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Beitrag vom 26.02.2013
Alice Pung - Ungeschliffener Diamant
Dana Strohscheer
Alice ist eine fleißige Tochter, die immer die Beste in der Schule sein möchte, ganz so, wie die Eltern es von ihr erwarten. Als braves Mädchen weiß sie zudem, was sich gehört. Nie würde sie sich..
... mit einem weißen Jungen einlassen. Bis sie Michael kennenlernt.
Melbourne, Australien, Mitte der 1980er Jahre. Alice ist in diesem Land geboren, ihre kambodschanischen Eltern sind vor den Roten Khmer unter Pol Pot geflohen und wurden als politisch Verfolgte in Australien aufgenommen. Willkommen waren sie, wie Tausende Landsleute auf dem Kontinent, als preiswerte Arbeitskräfte, die die Produktivität des Landes ankurbeln sollten.
Die Eltern sind von der neuen Umgebung zutiefst beeindruckt, alles ist viel sauberer und fortschrittlicher als in der alten Heimat: "Oh, dieses wundersame Land, in dem Kinder Todesängste leiden, weil sie einen Wrigley´s Spearmint verschluckt haben, und nicht, weil sie auf eine mit Munition gefüllte Kondensmilchbüchse getreten sind!", so ihr Vater. Nach und nach bauen sich Alice`s Eltern eine bescheidene Existenz auf und eröffnen ein Elektrogeschäft im asiatischen Stadtteil Footscray.
Alice wächst mit den kulturellen Wurzeln der Eltern auf, die ihre AhnInnen verehren und Träume über Göttinnen und Götter ernst nehmen. Sie kommt in den Kindergarten, später in die Schule und ist weiter den Familientraditionen verpflichtet. So muss sie sich als älteste Tochter um die Geschwister kümmern und im Haushalt helfen. Doch gibt es gleichzeitig die Welt da draußen, mit Werbefernsehen und einem ganz anderen Umgang von Jungen und Mädchen miteinander. Je älter Alice wird, umso schwieriger wird es für sie, beide Sphären unter einen Hut zu bringen:
"Wenn ich erst einmal angefangen hatte, mich in der Gegenwart eines Jungen unbeholfen zu benehmen, (...) waren alsbald die Eltern zur Stelle und sorgten, indem sie uns "Ah Di" und "Ah Mui" nannten - Kleiner Bruder und Kleine Schwester - dafür, dass wir uns nie wieder näher als sieben Kilometer kommen wollten."
So stehen sich die zwei Welten gegenüber, und Alice ist in beiden zu Hause: In der von ihr als offen wahrgenommenen australischen Gesellschaft und in der fast hermetisch abgeschlossenen kambodschanische Großfamilie. Diese Bereiche überschneiden sich nicht, bis zu dem Moment, als sie mit Michael einen Jungen kennen lernt, der sie interessiert und mit dem sie Zeit verbringen möchte.
Alice erfindet Lernstunden in der Bibliothek, um sich mit Michael in Stadtteilen zu treffen, die sie beide nicht kennen. Dort sitzt sie dann sehr aufrecht mit ihm in einem Park, während er "…die Hände hinter dem Kopf verschränkt und mit Blick in den Himmel im Gras liegt. (...) Mir wurde klar, dass ich niemals so entspannt würde daliegen können, selbst wenn wir ganz allein wären."
Vor dem Auge der LeserInnen entwickelt sich ein ganz eigener Kosmos, zwischen Anpassung und Aufbegehren. Dabei ist der Debutroman von Alice Pung viel mehr als eine Coming of Age-Geschichte. Sie erzählt in klarer Sprache mit viel Liebe zu den ProtagonistInnen vom Ankommen und Bleiben, mit allen Konsequenzen. Denn auch ihre Eltern müssen sich in der neuen Umgebung zurecht finden, dem Vater gelingt es, sich über harte Arbeit Anerkennung zu verschaffen, die Mutter verweigert sich dem Land, insbesondere der Sprache, und ist ausschließlich für ihre Familie da.
Der autobiographisch gefärbte Roman, für den Pung bei seinem Erscheinen 2007 den Preis als beste Nachwuchsschriftstellerin in Australien erhielt, zeigt eine Parallelwelt der australischen Gesellschaft, die bis dato kaum wahr genommen wurde. Denn die Asia-AustralierInnen sind bis heute wenig in der Öffentlichkeit vertreten, ganz ähnlich der Entwicklung in den Vereinigten Staaten. Obwohl beispielsweise in San Fransisco traditionell eine große asiatische Community existiert, wurde erst im Jahr 2011 mit Edwin M. Lee ein Bürgermeister asiatischer Herkunft gewählt, was ein "starkes Signal" für eine bessere Integration und Akzeptanz dieser Bevölkerungsgruppe war.
Ganz ähnlich der Situation in den USA erhalten die LeserInnen Einblicke in eine ihnen bis dato eher unbekannte Seite Australiens und nehmen Anteil am Leben der Hauptfigur Alice, die sich bis zur Selbstaufgabe der Familie verpflichtet fühlt. Bis sie unter dem Zwang, eine gute Tochter und hervorragende Studentin sein zu wollen, zusammenbricht. Mit Folgen für die gesamte Familie...
Zur Autorin: Alice Pung, 1981 geboren, ist Anwältin, Dozentin und Schriftstellerin und lebt in Melbourne/ Australien. "Ungeschliffener Diamant" ist ihr erster Roman, mit dem ihr der Durchbruch als Schriftstellerin gelang. 2007 erhielt sie den Preis für den besten australischen Debutroman. Sie unterrichtete 2008 an der Peking University, als "Asialink writer-in-residence" und nahm 2011 als australische Vertreterin an einer vom US-Außenministerium veranstalteten Reise für "Fall and recovery writers" zu amerikanischen Kriegs- und Katastrophenschauplätzen teil. In Australien ist sie eine Figur des öffentlichen Lebens geworden, da sie sich für australische UreinwohnerInnen einsetzt. 2008 folgte eine von ihr herausgegebene Anthologie "Growing up Asian in Australia", 2011 die Fortsetzung ihres Romans "Her fathers daughter" über ihren Vater und dessen Vergangenheit in China und Kambodscha. (Quelle: Verlagsinformationen)
Zur Übersetzerin: Marieke Heimburger, Jahrgang 1972, studierte in Düsseldorf Literaturübersetzen. Seit 1998 übersetzt sie vor allem aus dem Englischen, aber auch Spanischen und Dänischen in die deutsche Sprache. Sie ist selbst Autorin und schreibt über eigene Erfahrungen und geschichtliche Hintergründe. Sie lebt und arbeitet in Tondern/Dänemark und ist Mitglied im Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke e.V. sowie Vereinsmitglied bei den Bücherfrauen, Women in publishing e.V. (Quelle: Verlagsinformationen)
AVIVA-Tipp: Alice Pung greift ein bisher kaum bekanntes Thema auf: Die Situation der asiatischen Minderheit in Australien. Mit einem entwaffend ehrlichen Stil, der trotz der Ernsthaftigkeit auch sympathische Nähe zu den immer große Liebe zu den ProtagonistInnen aufbaut, nimmt sie die LeserInnen für sich ein. Charmant und absolut lesenswert!
Alice Pung
Ungeschliffener Diamant
Originaltitel: Unpolished Gem
Aus dem Englischen übersetzt von Marieke Heimburger
edition fünf, Verlag Silke Weniger, erschienen 2012
Gebunden, 344 Seiten
ISBN: 978-3-942374-21-7
19,90,- Euro
editionfuenf.de
Weitere Informationen finden Sie unter:
www.alicepung.com
www.mh-text.com
www.editionfuenf.de
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