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Beitrag vom 22.03.2012
Riot Grrrl Revisited. Geschichte und Gegenwart einer feministischen Bewegung. Herausgegeben von Katja Peglow und Jonas Engelmann. Erweiterte Neuauflage mit Pussy Riot und Slutwalks
Evelyn Gaida
Rebellion und laute Gitarren für `angry young men´, eine Bandbreite von Essstörungen für `angry young women´? Ach was: "Revolution Girl Style Now!" lautete Anfang der 1990er Jahre der...
... Schlachtruf einer feministischen Musikbewegung, die von Bands wie Bikini Kill, Bratmobile oder Heavens to Betsy ins Leben gerufen wurde. Sie schlug international Wellen, öffnete Musikerinnen wie PJ Harvey oder Liz Phair die Tür und brachte Bands wie Sleater-Kinney oder L7 hervor. Beth Ditto von "Gossip" beruft sich heute ausdrücklich auf die Riot-Grrrl-Inspiration – doch Female Anger wird 20 Jahre später wieder als "unsexy, uncool oder hysterisch" verstanden, so die "Riot Grrrl Revisited"-HerausgeberInnen Katja Peglow und Jonas Engelmann.
Frauen und Wut. Eine Kombination, die AnhängerInnen genormter Rollenverteilungen und Frauenbilder sofort in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Der etablierte Typus des `angry young man´ darf sich auf den Bühnen und Kinoleinwänden dieser Welt wälzen und seinen Frust herausschreien, er gilt als begehrenswert und wild. Frauen, die extreme Gefühle öffentlich zum Ausdruck bringen, haftet dagegen noch immer das Negativ-Image der hysterischen Ziege oder aufsässigen Hexe an. Worüber sollten Frauen sich auch aufregen? Ihr Lebenszweck besteht schließlich in erster Linie darin, zu gefallen, so plärrt es ringsherum. Die Ur-Dominanz von Männern in den Territorien der Wut, der Auflehnung, des lauten Protests ist der Zement ihrer Dominanz auf weiteren Ebenen. Eine Fundgrube von Themen und Blickwinkeln, die mitten ins Herz dieses Zustands stoßen, ist die Aufsatzsammlung "Riot Grrrl Revisited", und das trotz akademischer Schreibweise. Hoch anzurechnen ist diesen Darstellungen, dass sie Widersprüchlichkeit betonen, nicht unterschlagen.
Sie hatten es satt. Ausgehend von der Punk- und Hardcoreszene der amerikanischen Städte Olympia, W.A. und Washington D.C. formierten sich zu Beginn der 90er Jahre Bands, die sich überwiegend aus Frontfrauen zusammensetzten. Ihre Musik war dementsprechend ein heftiger Frontalzusammenstoß mit einer Konstruktion von Weiblichkeit, die Frauen zielsicher auf den Rücksitz verfrachtet. Ihre Kritik entzündete sich auch an den eigenen Reihen: "Einer der Gründe für das Entstehen von Riot Grrrl liegt darin, dass viele Frauen und Mädchen innerhalb der Szene merkten, wie sehr die Punk-Szene in vielen Punkten mit der Mainstream-Gesellschaft identisch war. Wir hatten all diese Ideen von einer besseren Gesellschaft, trotzdem schlich sich durch die Hintertür der ganze Mist wieder ein", berichtete Sharon Cheslow, Musikerin von Chalk Circle und Fotografin.
Inspiriert von der Do-It-Yourself-Haltung des Punk schrieben die Riot Grrrls das Ziel auf ihre Fahnen, Frauen dazu zu ermutigen, sich in der männerdominierten Musikszene Gehör zu verschaffen, selbst Bands zu gründen – den "Ausziehen!"-Rufen zum Trotz. Wo waren die weiblichen Vorbilder? Bis Riot Grrrl gab es in der Musikgeschichte nur spärlich verteilte Einzelkämpferinnen und Ausnahmekünstlerinnen. Nicht allein in der Musik, sondern auch durch politische Vernetzung, Ladyfeste und soziales Engagement sollte Frauen Raum gegeben werden, ihre Sicht und ihr Erleben zu artikulieren, die im Malestream sonst keinen Platz fanden: Themen wie Schönheitsterror, Abwertung und Missbrauch offen zu verhandeln und sich gegenseitig zu unterstützen, statt gegeneinander um (männliche) Aufmerksamkeit zu konkurrieren. Sie holten zum Rundumschlag gegen Sexismus, Homophobie und Diskriminierung aus, wobei natürlich auch abstruses Agitieren nicht ausblieb, jedoch mit einem selbstkritischen Blick.
Mitrevolutioniert wurde in vieler Hinsicht der Feminismus selbst, bis dahin auf einer vornehmlich politischen Ebene in akademischen Diskursen verhandelt und für Jugendliche unzugänglich. "Bei Riot Grrrl ging es zudem stark um die Rückgewinnung von tabuisierten Bildern oder Dingen, die nicht mit Feminismus in Zusammenhang gebracht wurden. Es war der Versuch, sie sich wieder anzueignen und zu sagen, dass sogar ein Girl feministisch sein kann, (...) dass wir Röcke tragen können und trotzdem Feministinnen sind", hält Allison Wolfe, Leadsängerin von Bratmobile, fest. Corin Tucker von Sleater-Kinney zufolge wurde Feminismus in eine emotionale Sprache verwandelt und kam laut Autorin Marisa Meltzer endlich nicht mehr "so machomäßig wie es geht" rüber. Für beide ein bahnbrechendes Schlüsselerlebnis.
Der mediale Backlash ließ nicht lange auf sich warten: Riot-Grrrl-Musikerinnen wurden als männerhassende Rotzgören porträtiert oder die Bewegung zum marketingtauglichen Trend-Etikett reduziert. In Deutschland war von Riot Grrrl herzlich wenig zu spüren, berichtet Katja Peglow: Die "männerdominierte Schreibumgebung" belächelte das Phänomen als "marginalen `Mädchenkram´" und ließ kaum Identifikationspotential übrig. Angesagt war nicht die Auseinandersetzung mit den Widersprüchlichkeiten und Zwängen des Mädchen-Daseins, sondern dessen domestizierte Variante: das Girlie. Peglow bringt es auf den Punkt: "(Girlies) sind so, wie Mädchen schon immer am liebsten gesehen wurden. Niedlich, verspielt, harmlos, statt aggressiv, laut und bedrohlich. Lieber feminin, als feministisch. Die Presse feierte den (von ihr kreierten) neuen Mädchentypus geradezu frenetisch, völlig ungeachtet dessen, dass doch nur wieder altbekannte Scheinlösungen für das weibliche Selbstbewusstsein geliefert wurden (gutes Aussehen), aber egal: endlich sahen `Feministinnen´ wieder besser aus!"
Was ist geblieben von Riot Grrrl, 20 Jahre später? Mehr Musikerinnen tummeln sich in verschiedenen Bands auf den Bühnen, Beth Ditto darf dick und lesbisch sein, wird aber dennoch ständig wegen ihres Aussehens und ihrer Klamotten besprochen, meint Autorin Maren Volkmann. 2001 fand in Portland, Oregon, das erste Girls Rock Camp statt, das Mädchen Raum, Instrumente, Workshops und Beratung zum intensiven Ausprobieren anbot. Während dieses Projekt in den U.S.A. und Schweden seither großzügig gefördert wird, ist der deutsche Trägerverein Ruby Tuesday e.V. auf ehrenamtliche Mitarbeit und Leihgaben angewiesen. "Die Frage `...und warum ist das jetzt eigentlich nur für Mädchen?´ kommt selbst auf den Camps immer mal auf", so die Veranstalterinnen Juliane Juergensohn und Anette Profus. Ihre Antwort: "Weil es Jungs- und Männer-Rock-Camps schon gibt, aber ohne, dass die so heißen."
AVIVA-Tipp: Dieses Buch trifft so vielfach den Nerv, ins Schwarze und den Nagel auf den Kopf, dass die oft sperrigen Gender-Studies-Satzgebilde daran letztlich auch nichts ändern können. Die Lese-Mühe wird mit starkem Stoff belohnt, der wirkt.
Die HerausgeberInnen: Katja Peglow, geboren 1982 in Potsdam hat schon zur Schulzeit lieber Hole als Nirvana gehört. Schreibt am liebsten über Popfeminismus. Lebt und arbeitet als Kulturwissenschaftlerin und freie Journalistin in Essen.
Jonas Engelmann lebt, promoviert und arbeitet in Mainz. Er ist Literaturwissenschaftler, Mitherausgeber der testcard und eines Buches über Emo. Dank Riot Grrrl hat er Mitte der Neunziger seine Hardcore-Plattensammlung noch einmal überdacht.
Katja Peglow / Jonas Engelmann (Hg.)
Riot Grrrl Revisited. Geschichte und Gegenwart einer feministischen Bewegung
Ventil Verlag, erschienen 2013
Broschur, mit Abbildungen, 216 Seiten
16,90 Euro
ISBN 978-3-931555-47-4
www.ventil-verlag.de
Weitere Informationen finden Sie unter:
Ruby Tuesday - Rock- und HipHop-Camp für Mädchen, Trans* und Inter*
Shut Up And Speak Spoken-Word- und Poetry-Show für Frauen, Lesben und Trans*
L7: "Pretend We´re Dead"
Bikini Kill: "Rebel Girl"
PJ Harvey: "Man Size"
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