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Beitrag vom 21.10.2014
Stefan Koldehoff - Die Bilder sind unter uns. Das Geschäft mit der NS-Raubkunst und der Fall Gurlitt
Hilde Schramm
Der Kulturredakteur und Autor hat sein 2009 bei Eichborn erschienenes Buch aktualisiert, um das Kapitel "Gerettet oder gestohlen? Der Fall Gurlitt" erweitert und ein Schlusskapitel "Perspektiven...
... für eine neue deutsche Raubkunstpolitik 2014" angefügt.
Der Anhang enthält, wie bereits 2009, "Ausgewählte Vorschriften über den Kunstbesitz von Juden in Deutschland 1933- 1945", die "Washingtoner Erklärung" 1998, und die "Berliner Erklärung" 1999. Im Gegensatz zur Ausgabe von 2009 fehlt ein alphabethisches Literaturverzeichnis.
Das Buch berichtet über die Beraubung von Juden und Jüdinnen, die Kunstsammlungen besaßen, durch den deutschen Staat zwischen 1933- 1945 und den skrupellosen Handel mit diesem Raubgut –speziell mit Bildern - in der Bundesrepublik Deutschland bis Ende der 90er Jahre. Es erläutert, welche Veränderungen im Diskurs und in der Praxis der Restitution stattfanden, seitdem sich Deutschland in der "Berliner Erklärung" von 1999 "zur Auffindung und Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz" (S. 313) verpflichtet hat. Darüber hinaus diskutiert das Buch das gegenwärtige Fehlen von Rechtsgrundlagen. Angesichts der Tatsache, dass trotz einer Selbstverpflichtung viele Probleme ungelöst sind, plädiert der Autor abschließend dafür, die moralische Verantwortung durch eine "praktischen Verantwortung" (S. 272) zu untermauern, und macht konkrete Vorschläge, wie das Auseinanderklaffen "zwischen Recht und Moral" (S. 266) zu verringern sei.
Das Buch quillt geradezu über von Informationen und ist dennoch gut zu lesen, nicht selten sogar richtig spannend. Dabei erspart es dem Leser und der Leserin ein Erschrecken über die zentralen Befunde und über viele schier unfassbare Details nicht.
Der Autor arbeitet vorrangig mit "ausgewählten Beispielen, die etwas Exemplarisches belegen" (S. 256), in die er thematische Einschübe einfügt. Zum einen rekonstruiert er Biographien von Kunsthändlern, ganz überwiegend Männer, die im Auftrag oder mit Billigung der NS-Regierung deren Raubkunstpolitik umsetzten, und nach dem Krieg häufig weiter im Kunsthandel tätig waren. Zum anderen spürt er beispielhaft dem Verschwinden und Wiederauftauchen von Sammlungen und einzelnen Bildern aus jüdischem Besitz nach. Indem Koldehoff biographische Recherchen zu den Akteure mit fallbezogenen Recherchen zu Kunstwerken auf einander bezieht, kann er das Zusammenspiel von Kunsthändlern, Museen und Privatpersonen bei der Vermarktung von Bildern jüdischer Herkunft detailreich belegen. Die Beispiele zeigen, dass in der frühen Bundesrepublik kaum jemand Anstoß daran nahm, dass für die Zeit von 1933-1945 in der Regel Angaben zu den früheren Besitzern fehlten. Kunsthändler und Auktionshäuser verwischten oder unterschlugen die Herkunft der Bilder, auch wenn sie diese nachweislich kannten. Die Käufer ihrerseits, seien es Museen oder Privatpersonen, fragten nicht nach. Die einen deklarierten "Herkunft ungeklärt", die anderen reklamierten "gutgläubigen Erwerb".
Und so braucht man sich auch nicht zu wundern, dass selbst Adenauer Werke für seine Bildersammlung erwarb, die unter NS-Raubkunst fallen (S. 231 –S. 247). Auch der Bundeskanzler interessierte sich nicht dafür, woher die ihm angebotenen Bilder stammten und vermied es so, auf mögliche Restitutionsansprüche zu stoßen.
In der deutschen Nachkriegsgesellschaft wurden personelle Kontinuitäten im Kunsthandel ebenso ausgeblendet wie Kontinuitäten im widerrechtlichen Besitz jüdischen Eigentums. Dabei hatte die Alliierte Militärregierung für die westlichen Besatzungszonen die Rückgabe von Vermögen jeder Art in einem Gesetz verankert (S. 110 f.) und bereits ab Herbst 1945 damit begonnen, Kunstwerke ihren rechtmäßigen Eigentümer oder deren Erben zurückzugeben (S. 154). Die Aufforderung dazu kannten alle, sie wurde aber nur im Ausnahmefall von öffentlichen Einrichtungen und Privatpersonen befolgt. Die entsprechenden alliierten Vorschriften gingen in die spätere Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland zur Entschädigung und Wiedergutmachung ein, deren Fristen allerdings in der Regel bereits in den 60er Jahren ausliefen. Wie sich diese Gesetzgebung auf die Rückerstattung speziell von NS-Raubkunst auswirkte, wird im vorliegenden Buch zwar gestreift, ist aber kein eigenständiges Thema.
Im Rahmen des skizzierten Zusammenspiels von Kunsthändlern, Museen und privaten Sammlern ist besonders aufschlussreich, wie stark der Handel mit NS-Raubkunst verschränkt war mit dem An- und Verkauf moderner Kunst. Die Verschränkung reicht bis in die Zeit des Nationalsozialismus zurück. Schon damals verschafften sich häufig die gleichen Kunsthändler, die an der Arisierung jüdischen Eigentums mitwirkten und von der Diffamierung und Verfolgung jüdischer Künstler und Künstlerinnen profitierten, Zugang zur sogenannten "entarteter Kunst". Sie erwarben Bilder der Moderne zu Spottpreisen, die in Museen beschlagnahmt worden waren oder aus jüdischen Sammlungen stammten. Ein Teil der Bilder eigneten sie sich selbst an, andere verkauften sie - mit oder ohne staatliche Erlaubnis - an Privatpersonen oder ins Ausland. Dabei spielte durchaus, bei einigen mehr bei anderen weniger, das Motiv eine Rolle, Werke, die als "entartet" galten, vor der Vernichtung zu bewahren, und zwar unabhängig davon, ob Juden und Jüdinnen oder Nichtjuden sie geschaffen hatten. Wie Koldehoff zugespitzt am Beispiel von Bernhard Boehmer zeigt, konnten beides, Bereicherung und Bewahrung, in einer Person eng beieinander liegen (S. 92-110, S. 116).
Im Zuge der in Deutschland nachzuholenden Moderne kamen dann zahlreiche Kunsthändler, die mit dem NS-Regime paktiert hatten, oder ihre Erben, nicht nur zu Reichtum, sondern auch zu Ehren. Ihnen wurde als Verdienst zugeschrieben, dass Werke, die als "entartete Kunst" aus dem öffentlichen Leben verschwunden waren, nun wieder in deutschen Museen hingen (S. 256). Sie wurden als "Retter" moderner Kunst gefeiert, wie Ernst Holzinger (S. 149-154), als Mäzenen geehrt wie Karl Haberstock (S. 155-158), stilisierten sich als NS-Opfer, wie Wilhelm Ettle (S. 158-168) oder wirkten dubios im Hintergrund wie Wilhelm Rüdiger, der ein Vorreiter der NS-Kunstideologie und -Politik gewesen war und schließlich als Kunsthistoriker zu Ansehen zu kam (S. 191-197, S. 201-210). Gemeinsam ist ihnen, dass sie ihre Beteiligung am Kunstraub während der NS-Herrschaft und ihre private Vorteilsnahme verschwiegen. Erst in letzter Zeit erschienen vereinzelt Biographien, die solche apologetischen Selbstdarstellungen und gesellschaftlich akzeptierten Deutungsmuster korrigierten.
Die Geschichtsvergessenheit in Deutschland zur NS-Raubkunst dauerte mindestens 40 Jahre. Entscheidendes änderte sich erst in den 90er Jahren. Dazu beigetragen hat, dass Erben jüdischer Sammler häufig ihre Besitzansprüche erst nachweisen konnten, nachdem die Archive im ehemaligen "Ostblock" zugänglich geworden und die Sperrfristen in den Archiven der Bundesrepublik abgelaufen waren. So hat z.B. die Oberfinanzdirektion Berlin, bei der 77 Aktenorder aus den Jahren 1935-1944 über die bei der Reichskammer der Bildenden Künste anzumeldenden Versteigerungen lagerten, erst 1989 ihren Aktenbestand an das Landesarchiv Berlin übergeben (S. 112 f.).
Ausschlaggebend für die Veränderungen aber war der zunehmende internationale Druck. Im Dezember 1998 verabschiedeten 44 Staaten, darunter Deutschland, gemeinsam mit Nicht-Regierungs-Organisationen und jüdischen Opferverbänden die "Washingtoner Erklärung". Sie enthält "Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden" und wurde den einzelnen Staaten zur Umsetzung empfohlen (S. 113 f.). Dem kam Deutschland im Dezember 1999 mit einer gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände nach (S. 114 f.). Diese "Berliner Erklärung" geht an einem entscheidenden Punkt über die "Washingtoner Erklärung" hinaus: Sie formuliert Restitutionsansprüche auch für "NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut", also für Kulturgut, das in einer Zwangs- oder Notsituation von den jüdischen Eigentümern selbst zum Verkauf gegeben wurde, und beschränkt sich nicht wie die "Washingtoner Erklärung" auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt oder in anderer Weise aktiv weggenommenen wurden.
Die Berliner Erklärung ist eine freiwillige moralische Selbstverpflichtung, an die zwar "durch die Zustimmung ihrer Träger alle öffentlichen deutschen Museen, nicht aber die Privatsammler gebunden sind" (S. 115). Die nur moralische, nicht rechtliche Verpflichtung bedeutet zugleich: "Nach wie vor kann kein Museum, kein Händler dazu gezwungen werden, diesen Grundsätzen zu folgen" (S. 114). Auch eine Kommission, die zur Schlichtung von Streitfällen eingesetzt wurde, die sogenannte "Limbach-Kommission", darf lediglich Empfehlungen aussprechen.
Kolderhoff kommt zu dem Ergebnis, dass die Akzeptanz der Washingtoner und Berliner Prinzipien nach wie vor gering ist. (Ausführungen und Bespiele zu Unterlassungen und eklatanten Verstößen siehe S. 115, S. 177, S. 260-267, S. 272). Dabei verkennt er nicht, dass zahlreiche Museen dabei sind, ihre Bestände zu durchforschen oder bereits durchforscht haben, und Kunstwerke aus ehemals jüdischem Besitz zurückgaben, wie z.B. die Hamburger Kunsthalle oder die Staatliche Kunstsammlung Dresden. Eine der Ursachen für die ungenügende Umsetzung der Selbstverpflichtung sieht er darin, dass viele Museen, insbesondere kleine Museen, keine Kapazitäten und keine Mittel für Provenienzforschung haben, und der Bund erst seit 2008 Fördermittel hierfür, wenn auch noch immer in einem zu geringen Umfang, zur Verfügung stellt (S. 275).
Die seit 1994 von Bund und Ländern gemeinsam betriebene "Lost Art Internet-Datenbank" soll über Suchmeldungen das Auffinden von Kulturgütern erleichtern, die kriegsbedingt abhanden gekommen sind oder insbesondere jüdischen Eigentümern verfolgungsbedingt entzogen wurden. Sie soll zudem über Fundmeldungen zur Klärung der Herkunft von Kulturgütern beitragen, "für die auf Grund von Provenienzlücken eine solche Verlustgeschichte nicht ausgeschlossen werden kann" (Lost Art Koordinierungstelle Magedeburg). Koldehoff weist verschiedentlich auf die begrenzte Nutzung der Datenbank durch die gegenwärtigen Besitzer hin. Immer noch unterlassen es viele Museen und Privatpersonen, Kunstwerke, die möglicherweise aus jüdischem Besitz stammen, dort einzustellen.
Die Hauptschwierigkeit bei der Umsetzung der Prinzipien, zu der sich die Bundesrepublik Deutschland bereits 1998 verpflichtet hat, sieht der Autor darin, dass es in Deutschland, anders als in Österreich - wenn auch dort nur mit beschränkter Reichweite (S. 273) – kein Gesetz gibt, das die Suche nach Raubkunst und deren die Rückgabe regelt. Er fordert unter Berücksichtigung der föderalen Zuständigkeit für Kultur eine gesetzliche Verpflichtung, der sich auch die Bundesländer nicht entziehen können (S. 273 f.).
Die gegenwärtig begrenzte Handlungsfähigkeit des Staates, den Opferfamilien gerecht zu werden, hat für Koldehoff "der Fall Gurlitt" vor Augen geführt. Verjährung und längst abgelaufene Anspruchsfristen erwiesen sich als nicht übersteigbar. Überlegungen zu einem rückwirkenden Gesetz blieben, bei guten Gründen auf beiden Seiten, kontrovers. Vermeiden von Öffentlichkeit und Unverhältnismäßigkeit der Mittel kennzeichneten das Verhalten der Justiz im vorliegenden Beispiel.
Zu bedenken ist allerdings: "Allein auf dem juristischen Weg wird sich das Problem nicht lösen lassen" (S. 271). Nach fast 70 Jahren, der unterlassenen, zeitnahen Klärung jüdischer Besitzansprüche und dem häufig dutzendfachen Standortwechsel eines Kunstwerks können viele aktuelle Besitzer in der Tat nicht wissen, dass ihr Bild einmal einer jüdischen Familie gehörte. Ein fairer Ausgleich wäre oft nur mit staatlicher finanzieller Unterstützung möglich. "Was die privaten Sammlungen angeht, so ist das deutsche Raubkunst-Dilemma … vor allem ein finanzielles" (S. 274). Das gleiche gilt für finanzschwache Museen, sofern beide Seiten im Rückkauf die bestmögliche Lösung sehen. Koldehoff entwickelt deshalb die Idee einer Bundesstiftung Raubkunst in Analogie zur Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" für vergessene NS-Opfer, insbesondere ehemalige Zwangsarbeiter. Wie dort Unternehmen, so sollten sich hier die Kunsthandelsverbände finanziell beteiligen.
Zum Autor: Stefan Koldehoff, geboren 1967, ist Kulturredakteur beim Deutschlandfunk in Köln und schreibt unter anderem für Die Zeit und die FAZ. 2008 wurde er für seine investigativen Recherchen mit dem puk-Journalistenpreis ausgezeichnet. 2012 veröffentlichte er gemeinsam mit Tobias Timm Falsche Bilder, echtes Geld zum Fall Beltracchi. Das Buch wurde mit dem Prix Annette Giacometti und dem Otto-Brenner-Preis ausgezeichnet.
Stefan Koldehoff
Die Bilder sind unter uns.
Das Geschäft mit der NS-Raubkunst und der Fall Gurlitt
Verlag Galiani Berlin, erschienen März 2014
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