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Beitrag vom 21.09.2012
Trans*_Homo. Differenzen, Allianzen, Widersprüche. Herausgegeben von Justin Time und Jannik Franzen
Annika Hüttmann
Bitte definieren Sie kurz folgende Begriffe: Cis, Drag, Transgender, Transsexuell, Transidentität, Transmann, Cross-Dresser. Gar nicht so einfach? Kein Problem. Aber: Jetzt bloß nicht aufgeben!
Begrifflichen Verwirrungen wirkt dieses Begleitbuch zur Ausstellung "Trans*_Homo. Von lesbischen Trans*schwulen und anderen Normalitäten" (August – November 2012 im Schwulen Museum Berlin) gleich zu Beginn mit einem Glossar entgegen, sodass auch Leser_innen mit wenig Vorwissen über Trans* problemlos den Beiträgen folgen können. Und diese machen schnell deutlich: Die im Glossar erläuterten Bezeichnungen sind zwar ein Ausgangspunkt, um Selbst- und Fremddefinitionen kommunizierbar zu machen, gleichzeitig reichen sie jedoch bei weitem nicht aus, um die Vielfalt der Lebenswirklichkeiten von Trans* abzubilden. Die künstlerischen Arbeiten, Erfahrungsberichte, wissenschaftlichen Texte und Interviews, die in "Trans*_Homo" gesammelt sind, nähern sich dem Thema Trans* von allen Seiten und geben einen Eindruck davon, wie es ist, sich ständig rechtfertigen, verorten und erklären zu müssen.
"Und es wird immer Leute mit mehr Privilegien geben, die dich darauf hinweisen, dass du nie so dazu gehören wirst wie sie selber, dass du nie so authentisch oder echt sein wirst wie sie - wegen deines Aussehens, deiner Stimme, deines Verhaltens."
Warum verwirrt die meisten Menschen der Anblick (des) schwangeren Jason, wie (er) auf Sara Davidmans Fotografie Jason: Strong Man zu sehen ist? Wenn der_die Partner_in eine Geschlechtsangleichung durchläuft - ändert sich dann die eigene sexuelle Orientierung? Kann Geschlecht durch einen Fragebogen ermittelt werden? Was, wenn mensch weder weiblich noch männlich oder beides ist? Was ist schlimmer: Keine Kinder bekommen zu dürfen oder weiterhin ein Geschlecht zugeordnet zu bekommen, dass nicht das eigene ist?
Wenn eddie gesso unter dem Titel "Attempt to Complicate Baby Pink and Baby Blue with Baby Yellow " in seinen Gemälden blaue, rosa und gelbe Farbschichten übereinander aufträgt, ist das eine vollkommen andere Auseinandersetzung mit Trans* als Trystan T. Cottens Text, der schildert, wie ein junger Mann jahrelang seine Transsexualität verbergen musste um die amerikanische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Beide Arbeiten zeigen jedoch - wie auch die restlichen Beiträge - wie eng die Grenzen sind, in denen mensch sich bewegen darf, ohne auf Probleme zu stoßen. Dass es Zeiten gab, in denen dies noch schlimmer war, wie mehrere historische Beiträge im Buch verdeutlichen, macht das Ganze auch nicht besser.
Die Vielfalt an individuellen Realitäten, die unter dem Begriff Trans* versammelt sind, können auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, dass es als cis-geschlechtliche Person (sich mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizierend) schwer ist, diese nachzuvollziehen. Das Gefühl, zu wenig zu wissen und die Angst davor, sich falsch zu verhalten führt bei vielen Menschen zu großen Unsicherheiten, was den Umgang mit Trans* betrifft. Ein erster Schritt, diese Verunsicherung zu überwinden, wäre, dieses Buch zu lesen, denn es macht deutlich: Geschlecht ist kompliziert. Die Welt ist kompliziert. Durch Gesetze und gesellschaftliche Normen wird sie für manche Menschen künstlich einfacher gemacht, für andere viel schwerer. Es ist nicht das wichtigste, ein großes theoretisches Wissen zu besitzen, sondern es geht vielmehr darum, bereit zu sein, alles nochmal zu überdenken. Und: Wer einer Trans*Person begegnet, trifft nicht auf sämtliche Trans*Themen, sondern auf ein Individuum.
Ein Besuch der Ausstellung, die dieses Buch begleitet, ist zwar durchaus empfehlenswert, allerdings ist die künstlerische Qualität des dort Gezeigten sehr unterschiedlich. Dies gilt nicht für die Textbeiträge in "Trans*_Homo", weswegen es vielmehr so ist, dass die im Schwulen Museum ausgestellten Werke das Buch ergänzen als andersherum.
AVIVA-Tipp: Wunderschön gestaltet, abwechslungsreich und unterhaltsam zu lesen und vor allem ein wichtiger Beitrag um das "stumme T" endlich auszusprechen. Sehr empfehlenswert für diejenigen, die sich erst wenig mit Trans* beschäftigt haben, denn mensch bekommt hier begriffliche, historische und juristischen Informationen und vor allem einen Eindruck von den Lebenswirklichkeiten von Trans*Personen.
Mit Beiträgen von: Anja Weber, Sabine Ercklentz, Justin Time, Jakob Lena Knebl, Persson Perry Baumgartinger, Anna Heger, Del LaGrace Volcano, eddie gesso, Dean Spade, Hans Scheirl, J. Borcherding, Simon Croft, Anthony Claire Wagner, J. Jackie Baier, Trystan T. Cotten, Sara Davidmann, Adrian de Silva, Jakob Schmidt, Ulrike Klöppel, Sandra Alland, Robert Softley, Nathan Gale, Jannik Franzen, Risk Hazekamp, Ins A Kromminga, Tom Weller, Minette Dreier, Rainer Herrn, Manuel Ricardo Garcia, Susan Stryker.
Justin Time, Jannik Franzen (Hg.)
Trans*_Homo. Differenzen, Allianzen, Widersprüche
NoNo Verlag, erschienen August 2012
Softcover, 288 Seiten, 26 Abbildungen
22,90 Euro
ISBN 978-3-942471-02-2
Weitere Infos unter:
www.nono-verlag.de
www.schwulesmuseum.de
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