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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 01.08.2013


Rutu Modan - Das Erbe
Madeleine Jeschke

Nach "Blutspuren" erscheint nun die zweite Graphic Novel der israelischen Comiczeichnerin und Illustratorin. Teilweise durch ihre eigene Biographie inspiriert, erzählt Modan die Geschichte einer…




... gemeinsamen Woche von Großmutter und Enkelin in Polen. Die ursprüngliche Bestimmung dieser Unternehmung nimmt, mit dem Aufkommen von lange Verdrängtem, eine Wendung und wird für beide Frauen zu einer bedeutenden und emotionalen Erfahrung.

Reise in die Vergangenheit

Nach dem Tod ihres Vaters begleitet die junge Israelin Mica ihre Großmutter Regina nach Warschau, um ihr dabei zu helfen eine Hinterlassenschaft entgegen zu nehmen, die ihre Familie in den 1940 Jahren gezwungen war aufzugeben. Regina war als junge Frau vor den Nazis nach Israel geflohen und hat ihre ehemalige Heimat seither nicht mehr betreten.

Kurz nach der Ankunft im Hotel wird Regina von einem Geheimnis aus ihrer Vergangenheit einholt, als sie aus Neugier einen Blick in das lokale Telefonbuch wirft und eine erschreckende Entdeckung macht. Doch anstatt diese mit ihrer Enkelin zu teilen, beginnt Regina einen Streit und will nichts mehr von dem ursprünglichen Grund der Reise wissen.
Irritiert über das Verhalten ihrer Großmutter unternimmt Mica eigene Nachforschungen zu dem genauen Inhalt des Erbes. Auf Schritt und Tritt begleitet wird sie dabei von dem undurchsichtigen und penetranten Avram, ein Freund der Familie, den sie im Flugzeug getroffen haben.

"Der Familie muss man nicht die ganze Wahrheit sagen und das ist noch lange keine Lüge"

Dieses Zitat im Epigraph zu "Das Erbe" stammt von Michaela Modan (Rutu Modans Mutter) und ist programmatisch für diese Geschichte. Alle ProtagonistInnen haben Geheimnisse voreinander. Jede/r scheint eigene Ziele zu verfolgen und keine/r dem anderen zu wirklich zu vertrauen.
Begleitet von Irrtümern und falschen Vermutungen wird das Rätsel um Reginas Geheimnis bis zum großen Finale fortgeführt. Dazu versammeln sich die Hauptcharaktere, zu Zaduszki (Allerseelen), auf einem Warschauer Friedhof, einem Ort, an dem Vergangenheit und Gegenwart aufeinander treffen.

Es geht jedoch nicht allein um Reginas Konfrontation mit ihrer Vergangenheit. Auch Mica erfährt viel über sich selbst innerhalb dieser einen Woche in Warschau. Sie löst nicht nur das Rätsel um ihre Familie, sie verliebt sich auch in den Polen Tomasz, einen Comiczeichner, der seinen Job als Tour Guide durch das Jüdische Warschau als Quelle für seine Illustrationen nutzt.

Rutu Modan ist bekannt dafür, in ihren Arbeiten komplexe gesellschaftliche Themen im Rahmen von zwischenmenschlichen Beziehungen und Familiengeschichten zu verarbeiten. Hier nähert sie sich dem Konflikt zwischen der ersten und dritten Generation Holocaustüberlebender über die Beziehung einer Großmutter zu ihrer Enkelin. Letztere versucht Lücken in ihrer Identität zu schließen, die durch das bewusste Verschweigen der Großmutter von wichtigen Ereignissen aus ihrer Vergangenheit entstanden sind. Die Künstlerin nimmt auch Bezug auf das Jüdisch/Israelisch-Polnische Verhältnis nach der Shoa, indem sie Charaktere beider "Seiten" miteinander agieren lässt. Modan verzichtet jedoch auf traumatische Rückblenden oder Darstellungen polnischen Antisemitismus´. Wenn sie sich auf den Holocaust bezieht, dann in satirisch-humoristischer Weise. So lässt sie einen israelischen Lehrer zynisch bemerken: "Madjanek steckt Ausschwitz in die Tasche. Ist viel grausiger." An anderer Stelle gerät Mica inmitten eines historischen Rollenspiels zum Gedenken an den Aufstand des Warschauer Ghettos und wird versehentlich von einem übereifrigen, als SS-Soldat verkleideten Schauspieler festgenommen.

Comic, Roman und Film - eine Verschmelzung

Dies sind die Elemente, die Rutu Modans "Das Erbe" ausmachen.
Ihren cineastischen Stil, der schon in "Blutspuren" abzeichnete, führt sie fort und hat dieses Mal außerdem mit SchauspielerInnen zusammengearbeitet, wodurch ihre Figuren noch realistischer wirken. In einem Interview mit der National Post erzählt die Künstlerin: I decided to make the book almost like a low-budget film. I hired professional actors and directed them according to a storyboard. I even used wardrobe and props. What I tried to achieve is that the characters will feel very much alive, like they were real people".

Graphisch erinnert Modan an die Technik der ligne claire von Hergés "Tim und Struppi". Ihr reduzierter Stil betont durch seine klaren Linien und leuchtenden Farben insbesondere die Mimik und Gestik der ProtagonistInnen und lässt so selbst subtile emotionale Schattierungen sichtbar werden.

Die Erzählweise der Comicautorin ist novellistisch und schafft es, durch Auslassungen die Spannung durchgehend aufrechtzuerhalten. Durch die Liebesgeschichte sowie durch die vielen humorvollen Szenen kreiert Modan eine fesselnde Balance zwischen Komödie und Drama.

AVIVA-Tipp: Der Comicautorin und Illustratorin gelingt es, schwer fassbare, vielschichtige Themen um Identität, Generationskonflikte und den Umgang mit traumatischen Erlebnissen in der Vergangenheit, in einer nicht weniger komplexen, dafür aber greifbareren Familiengeschichte den Lesenden in leichter, oft amüsanter Form zugänglich zu machen.

Zur Künstlerin: Rutu Modan wurde 1966 in Tel Aviv geboren, wo sie lebt und als Comicautorin und Illustratorin arbeitet. 1992 schloss sie die Bezalel Academy of Art and Design in Jerusalem ab, war Mitherausgeberin der israelischen Ausgabe des "MAD-Magazine". 1995 gründete sie zusammen mit Mira Friedmann, Batia Kolton, Yimri Pinkus und Itzik Rennert "Actus Tragicus", ein israelisches KünstlerInnenkollektiv und Verlagshaus für alternative ComicautorInnen, mit dem Modan als Comiczeichnerin internationale Bekanntheit erlangte. Seit 2005 gehört sie zu den von der Israel Cultural Excellence Foundation (IcExcellence) ausgezeichneten "hervorragenden Künstlern Israels". 2008 wurde ihre Graphic Novel "Blutspuren" auf Deutsch in der Edition Moderne veröffentlicht. Die französische Ausgabe bekam im Frühling 2008 beim renommierten internationalen Comic-Festival in Angoulême den "Prix France Info". Rutu Modan ist in Israel und im Ausland auch als Illustratorin und Texterin für Magazine und Bücher tätig, inklusive der "New York Times", "New Yorker" und "Le Monde". 2012 veröffentlichte sie mit "Maya Made a Mess" ihr erstes eigenes Kinderbuch, zuvor arbeitete bereits erfolgreich als Illustratorin für KinderbuchautorInnen.

Das Erbe
Rutu Modan

Originaltitel der englischen Ausgabe: The Property
Originaltitel der hebräischen Ausgabe: Ha Neches
Übersetzung aus dem Hebräischen Gundula Schiffer
Carlsen Verlag, erschienen 30. Juli 2013
Hardcover, 224 Seiten
ISBN: 978-3-551-78576-3
Preis: 24,90 Euro
www.carlsen.de

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www.heflinreps.com


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(Quellen: Verlagsinformationen, National Post Interview: A Q&A with Rutu Modan, author of The Property)


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Beitrag vom 01.08.2013

AVIVA-Redaktion