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AVIVA-BERLIN.de im Oktober 2024 - Beitrag vom 26.06.2013


Amos Oz - Unter Freunden
Susann S. Reck

Der renommierte israelische Schriftsteller Amos Oz porträtiert in seinem neuen Erzählband ebenso nüchtern wie einfühlsam die BewohnerInnen eines imaginären Kibbuz der 50er Jahre im Schatten des...




... alles bestimmenden Kollektivs.

Zwar ist dieses neue Werk des Schriftstellers, der in seiner thematischen Vielfalt neben Romanen und Erzählungen durch sein Engagement für eine Zweistaatenlösung in Israel/Palästina bekannt wurde, nicht direkt ein Stück persönlicher Lebensgeschichte wie etwa sein äußerst erfolgreicher Roman, die "Geschichte von Liebe und Finsternis". Dennoch führt auch der neue Erzählband zurück zu den Wurzeln des Schriftstellers Amos Oz.

Kibbuz Hulda

Amos Oz, 1939 in Jerusalem geboren, verließ zwei Jahre nach dem Tod seiner Mutter, mit erst 15 Jahren seine Heimatstadt, um für die nächsten 30 Jahre in einem Kibbuz, dem Kibbuz Hulda zu leben.
"Ich verbrachte 30 Jahre in unmittelbarer Nähe von 300 Menschen. Ich sah alles - sie, ihre Leben - und ich kannte all ihre Geheimnisse," äußerte sich Oz über sein neues Buch auf der Leipziger Buchmesse diesen Jahres zu Hulda.
Zwar hatte Oz bereits in der "Geschichte von Liebe und Finsternis" über den Kibbuz geschrieben. Standen in dem Roman jedoch menschliche Leidenschaften im Vordergrund, nimmt Oz in den acht Erzählungen "Unter Freunden" die distanzierte und dennoch unaufdringlich liebevolle Perspektive eines genauen Beobachters ein, dessen Hauptinteresse verschiedenen Formen von Einsamkeit und Sehnsucht gilt.

In den Erzählungen neigen Oz´ Figuren zu Berührungsängsten, sie sind anderen gegenüber eher verschlossen und scheu. Ihre Träume bleiben den anderen des Kollektivs verborgen. Auch stilistisch gesehen ist der Band ein Meisterwerk der Einfachheit, der Auslassungen und Pausen. Es gewinnt an Kraft, was nicht gesagt wird und auch der übermächtige Schatten, der auf dem Israel der 50er Jahre liegt, die Shoa, bekommt sein Gewicht durch das Schweigen. Als wäre dieses radikale Experiment des Kibbuz im Nahen Osten nur möglich gewesen weil der Schmerz außen vor blieb.
Auch das eigene Verhältnis zum Vater bevor er selbst ins Kibbuz ging, beschreibt Amos Oz in der amerikanischen Zeitschrift The New Yorker als ein Schweigendes:

"Nachdem meine Mutter tot war, haben mein Vater und ich nie über sie gesprochen. Wir haben nicht einmal ihren Namen erwähnt. Wenn wir uns auf sie bezogen haben, dann nur mit "sie" oder "ihr". Wie hatten viele Diskussionen, politische Diskussionen - er glaubte ich wäre ein Roter - aber nie welche über sie."

Es verwundert nicht, dass es gerade unter den BewohnerInnen eines politisch motivierten Kollektivs eine nicht unerhebliche Zahl an WeltverbessererInnen gab. Und so beschreibt Oz in seinem Erzählband mit leiser Ironie Menschen, die meinen, es reiche aus, sich die Schuhe ordentlich zu binden, um die Welt nachhaltig verändern zu können.

Ein kleiner Junge

Besonders eindrucksvoll jedoch kommen Ideologie und Entfremdung in der Erzählung Ein kleiner Junge zum Ausdruck.
Ein Vater versucht darin seinen kleinen Sohn vor den Hänseleien Gleichaltriger zu schützen. Da die Kinder des Kibbuz jedoch getrennt von ihren Eltern im Kinderhaus übernachten und die Eltern des kleinen Jungen sich in Fragen Erziehung ohnehin nicht einigen können, bleibt jeder Schutz nur flüchtig. Die beruflich bedingte Abwesenheit der Mutter bewirkt zwar, dass der wütende Vater seinen Sohn entgegen der Vorschrift mit nach Hause nimmt und ihn sogar bei sich übernachten lässt.
Diese eine Nacht der Geborgenheit bleibt für den kleinen, von seinen Altersgenossen gequälten Jungen jedoch die Ausnahme. Nicht nur wird der Vater am nächsten Tag vor den Kibbuzrat zitiert. Auch die von der Fortbildung abgezogene Mutter besteht darauf, den Sohn ins Kinderhaus zurück zu schicken damit er nicht verweichliche.

"Die ursprünglichen Wertevorstellungen des Kibbuz waren hart: sie wollten die menschliche Natur von heute auf morgen verändern", erläutert Oz während seines Interviews auf der Leipziger Buchmesse die Gepflogenheiten im Kibbuz. "Die erste Generation der Frauen und Männer wollte nicht nur Klassen beseitigen. Sie glaubten, dass es ausreicht die gleiche Kleidung zu tragen um Neid, Eifersucht und Gier zu besiegen. Anstatt dessen führte diese Ideologie zu Vereinsamung inmitten einer Gesellschaft, die fundamental auf dem menschlichen Miteinander beruhte. Sie führte zu Spannungen und Ironien des Unglücklichseins in einer Gesellschaft, in der alle scheinbar gleich sind."

Alternativen zum Kapitalismus

Warum hat Amos Oz die Erzählungen Unter Freunden gerade jetzt geschrieben?
Einen möglichen Bezug zur augenblicklichen politischen Lage in Israel lässt sich in dem Erzählband nicht finden. Und danach gefragt, antwortet Amos Oz eher ausweichend. Oz, der als Mitbegründer der Friedensbewegung Peace Now die Zweistaatenlösung für die einzig Mögliche im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern hält betont, er blicke auf seine Jahre im Kibbuz ohne Wehmut zurück. Tatsächlich ist Unter Freunden weder eine Hommage noch eine Abrechnung. Das Fazit, das er aus jenen Jahren gezogen haben mag, lässt sich jedoch zwischen den Zeilen dieser acht Erzählungen herauslesen:
Die menschliche Natur lässt sich durch keine, auch noch so rigide Ideologie ändern.
Allerdings sehnten sich die Menschen, so Amos Oz auf der Leipziger Buchmesse, überall nach neuen Gesellschaftsformen:

"Wir brauchen den humorvollen, liberalen, toleranten Kibbuz, der Kinder bei den Eltern lässt. Wir brauchen Alternativen zum herrschenden Kapitalismus."

Amos Oz verließ den Kibbuz Hulda übrigens nicht aus ideologischen Gründen. Sein Sohn bekam Asthma. Deshalb zog die Familie nach Arad, an den Rand der Wüste.

AVIVA-Tipp: Der Erzählband vereint alles, was zu einem guten Buch gehört: er ist wunderbar geschrieben, kurzweilig und voller spannender Figuren, an die man sich auch Tage nach dem Lesen noch erinnert. Zudem ist "Unter Freunden" äußerst informativ. Das Buch eröffnet eine Welt, die viele so nicht kennen.

Zum Autor: Amoz Oz gehört zu den bekanntesten SchriftstellerInnen Israels. Er wurde 1939 als Sohn einer ukrainischen Mutter und eines litauischen Vaters im Jerusalemer Stadtviertel Kerem Avraham unter dem Namen Amos Klausner geboren. Nach dem Selbstmord seiner Mutter zog der 15jährige in das Kibbuz Hulda, benannte sich in Amos Oz um - was im Hebräischen soviel wie Kraft heißt- und verbrachte dort fast 30 Jahre. Danach zog er in die israelische Stadt Arad in der Negev-Wüste, wo Oz bis heute lebt.

Neben zahlreichen Auszeichnungen erhielt Amos Oz den Franz-Kafka-Literaturpreis (2013), den Ehrendoktor der Universität Antwerpen (2008), den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt a.M. (2005), den Israel-Preis für Literatur (1998), den Friedenspreis des deutschen Buchhandels (1992) und den Ehrendoktor der Universität Tel Aviv (1992).

Zu seinen wichtigsten Buchveröffentlichungen zählen:

"Eine Geschichte über Liebe und Finsternis", Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2004
"Der dritte Zustand", Insel, Frankfurt a. M.1992
"Black Box", Insel, Frankfurt a. M.1989
"Mein Michael", Claassen, Düsseldorf 1979
"Geschichten aus Tel Ilan", Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2009
"Herr Levi. Erzählungen", Suhrkamp, Frankfurt a.M.1996

Amos Oz ist Mitbegründer der Friedensbewegung Peace Now. Zu seinen veröffentlichten politischen Vorträgen und Essays gehören:

"Israel und Deutschland. Vierzig Jahre nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen", Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2005
"Wie man Fanatiker kuriert", Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2004
"Israel und Palästina: Ein Zweifamilienhaus?", Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2001


Amos Oz
Unter Freunden

Originaltitel: Bejn Chaverim
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler
Suhrkamp Verlag, erschienen 11.3.2013
Gebunden, 215 Seiten
18,95 Euro
ISBN: 978-3-518-42364-6


Weitere Informationen finden Sie unter

Amos Oz, the official website: www.amos-oz.com

Der Kibbuz Hulda auf Facebook

Amos Oz auf der Leipziger Buchmesse

The New Yorker über Amos Oz: www.newyorker.com



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Beitrag vom 26.06.2013

Susann S. Reck