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Beitrag vom 28.08.2012
Ulrike Helmer - Muschiland
Britta Meyer
Die erstaunliche Größe und Form der Klitoris, Intimpiercings, Hymenrekonstruktion, Enthaarungstrends, Labioplastik, Hygienewahn und weibliche Genitalverstümmelung - hier kommen eine ganze Reihe...
... Phänomene rund um die Vulva herum auf den Tisch.
Helmer widmet sich ganz der Betrachtung und Bezeichnung weiblicher Genitalien und lässt neben ihren eigenen Texten auch Eva Heller, Brigitte Schulz, Fana Asefaw und Heide Göttner-Abendroth zu Wort kommen. Sie fragt nach, ob der zunehmende gesellschaftliche Druck zur Ganzkörperenthaarung auch positive Nebeneffekte haben kann, und wie frei diese scheinbar so selbstbestimmten Veränderungen des Körpers wirklich sind, wenn die chirurgische "Korrektur" der Schamlippen tatsächlich als eine Form des Empowerments gehandelt wird?
Hätten Sie das gewusst?
Helmer zitiert unter anderem die australische Urologin und Chirurgin Helen O´Connell, die erstmals im Jahr 1998 darauf hinwies, dass die Klitoris mehr ist, als nur ein kleiner Knopf und auch ganz gewiss mehr als eine Art Mini-Phallus. Wie auch die später erschienene ARTE-Dokumentation "Klitoris, die schöne Unbekannte", zeigte, fand O´Connell eine Menge Gewebe, das in dieser Form und Größe "in keinem der gängigen Anatomiebücher verzeichnet ist". Kaum zu glauben, dass solche Befunde erst kurz vor der Jahrtausendwende publik wurden und auch heute bei Weitem noch nicht zum Allgemeinwissen zählen.
Menstruationsblut ist nicht blau und "die Regel" passiert nicht in der Handfläche
Als Charlotte Roche 2008 mit ihren "Feuchtgebieten" Ekel- und Begeisterungsstürme hervorrief, wurde er eine Weile öffentlich debattiert, der übertriebene Wasch- und Enthaarungswahn, mit dem Frauen spätestens seit ihrer Pubertät tagtäglich bombardiert werden. Helmer fragt sich, warum das Menstruationsblut in der duftig-frischen, weichgespülten Bindenwerbung nicht rot sein darf, wieso Frauen "Alldays" eine Slipeinlage verordnet wird und was eine haarlose Vulva eigentlich mit Ästhetik zu haben soll.
All dies ist sowohl interessant, als auch unterhaltsam. Die von Helmer so begeistert zitierte Natalie Angier, die mit "Frau. Eine intime Geographie des weiblichen Körpers" bereits 1999 eine detaillierte Beschreibung der als "weiblich" verorteten Anatomie vorgenommen hat, ist allerdings mit Vorsicht zu genießen, naturalisiert und reproduziert sie in ihren schwärmerischen Ausführungen doch althergebrachte Geschlechterdichotomien ebenso eifrig, wie die von ihr zu Recht kritisierten EvolutionspsychologInnen dies tun.
Eine Aufwertung des vernachlässigten Weiblichen gegenüber des stets und ständig als Norm gehandelten Männlichen ist ja schön und gut, lässt das Gerüst der bipolaren Heteronormativität hinter diesen Alltagssexismen jedoch unangetastet.
Und warum wird hier Sexualität erst überall nur als eine Sache zwischen Männern und Frauen behandelt, bis dann wenigstens noch - ganz hinten im Buch, in einem Extrakapitel - über lesbischen Sex geschrieben wird?
Es gibt mehr, als nur Homo und Hetero, oder (Cis-)Frauen und Männer auf der Welt.
Zur Autorin: Die Sozialwissenschaftlerin Ulrike Helmer gründete 1987 ihren eigenen Verlag, nachdem sie einige Jahre im Frankfurter Frauenbuchladen gearbeitet hatte. Seit Gründung des Verlags liegt ihr die ganze Bandbreite weiblicher Lebenszusammenhänge am Herzen – in Romanen, Biografien, historischen Werken und Fachliteratur zur Geschlechterforschung. 2009 wurde sie auf der Frankfurter Buchmesse vom Branchennetzwerks BücherFrauen e.V. als "Bücherfrau des Jahres" ausgezeichnet. (Verlagsinformationen)
Neben "Muschiland" kam von ihr 2012 auch "Bücher sind Klamotten fürs Hirn - Einblicke ins Buchhändlerische" heraus.
AVIVA-Fazit: "Muschiland" benennt und beschreibt, was allzu oft entweder verschämt verschwiegen, oder realitätsfern pornografisiert wird. Leider bleibt das Buch neben allen spannenden Reflektionen über Körperlichkeit teilweise in simplen Schemata stecken. So wird an keiner Stelle darauf eingegangen, dass es auch Frauen gibt, die ohne Vulva geboren werden (und die enorme Strapazen auf sich nehmen müssen, um eine zu bekommen), Trans- und Intersexualität werden komplett ausgeblendet. In einem Band, der heutzutage aufklärend schädlichen Mythen entgegen arbeiten will, sollte dies eigentlich nicht passieren.
Ulrike Helmer
Muschiland – Exkursionen in eine kulturelle Intimzone
Ulrike Helmer Verlag, erschienen April 2012
Paperback, 176 Seiten
ISBN 978-3-89741-271-2
14,95,- Euro
www.helmer.de
Weitere Informationen finden Sie unter:
Helen O´Connell, Kalavampara V. Sanjeevan und John M. Hutson:
"Anatomy of the Clitoris" in The Journal of Urology, Vol. 174, Oktober 2005
ARTE-Dumentation: "Klitoris, die schöne Unbekannte" (2004)
Dokumentationsfilm zu Labioplastik von Heather Leach und Lisa Rogers:
The Perfect Vagina (2008)
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