sozialismus ohne Feminismus ist kein Sozialismus, den es sich zu haben lohnt, und Männer und Jungs lernen langsam und qualvoll, dass sie sich nicht allein befreien können."
In weiteren Kapiteln untersucht Penny die Rolle des Internets und sozialer Medien für feministische Kämpfe. Interessant ist das, weil sie damit die Stimme einer neuen Generation hörbar werden lässt: Die Stimme der Digital Natives, von Menschen, für die – zumindest Penny zufolge –Sex im Internet vollkommen normal geworden ist und die ernüchtert feststellen mussten, dass auch für Geeks und Nerds kein Entkommen besteht: Denn selbst im Netz herrschen sexistische Denkmuster –auch dort gelten dieselben Zuschreibungen und Erwartungen.
Ohne sich auf Eva Illouz zu beziehen, streift die Autorin auch das Konzept der romantischen Liebe und die damit verbundenen Herausforderungen an Männer, Frauen und alle anderen. Wie viele der Themen im Buch kann sie auch dieses nur streifen.
AVIVA-Tipp: Das Buch ist beides: ein engagierter Aufschrei gegen Unfreiheit und Unterdrückung – und eine ungeordnete Ansammlung von Themen, die andere schon systematischer bearbeitet haben. Die persönliche Herangehensweise der Autorin, ihr Bezug auf eigene Erfahrungen eignet sich sicherlich gut dazu, auch Menschen zu begeistern, denen ihr Aufruf zu radikaler Veränderung zunächst fremd ist. Ihre Begeisterung für feministische Anliegen und ihr Furor gegen die Unterwerfung unter die kapitalistische Verwertungsmoral reißen mit.
Zur Autorin: Laurie Penny ist die wichtigste Stimme des jungen Feminismus in Großbritannien und Deutschland. 1986 in London geboren, lebt sie derzeit in England und den USA. Sie hat Englische Literaturwissenschaft in Oxford studiert, ihr Blog "Penny Red" wurde 2010 für den George Orwell Award für politisches Schreiben nominiert. Sie schreibt regelmäßig für den New Statesman und für New Inquiry sowie auf Twitter, wo sie inzwischen über 100.000 Follower hat. (Verlagsinformationen)
Die Autorin im Netz: laurie-penny.com
Laurie Penny
Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution
Originaltitel: Unspeakable Things
Aus dem Englischen von Anne Emmert
Edition Nautilus, erschienen im Februar 2015
Broschur, 288 Seiten
ISBN 978-3-89401-817-7
16,90 Euro
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