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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 01.08.2012


Alice Munro - Was ich dir schon immer sagen wollte
Sonja Baude

Traurigkeit und Tröstung, Offenbarung und Geheimnis gehen in diesen frühen wunderbaren Erzählungen der kanadischen Grande Dame der short story eine flirrende und manchmal komische Verbindung ein.




Vor fast vierzig Jahren erschienen diese 13 Erzählungen Alice Munros im Original. Warum sie trotz der Berühmtheit der Autorin so lange kein Interesse in der hiesigen Verlagswelt weckten, ist nicht nachvollziehbar. Umso erfreulicher, dass in diesem Jahr der Schweizer Verlag Dörlemann Munros Texte in der Übersetzung von Heidi Zerning dem deutschsprachigen Publikum vorstellt. Bemerkenswert ist, dass ihre Texte die Zeiten überdauert haben. Dies gelingt, indem Munro zeitlose Themen des Menschseins verhandelt, sie schreibt von Schmerz und uneingestandener Trauer, von Abhängigkeiten, verpassten Chancen und unerfüllten Träumen, von der Liebe und der Unfähigkeit sie zu halten.

Die kanadische Autorin ist eine Meisterin darin, auf wenigen Seiten umfassende Lebensläufe zu zeichnen und die Zeitebenen ihrer Erzählungen so eng ineinander zu verweben, dass die Gegenwart immer wieder das Vergangene einfängt. Sie ist genaue Beobachterin und Analytikerin zugleich, ihr Ton ist lakonisch. In einer der Geschichten mit dem Titel "Gedenken" lässt sie ihre Erzählerin sagen: "Ich habe nichts verarbeitet [...] Ich glaube nicht, dass die Dinge dazu da sind, verarbeitet zu werden". Vielleicht liegt in dieser Weigerung, das Vergangene und Verschwundene zu verarbeiten, der Sog ihres Schreibens, das keine Schicht ausspart, das die Vergangenheit gleichbedeutend neben den Augenblick stellt und aufzeigt, was die Menschen in der Wirklichkeit zu tragen haben, nämlich immer die Gesamtheit dessen, was sie erlebt haben und erleben.

Dabei sind ihre Figuren keine HeldInnen, sondern ganz gewöhnliche Menschen, die sich immer wieder mit der Frage nach dem richtigen und falschen Leben konfrontiert sehen. Munro ist jedoch nie moralisierend, sie verweigert starre Festlegungen ihrer Figuren, will sie nicht bessern und ihre Untiefen auch nicht bis ins Letzte verstehen und freilegen. Und indem sie ihnen Geheimnisse lässt, fächert sie die Komplexität der menschlichen Seele überraschend weit auf.

Zumeist stehen in diesen 13 Erzählungen Frauen im Fokus des Interesses, Schwestern, Mütter, Enkelinnen und Ehefrauen. Ihnen allen zollt Munro großen Respekt, gerade auch dadurch, dass sie deren Schwächen genau inspiziert.

AVIVA-Tipp: Ein neuer (alter) Erzählband der Grand Dame der amerikanischen short story ist nach 40 Jahren nun erstmals auf Deutsch erschienen. Eine wahre Fundgrube für alle Munro-Fans und für die, die es werden wollen. Die sehr genaue unsentimentale Beobachtungsgabe, verbunden mit großer erzählerische Feinsinnigkeit und Diskretion, ist meisterhaft.

Zur Autorin: Alice Munro wurde 1931 im Südosten Kanadas geboren, dem Landstrich, in dem ihre Geschichten spielen und wo sie noch immer lebt und arbeitet. In den 50er Jahren begann sie zu schreiben. Heute ist sie eine der renommiertesten Autorinnen der Gegenwart und wurde mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt. Darunter zuletzt 2009 mit dem Man-Booker-Preis für internationale Literatur. Seit einigen Jahren wird sie als Anwärterin für den Nobelpreis gehandelt.

Alice Munro
Was ich dir schon immer sagen wollte

Originaltitel: Something I´ve Bean Meaning to Tell You, (1974)
Deutsche Erstausgabe
Aus dem Englischen von Heidi Zerning
Dörlemann Verlag, erschienen 2012
Gebunden, 384 Seiten, Leinen mit Lesebändchen
ISBN: 978-3-908777-56-4
23,90 Euro

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Beitrag vom 01.08.2012

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