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Beitrag vom 27.03.2012
Ruth Liepman - Vielleicht ist Glück nicht nur Zufall. Erzählte Erinnerungen
Heike Herrberg
1992, mit 83 Jahren, ließ sich Ruth Liepman, die Grande Dame des Literaturbetriebs dazu bewegen, ihre Lebensgeschichte aufzuzeichnen – ein Plädoyer für die Solidarität unter den Menschen, ...
Ein Plädoyer für menschliche Solidarität
... wie sie es selbst nannte. Nachdem das Buch lange nur antiquarisch zu haben war, ist es jetzt in einer sehr schönen Ausstattung wieder aufgelegt worden. Und findet hoffentlich viele Leserinnen und Leser.
Was für ein reiches, bewegtes Leben – spannend und ganz uneitel erzählt! 1909 in eine jüdische Arztfamilie geboren, entwickelte Ruth Lilienstein einen frühen Drang zur Selbstständigkeit und ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl. Dies wurde durch den Vater befördert, der keinen Unterschied machte zwischen Kassen- und PrivatpatientInnen: "Der eine zahlt es direkt aus seiner Tasche, der andere über eine Kasse, das ist alles." So lernte die Tochter früh, dass der Maßstab für den Wert eines Menschen nicht sein Geld ist. Sie besuchte die reformpädagogische Lichtwarkschule in Hamburg, wo koedukatives selbstständiges Lernen ganz oben auf dem Lehrplan stand.
Nach dem Abitur trat sie 1928 in die Kommunistische Partei ein. "Ich war einfach ganz fest der Meinung, dass die Kommunisten die Einzigen waren, die die Welt verändern und für Gerechtigkeit eintreten würden." Doch sie hielt sich nicht immer an die Regeln und wurde später während der Illegalität aus der KP ausgeschlossen, da sie bei einem Aufenthalt in England über Nazideutschland berichtet hatte - was ihr von der Partei untersagt worden war.
Als eine von wenigen Frauen zu dieser Zeit studierte sie Jura, machte noch das erste Examen und promovierte, gehörte dann aber zu den Ersten, die aus politischen Gründen Berufsverbot erhielten. Bevor sie wegen kommunistischer Aktivitäten steckbrieflich gesucht wurde, flüchtete sie – an ihrem 25. Geburtstag – 1934 nach Amsterdam.
In den Niederlanden fügte sich vieles glücklich, aber es waren auch ihr Mut, ihre Kreativität und ihre solidarische Verbindung mit vielen Menschen, die sie das Exil im Widerstand überleben ließen. Sie arbeitete als Kurierin, fuhr immer wieder illegal nach Deutschland. Vor dem Einmarsch der Deutschen in die Niederlande ging sie eine Schutzheirat mit einem Schweizer ein, kam dadurch zu einem neuen Namen – der auf keiner Fahndungsliste stand – und zu Arbeit im Schweizer Konsulat, womit sie viele Jüdinnen und Juden aus den Fängen der Nazis retten konnte. Sie erlebte die Panik unter den Emigrierten, von denen sich viele, auch ihre besten FreundInnen, aus Verzweiflung umbrachten. "Ich selbst habe nie an Selbstmord gedacht, obwohl ich oft überzeugt war, dass ich diese Zeit nicht überleben würde." Sie wurde denunziert, musste 1943 untertauchen und überlebte – als Kinderfrau und Haushaltshilfe getarnt - bei einer calvinistischen Familie im nördlichen Beverwijk.
"Ich habe mein ganzes Leben gedacht, ich kann alles erreichen, was ich will." Nach dem Krieg begann sie in Hamburg zusammen mit ihrem zweiten Mann, dem Journalisten und Schriftsteller Heinz Liepman, der aus dem Exil in den USA zurückgekehrt war, deutsche Verlage für amerikanische und englische AutorInnen zu suchen – der Start der Agenturarbeit. Rasch entwickelte sich die Wohnung der Liepmans zu einem kulturellen Treffpunkt, Alfred Andersch wurde ihr Nachbar und enger Freund. 1961 wurden Wohnsitz und auch die Agentur nach Zürich verlegt, wo sie sich zu einer der bedeutendsten Literaturagenturen Europas entwickelte.
"Ich bin häufig gefragt worden, worin für mich der Sinn meiner Arbeit als literarische Agentin liegt. Vielleicht kann man es so sagen: Ich glaube, dass es ein Schritt zum Frieden in der Welt ist, wenn Völker sich besser kennen", schreibt Ruth Liepman in ihren Erinnerungen. Wie vielfältig die Beziehungen zwischen ihr und den AutorInnen waren, zeigen einige Episoden am Ende des Buches – über Arthur Hailey, Anna Mitgutsch, Eric Malpass, Mascha Kaléko und viele andere.
Ruth Liepman ist 2001 mit 92 Jahren gestorben. Eva Koralnik und Ruth Weibel, ihre langjährigen Mitarbeiterinnen und ab 1981 Geschäftspartnerinnen, lassen uns in ihrem Nachwort zur Neuauflage 18 Jahre später noch ein wenig teilhaben am Leben und Arbeiten im großen alten Haus am Zürichberg mit Blick auf See und Berge – wo Ruth Liepmans Begeisterung für den Beruf bereits die dritte Generation angesteckt hat.
Ruth Liepman
Vielleicht ist Glück nicht nur Zufall. Erzählte Erinnerungen
Band 9 der edition fünf im Verlag Silke Weniger, erschienen 2011
Neuausgabe, 176 Seiten, Leinenband mit Banderole und Lesebändchen
Euro 18,90
ISBN 978-3-942374-13-2
Heike Herrberg ist Lektorin, Redakteurin und Autorin. Sie lebt in Bielefeld. Diese Rezension wurde uns von der Autorin freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Sie ist zuerst erschienen in der Virgina, Zeitschrift für Frauenbuchkritik: www.virginia-frauenbuchkritik.de