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Beitrag vom 25.11.2012
SEEMANNs Künstlerlexikon. Herausgegeben von Andrea Schaller und Michael Steppes
Ingeborg Morawetz
"A&E Design" machen den Anfang, das letzte Stichwort des Lexikons ist "Zürn", dazwischen tummeln sich Lassnig, Kahlo und Tizian. 1.600 Einträge stellen die Welt der Kunst von gestern und heute vor.
1600 mal Kunst
SEEMANNs Künstlerlexikon präsentiert sich umfangreich. Form und Gewicht nach mehr Ziegelstein denn Buch enthält es auch die Fülle an Informationen, die der erste Blick verspricht.
Alphabetisch geordnet finden die LeserInnen Informationen zu KünstlerInnen aus den Bereichen Architektur, Bildhauerei, Performance, Photographie und Malerei, aber auch GoldschmiedInnen aus dem 16. Jahrhundert oder KünstlerInnengruppen der jüngsten Vergangenheit werden vorgestellt. Dass das sehr uneinheitlich geschieht, ist wohl der Vielfalt der dargestellten Tätigen und Tätigkeitsbereichen geschuldet. Während manche Einträge fast ausschließlich biographisch gehalten sind, warten andere sogar mit kurzen Interpretationen von Stil und Werk auf.
Körpergefühlsbilder
Bei den meisten KünstlerInnen sind die gesellschaftlichen Bedingungen des Schaffens und das Umfeld, in dem die Beschriebenen verkehrten, genannt. Diese Informationen gewährleisten, dass sich das Lexikon trotz starker Verknappungen und einer Unzahl an Abkürzungen zum Lesen und Stöbern eignet. Die LeserInnen können sich von einem Namen zum nächsten leiten lassen. Auch die abwechslungsreichen und manchmal unerwarteten Fakten laden dazu ein, sich über zuvor noch unbekannte KünstlerInnen und über das Nachschlagewerk hinausgehend kundig zu machen.
Bei Todesfällen Portraitierter in jungem Alter wird durch eine kurze Erwähnung der Umstände die Neugierde gesättigt, Fragen zur Finanzierung des KünstlerInnentums manchmal durch diskrete Hinweise auf ein reiches Elternhaus oder Beziehungen in Adelskreisen beantwortet.
Die LeserInnen, die keinen kunstgeschichtlichen Hintergrund besitzen, bekommen so neben den wichtigsten Informationen über Epoche und Werk auch einen biographischen Überblick zu den vorgestellten KünstlerInnen. Maria Lassnigs Neologismus der "Körpergefühlsbilder", der ebenfalls kurz erläutert wird, steht dafür sinnbildlich: was den in dem Gebiet Bewanderten möglicherweise rasch zu breit gestreute Informationsfelder sind, zeichnet den LaiInnen eine großflächige Skizze von Person und Werk.
Im 21. Jahrhundert angekommen?
SEEMANNs Künstlerlexikon scheut nicht vor Wertungen zurück. So wird Ai Weiwei als einer der wichtigsten aktuellen chinesischen Künstler bezeichnet, auch andere Kreative unserer Zeit werden mit Rang und Namen eingeordnet.
Schade bleibt dabei nur, dass diese Aktualität bei der Beschreibung der ins Nachschlagewerk integrierten Bilder verloren geht. Diese zeigen entweder die KünstlerInnen selbst oder, und das vor allem bei MalerInnen und BildhauerInnen vergangener Epochen, kleine Ansichten derer Werke. Eine Enzyklopädie, die den Mut besitzt, einzelnen KünstlerInnen einen Platz im aktuellen Zeitgeschehen zuzuweisen, sollte auch die Selbstverständlichkeit wahrnehmen, den momentanen Aufenthaltsort bestimmter Kunstwerke anzugeben. So präsentieren sich zwar Madonnen und Obstkörbe in leider teilweise minderer Bildqualität, aber den LeserInnen bleibt vorenthalten, ob sie sich im Besitz vom Louvre oder der Tate Gallery befinden - eine Information, die zu geben möglich ist, selbst wenn die Werke gerade als Leihgabe auf Wanderschaft geschickt wurden.
Hintergründig
Sechs zwischen die Lexikonartikel eingefügte Kapitel führen in die Geschichte der Photographie, des Museums, von KünstlerInnengruppen, des Kunstmarkts, der Kunstfälschung und in die Rolle der Kunstschaffenden in der Gesellschaft ein. Verfasst sind sie von teilweise fachfremden RedakteurInnen, flossen aber durchaus auch aus der Feder renommierter Kunstgeschichts-Kundiger wie Prof. Dr. Scholz - Hänsel, Dozent an der Universität Leipzig. Sie sind übersichtlich strukturiert, klar formuliert und bilden eine informative, interessant bebilderte Ergänzung zum Hauptwerk.
In der Rubrik "Künstlergruppen" wird im gleichen Atemzug neben dem Blauen Reiter, der Brücke und den Fauves auch auf die Feminist Art Workers und die Guerilla Girls hingewiesen. Beachtenswert ist der Abdruck des "Do women have to be naked to get into the Met. Museum?"-Plakates.
Die Sonderkapitel heben sich in grauer Grundierung unaufdringlich vom Rest des Buches ab und sind noch ein (nach)schlagkräftiges Argument, in die gedruckte Kunstwelt abzutauchen und sich ein wenig treiben zu lassen.
AVIVA-Tipp: Ob dieses eine, befremdliche Gemälde, das Sie kürzlich gesehen haben in Salvador DalÃs Atelier entstand oder doch eher Dorothea Tanning zu verdanken ist, erfahren Sie in diesem Lexikon nicht. Aber dafür, dass beide surrealistisch malten und die gleichen Freundschaften pflegten. Für KunstgeschichtlerInnen könnte dieses Werk an manchen Stellen zu wenig Informationstiefe besitzen, aber von den verlässlich gegebenen Basisdaten profitieren auch ExpertInnen, deren Wissen im Grunde die Kapazität des Nachschlagewerkes übersteigt.
Leider wird das Fehlen einiger KünstlerInnen bei speziellen Interessengebieten zu toten Enden in der Recherche führen, die LeserInnen werden aber durch die geschlossene Form und sonstige konsequente und angenehme Gestaltung des Lexikons schnell wieder mit den sicherlich unvermeidlichen Lücken versöhnt.
Zu den HerausgeberInnen:
Dr. Andrea Schaller studierte Kunstgeschichte in Regensburg, Marburg und Hamburg, Mitarbeit in verschiedenen Museen, Italien-Redakteurin für das im K. G. Saur Verlag (De Gruyter) erschienene "Allgemeine Künstlerlexikon (AKL)" und Mitherausgeberin von "Seemanns Künstlerlexikon"; sie ist freiberufliche Autorin und lebt in Leipzig.
Michael Steppes, geb. 1966, Diplom-Übersetzer, 1996–2011 Redaktionsleiter des "Allgemeinen Künstlerlexikons (AKL)" (K. G. Saur/de Gruyter), seit 2011 freiberuflich tätig. Gemeinsam mit Dr. Andrea Schaller und einem Team von Kunsthistorikerinnen aus der ehemaligen AKL-Redaktion entwickelte er nun "Seemanns Künstlerlexikon".
SEEMANNs Künstlerlexikon
Hrsg. von Andrea Schaller und Michael Steppes
Seemann Henschel-Verlag, erschienen Oktober 2012
Hardcover, 464 Seiten, 337 farbige und s/w-Abbildungen
ISBN 978-3-86502-278-3
35,- Euro
www.hentschel.de
Weitere Informationen finden Sie unter:
Do women have to be naked to get into the Met. Museum? (Brooklyn Museum)
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