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Beitrag vom 11.03.2013
Im Gespräch mit Anna Lenz - Starke Frauen für die Kunst
Nele Herzog
Sie kochen Tee für Unmengen von BesucherInnen, mixen Farben in Akkordarbeit, verbringen Stunden damit, Bildkataloge zu durchforsten und lassen alles für den Nachtzug in eine Ausstellungsstadt...
... stehen und liegen. Sie archivieren, analysieren, organisieren – die Frauen hinter den Künstlern.
Frauen von erfolgreichen Künstlern sind, entgegen einer vorherrschenden Annahme, nicht nur stumme Musen, die Modell stehen und dem schönen Leben im Schatten ihrer Männer frönen, sondern unendlich starke Stützen, ohne die keiner von ihnen in der Lage wäre, sich ungestört auf seine Arbeit zu konzentrieren. Vor allem aber sind sie eigenständige Persönlichkeiten, die interessante Geschichten aus einem alles andere als konventionellen Leben zu erzählen haben.
Anna Lenz, die durch jahrelanges Sammeln von Kunstwerken ein beeindruckendes Netzwerk an Kontakten aufgebaut hat, führte mit zwanzig dieser Frauen Gespräche, trug gemeinsam mit der Fotografin Roswitha Pross für den Bildband "Starke Frauen für die Kunst" Material zusammen, das eine einzigartige Perspektive auf jüngere Zeit- und Kunstgeschichte bietet, die so wohl noch niemand eröffnet hat. Auf Reisen durch ganz Europa trafen die beiden ihnen teils vertraute, teils bislang unbekannte Frauen, um mit ihnen über Kindheit, Werdegang, Ansichten und Träumen zu reden und sie zu fotografieren. Die Gespräche drehten sich um das Zusammenleben mit und die Einstellung zu den Männern von ersten Treffen und großen Glücksmomenten aber auch Konfliktsituationen und Scheidepunkte in den Beziehungen aufgeklärt werden. Die Fotos von Pross untermalen die schriftlichen Eindrücke aus den Gesprächen mit ausdruckstarken Portraits der Frauen (und teilweise auch der Männer und deren Arbeiten), die in Ateliers, Museen und Privaträumen aufgenommen wurden. Die Tatsache, dass die Frauen sich Anna Lenz so bereitwillig öffneten und sehr anrührende und persönliche Details zum Besten gaben, zeigt, wie gut es ihnen getan haben muss, sich für eine Zeit im Lichtkegel des Interesses zu befinden, während ansonsten die eigene Existenz bedingungslos dem Lebenstraum des Partners verschrieben ist und eigene Wünsche oft hinten angestellt bleiben.
Besonders auffällig ist, wie liebevoll von den Beziehungen geschwärmt wird, wie hingebungsvoll die schon Verwitweten unter ihnen sich um die Nachlässe ihrer verstorbenen Lebensgefährten bemühen, wie ausnahmslos jede von ihnen ihr Leben im Rückblick als reich an ungewöhnlichen Erfahrungen einschätzt und ihr persönliches Glück, ohne mit der Wimper zu zucken, unmittelbar auf die Existenz ihres Künstlergatten münzt.
Danielle Morellet erzählt von der ersten Begegnung mit ihrem Mann, dem französischen Bildhauer Francois Morellet, Einprägsames:
"Er gebrauchte derbe Wörter, erzählte Geschichten über Sex, seine Hosen waren kürzer als die der anderen, er lief barfuß, während die anderen Sandalen trugen. Da habe ich mir gesagt, mit diesem Typen lernst du Dinge, die du mit den anderen nicht lernst. So war mein erster Eindruck."
Kitty Kemr erinnert sich, dass sie die Persönlichkeit des deutschen Malers Gotthard Graubner in der Anfangsphase ihrer Beziehung ebenfalls als sehr faszinierend empfand, ihr Interesse sogar so weit ging, dass sie ihr fast beendetes Studium ihm zuliebe für lange Zeit vernachlässigte, während Karin Girke ihrem Mann sehr dankbar ist, dass er im Rahmen von vielen Wochenendtrips zu Ausstellungen in "Paris, Dresden oder München, von Tizian, Turner, Seurat oder Cézanne" ihre Wahrnehmung der Dinge nachhaltig erweiterte.
Viele der Frauen sind selbst auf die eine oder andere Art mit dem Kunstbetrieb verwoben gewesen, hatten Kunstgeschichte studiert oder waren künstlerisch aktiv, bevor sie ihre Männer kennen lernten. War dies nicht der Fall, stürzten sie sich im Nachhinein umso neugieriger in die Branche, gaben teilweise ihre vorherigen Jobs auf und wurden zu Managerinnen, Lektorinnen, Kuratorinnen. Hannelore Dietz erzählt über ihr Zusammenleben mit dem österreichischen Maler Arnulf Rainer:
"Seit etwa zwanzig Jahren bin ich, neben dem Job als "Chauffeurin", "Krankenschwester" und "Hausmeisterin" unserer Wohn- und Arbeitsstätten, fast ausschließlich mit der Organisation der Ausstellungen und Buchprojekte beschäftigt. (...) Wir versuchen außerdem, wann immer Zeit bleibt, möglichst viele Werke zu dokumentieren und das umfangreiche Archiv aufzuarbeiten."
Dass die Gesprächspartnerinnen von Lenz nicht unter ihren Rollen leiden, sondern sie im Gegenteil als schicksalhafte Bestimmungen empfinden, wird während der Lektüre des Buches immer wieder deutlich. Rotraut Klein-Moquay, die Lebensgefährtin des französischen Performancekünstlers Yves Klein, fasst ihr Selbstbild, stellvertretend für ihre Gefährtinnen, treffend zusammen, wenn sie davon redet, dass frau ein großes Potenzial und auch Vertrauen in sich tragen müsse, um zu wissen, dass sie sich nicht verliere, wenn sie sich einem anderen übergebe. Wenn frau die Möglichkeit habe KünstlerInnen zu helfen, dann sei das wie ein Segen. Sich nach dem Tod ihres Mannes um seine Hinterlassenschaft zu kümmern, wäre ein Geschenk und eine große Ehre, versichert sie.
Auch die Zukunftswünsche der zwanzig Frauen sind oft durch gemeinsame Aspekte gekennzeichnet: Beinahe alle erzählen, wie dankbar sie für die Möglichkeiten eines kosmopolitischen Leben mit ihren Männern sind und versuchen gleichzeitig zu akzeptieren, dass diese Verhältnismäßigkeit nicht nur von ihnen alleine abhängt. Christine Uecker wünscht sich, dass ihr Mann Günther Uecker "noch lange lebt, das ist erst einmal mein wichtigster Wunsch, sonst wäre alles anders."
Die LeserInnen stehen schließlich vor der Frage, ob all diese Männer, Künstlerpersönlichkeiten, Macher zeitgenössischer Kunst, ohne den Rückenwind ihrer Frauen auch nur einen Deut ihres Erfolges erlangt hätten. Die Antwort auf diese Frage erzwingt mindestens eine gedankliche Entfernung von der Vorstellung, dass Künstlergefährtinnen einfach nur schmückende Repräsentantinnen sind. Das ist ein Erfolg.
AVIVA-Tipp: Lenz hat den Künstlerfrauen in den zwanzig Gesprächen kein sehr breites Repertoire an Fragen gestellt. Die Frauen hatten offenbar einen riesigen Redebedarf, denn die Aufzeichnungen lassen sich dennoch äußerst interessant lesen. Trotz eher minimalistischer Aufmachung versprüht das Buch Glamour, weckt Sehnsucht nach Reisen in Länder, von denen mensch noch nie etwas gehört hat, in Kunstgalerien, in denen Werke hängen, mit dessen Wirkung mensch umzugehen lernen muss und nach Gesprächen mit interessanten Persönlichkeiten, die alles etwas klarer lassen werden könnten.
Zur Herausgeberin: Anna Lenz machte sich zunächst Sorgen, als ihr Mann Gerhard Ende der 1950er Jahre begann, Kunst der Gruppe "ZERO" zu sammeln und damit das Budget des Paares deutlich belastete. In kürzester Zeit fand sie jedoch Gefallen an der Kunst, welche die Stille, das Nichts, die Leere feierte, für Neuanfänge in einem aufbrechenden Europa plädierte und begann, die Sammlung in Foto und Film zu dokumentieren. Gerhard und Anna Lenz veranstalteten Feste und Symposien in denen sie befreundeten KünstlerInnen zusammenbrachten und organisierten insgesamt dreizehn Ausstellungen in ganz Europa. Portraits von ihr waren bisher unter anderem im Museum der Moderne, in Salzburg, auf der Biennale in Venedig und in Wien zu sehen.
Die Fotografin: Roswitha Pross lebt und arbeitet in München. Sie war Assistentin von Charles Wilp und ist seit 1975 freischaffende Fotografin mit den Schwerpunkten Multimedia-Audio-Vision für Industrie und Wirtschaft und Porträtfotografie. Sie realisierte Großprojektionen am Atomreaktor in Garching und in der Lukaskirche in München. Es folgten zahlreiche Ausstellungen und Performances unter anderem in New York, Carrara und München.
Im Gespräch mit Anna Lenz
Starke Frauen für die Kunst
Herausgegeben von Anna Lenz. Fotografien von Roswitha Pross
Hirmer Verlag, Erscheinungstermin: 15. Februar 2013
Paperback, 296 Seiten, 240 x 170 mm, 155 farbige Abbildungen
ISBN-13: 9783777490113
Preis: 19,90,- Euro
www.hirmerverlag.de
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