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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 09.10.2008


Türkische Autorinnen im Fokus
Leudolph, Korthase, Adler

Wie viele türkische AutorInnen kennen Sie? Wenige oder gar keine? AVIVA-Berlin stellt Ihnen eine Auswahl von Neuerscheinungen im Herbst 2008 vor, die in regelmäßigen Abständen ergänzt wird.




Viele der Werke thematisieren das Leben in einem fremden Land, in "Almanya" und die Spannung zwischen einer islamisch und einer westlich geprägten Gesellschaft. Aber lesen Sie selbst und erfahren Sie nicht nur mehr über unseren vertrauten, aber doch so fremden europäischen NachbarInnen, sondern auch über die deutsche Kultur aus einer anderen Perspektive.

Septembertee oder das geliehene Leben. Von Renan Demirkan
"Sie sehen, Heimat ist nicht mein Problem.
Mein Problem ist:
Ich habe kein Zuhaus,
nicht die Sicherheit,
eine Lücke auszufüllen,
dazuzugehören, ... "


Resümierende Worte, die Renan Demirkan, eine deutsch-türkische Schauspielerin und Schriftstellerin im Epilog zu ihrem autobiographischen Werk "Septembertee oder das geliehene Leben." vermerkt. Das "Dazuzugehören" ist eines der zentralen Themen ihres Buches, denn als 7-Jährige kam sie mit ihren Eltern und der jüngeren Schwester nach Deutschland. Ein "geliehenes Leben" sei es gewesen. Vor allem für ihre Mutter, die nie vollkommen in Deutschland ankam und sich immer nach der Heimat in der Türkei sehnte. Deren Tod nach einem langen Krebsleiden erschüttert die Autorin zutiefst und weckt Reflektionen über Heimat, Familie und Zugehörigkeit. Wie einfach und schnell auf einmal alle Formalitäten im deutschen Bürokratiesystem erledigt sind, lässt Renan Demirkan fassungslos realisieren, dass es das erste und letzte Mal ist, dass die Mutter "von den deutschen Behören nicht wie eine Ausländerin behandelt wurde." Gleichzeitig reift in ihr die bittere Erkenntnis, dass derjenige, der nicht in eine Gesellschaft geboren wird, wohl nie richtig dazugehören kann.

AVIVA-Tipp: Renan Demirkans Buch spielt nicht mit Klischees, sondern erzählt sehr persönlich, mit einem Funken Bitterkeit, aber auch mit viel Wärme und Wohlwollen gegenüber Deutschland von der Geschichte ihrer Familie. Ergänzt wird diese Geschichte durch allgemeine, oft auch philosophische Reflexionen über das Phänomen der Emigration, über Heimat und Heimatlosigkeit und über Selbstverwirklichung.

Zur Autorin: Renan Demirkan wurde 1955 in Ankara geboren und emigrierte 1962 mit ihrer Familie nach Deutschland. Für ihre Leistungen als Schauspielerin und Schriftstellerin erhielt sie unzählige Ehrungen, so für ihren Roman "Schwarzer Tee mit drei Stück Zucker" im Jahre 1998 das Bundesverdienstkreuz.

Septembertee oder das geliehene Leben
Renan Demirkan
Gustav Kiepenheuer Verlag, erschienen September 2008
Hardcover, 169 Seiten
ISBN 978-3-378-01098-7
16,95 Euro


"Arabboy". Von Güner Yasemin Balci
Rashid wird in Berlin Neukölln als ältester Sohn eines palästinensischen Mutter und eines libanesisch-kurdischen Vaters geboren. Seine Familie gehört zu einer Gruppe von mehr als 6.000 LibanesInnen, die während des libanesischen Bürgerkrieges zwischen 1975 und 1989 ihr Land verlassen mussten. Wirklich angekommen in Deutschland sind die Eltern nie, alles Deutsche gilt ihnen als "haram", als Sünde, der Kontakt zu Deutschen wird soweit wie möglich vermieden.

Seine ersten Lebensjahre verbringt Rashid im "Araberhaus", eine Asylunterkunft in der die siebenköpfige Familie eineinhalb Zimmer bewohnt. Später erhält die Familie eine eigene Wohnung in der Rollbergsiedlung. Um der Enge zu Hause und den Gewaltausbrüchen seines Vaters zu entgehen, verbringt der Junge schon früh viel Zeit auf der Straße. Hier lernt er alles, was ihn in späteren Jahren zu einem jugendlichen Intensivtäter werden lässt, er findet Gefallen daran, anderen Menschen Schmerzen zu bereiten und macht sich durch seine jederzeit präsente Gewaltbereitschaft schnell einen Namen im Kiez.

Die Regeln in Rashids Welt sind einfach: Wer sich unterkriegen lässt wird zum "Opfer" und ist dann vogelfrei. Ebenso verheerend sind seine Ansichten über Frauen: sie sind entweder "Nutten" oder "Heilige", in beiden Fällen haben sie Männern zu gehorchen.

Rashid hat das Potenzial, ein größerer Kopf in der organisierten Kriminalität zu werden, doch es kommt anders. Eines Abends wird ihm die Droge Tilidin angeboten und er wird sie fortan jeden Tag nehmen. Schritt für Schritt geht es abwärts und Rashid merkt nicht, wie er selbst zum Opfer wird.

Zur Autorin: Güner Yasemin Balci ist 1975 in Berlin-Neukölln geboren und aufgewachsen. Sie studierte Erziehungs- und Literaturwissenschaften und arbeitete im Modellprojekt "Kiezorientierte Gewalt- und Kriminalitätsprävention" im sozialen Brennpunkt Neuköllns, im Rollbergviertel, und im Mädchentreff MaDonna mit vielen Jugendlichen mit türkischem und arabischen Migrationshintergrund. Heute ist sie Redakteurin für das ZDF-Magazin "Frontal21".

AVIVA-Tipp: Güner Yasemin Balci legt einen brisanten, über weite Strecken schockierenden Roman vor, der auf einer wahren Geschichte basiert. Im Grunde ist Rashid ein normales Kind, das sich nach Anerkennung sehnt, sie aber nur mit dem Mittel der Gewalt bekommt. Hier haben alle Institutionen versagt, die ein Kind auffangen könnten: Seine Eltern, die in der neuen Umgebung überfordert sind und deren Erziehungstil unvorstellbar gewaltätig ist. LehrerInnen, die vor dem respektlosen Jungen kapitulieren. SozialarbeiterInnen, die sich aus Angst und falschem Stolz auf der Nase herumtanzen lassen, und nicht zuletzt der Staat, der mit einer nicht vorhandenen Integrationspolitik die Weichen für eine Parallelgesellschaft stellt, die sich der Mehrheitsgesellschaft entzieht und deren Regeln nicht akzeptiert. "Arabboy" ist die Geschichte eines jugendlichen Intensivtäters, dessen Voraussetzungen für einen normalen Werdegang denkbar schlecht sind.

Arabboy – Eine Jugend in Deutschland oder das kurze Leben des Rashid A
Güner Yasemin Balci
S. Fischer Verlag, erschienen September 2008
Broschur, 288 Seiten
ISBN 978-3-10004813-4
14 Euro


"Istanbul Blues. Die Türkei zwischen Tradition und Moderne". Von Annette Großbongardt
Britta Leudolph
Seit längerem strebt die Türkei eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union an, doch es halten sich hartnäckig Vorbehalte in so manchem Kopf. Wirtschaftlich erlebt die Türkei einen seit Jahren anhaltenden Aufschwung, aber wie groß sind die kulturellen Unterschiede?
Annette Großbongardt begibt sich auf eine Entdeckungstour durch die 14-Millionen-Stadt Istanbul, eine Metropole voller Gegensätze. "In Istanbul zeigt die Türkei, wie sie westliche Spaßkultur mit dem Islam vereint, wie sie den Spagat zwischen Minarett und Minirock schafft."

Neben Szenevierteln mit Musikkneipen und Bars finden sich im Stadtzentrum tiefreligiöse Bezirke, in denen Frauen "[...] von Kopf bis Fuß schwarz verschleiert sind, Männer religiöse Bärte und Kappen tragen [...]" und man nach Fernsehen, Banken und auch Alkohol vergeblich suchen wird.

Die Autorin bleibt aber nicht an der Oberfläche. Sie geht auf die Geschichte der Türkei ein, lässt PolitikerInnen aus den unterschiedlichen Lagern zu Worte kommen, spricht mit religiösen VertreterInnen, aber auch mit Menschen, die man tagtäglich auf der Straße trifft. So entsteht ein Portrait eines auf der einen Seite modernen Landes mit einer fortschrittlichen Verfassung, in der unter anderem die Trennung von Staat und Religion festgeschrieben ist. Auf der anderen Seite wird aber auch die Zerrissenheit zwischen Tradition und Moderne deutlich sichtbar, wie sie sich etwa im Kopftuchstreit äußert. So steht die Türkei heute vor enormen Herausforderungen, hat aber auch viel Potenzial, diese zu meistern.

Zur Autorin: Annette Großbongardt wurde 1961 in Gießen geboren. Sie studierte Romanistik und Germanistik. Ihre journalistische Laufbahn begann sie bei der "Frankfurter Neuen Presse" und der Nachrichtenagentur AFP. Seit 1994 arbeitet sie für den "Spiegel", zunächst als Redakteurin im Deutschlandressort, später, von 1998 bis 2005 als Korrespondentin in Jerusalem und bis Ende 2007 in Istanbul. Zurzeit lebt sie mit ihrer Familie in Stuttgart.

AVIVA-Tipp: "Istanbul Blues" macht neugierig auf die Stadt, aber auch auf die Türkei. Annette Großbongardt berichtet von den Spannungen, die die heutige türkische Gesellschaft prägen und erzählt die Geschichten unterschiedlicher Menschen, spricht mit einem Professoren für Theologie und islamisches Recht ebenso wie mit einer erfolgreichen Unternehmerin oder auch einem Tagelöhner. So fängt sie das Lebensgefühl in der Stadt am Bosporus ein und gibt einen Einblick in den Alltag.

Istanbul Blues – Die Türkei zwischen Tradition und Moderne
Annette Großbongardt
Rowohlt Berlin, erschienen September 2008
Hardcover, 224 Seiten
ISBN 978-3-87134-617-0
17,90 Euro


"In meiner Not rief ich die Eule. Eine junge Türkin in Deutschland". Von Betül Licht
Fatma ist acht Jahre alt, als ihre Eltern beschließen nach Deutschland zu emigrieren. Ihr Lebens- und Leidensbericht beginnt am Bahnhof, wo sie und ihre zwei Geschwister die Eltern verabschieden, die erst mal ohne die Kinder in die Ferne ziehen. Fatma, ihre dreieinhalb Jahre jüngere Schwester und der zwei Jahre ältere Bruder bleiben bei den Großmüttern in der Türkei.

Mit der Abreise der Eltern beginnt für die kleine Fatma ein Martyrium, denn, so wird sie später als Erwachsene sagen, "der Lauf des Schicksals kann nicht angehalten werden. Er hat begonnen mit der Entscheidung, nach Deutschland zu ziehen". Die Großmutter mütterlicherseits quält sie tagtäglich, misshandelt sie körperlich und seelisch aufs Schwerste. Fatmas einziger Zufluchtsort ist ihre Phantasiewelt, in der sie sich der Eule anvertraut, die immer im Maulbeerbaum vor dem Fenster sitzt, bis die Großmutter sie von dort verscheucht. Tagtäglich sehnt sie sich nach den Eltern und nach der Heimatstadt am Schwarzen Meer.

Nach zwei Jahren kehren die Eltern wieder, aber nur, um die Kinder mit sich nach Deutschland zu nehmen. Die anfängliche Aufregung und Erleichterung über den Abschied von der Großmutter verfliegen schnell, als Fatma merkt, wie anders dieses Land ist, in dem sie nun leben soll. Sie vermisst den morgendlichen Ruf des muezzins, den Geruch von frischgebackenem Brot und die Maulbeerbäume. Immer wieder tröstet sie sich mit den Worten des Vaters – "Für nur fünf Jahre sind wir hier". Aus diesen fünf Jahren wird ein ganzes Leben, wie für viele Einwanderer, die kamen um zu arbeiten.

Je mehr Zeit verstreicht, umso unzugänglicher und mutloser werden die Eltern. Ihr Leben besteht nur noch aus Arbeit, für die Familie bleibt keine Zeit und so muss Fatma die meisten Aufgaben im Haushalt übernehmen. Aus Angst, die westlichen Werte könnten sie zu sehr beeinflussen, verbieten ihr die Eltern den Kontakt zu Gleichaltrigen. Freunde sind ihr nicht erlaubt, Freizeit oder ein eigenes Leben schon gar nicht. Fatma gerät immer tiefer in einen Strudel aus Selbsthass, Angst und innerer Zerrissenheit, weil sie sich weder als Türkin noch als Deutsche fühlt.

Erst Jahre später, als sie schon selbst Kinder hat, gelingt es ihr, zurückzuschauen und dem kleinen Mädchen zu begegnen, das viel zu schnell erwachsen wurde. Ausgelöst durch den Tod ihres Vaters und eine Reise in die Türkei beginnt sie, einer Freundin ihre Geschichte zu erzählen.

Fatmas Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit erfolgt über das Schreiben von Briefen. Die Empfängerin, die Ich-Erzählerin des Buches, darf auf diese Briefe nicht antworten. Sie wird zur stillen Mitwisserin, zur Mitleidenden und für die Leserin auch zu einem Reflektionsmedium. Sie ist es, die das Gelesene, das Unerhörte analysiert und den LeserInnen dadurch begreiflicher macht. Im Zuge dieses Reflektionsprozesses kommt die Erzählerin dabei Stück für Stück auch ihrer eigenen Vergangenheit näher.

Zur Autorin: Betül Licht wurde 1955 in der Türkei geboren und emigrierte im Alter von 10 Jahren mit ihren Eltern nach Deutschland. Ihre eigene Geschichte sensibilisierte sie früh für das Thema Migration. Sie begleitet in einem sozialpsychiatrischen Beratungszentrum in Hamburg MigrantInnen.

AVIVA-Fazit: Betül Licht ist es mit "In meiner Not rief ich die Eule" gelungen, eine einfühlsame und berührende Geschichte zu erzählen, die nicht nur Zeugnis über das Leben der TürkInnen in Deutschland ablegt, sondern vor allem die Zerrissenheit und Heimatlosigkeit von Menschen dokumentiert, die fern der Heimat leben. Einziger Wermutstropfen ist der psychologisierende Unterton, der abschnittsweise das Buch durchzieht.

Betül Licht
In meiner Not rief ich die Eule
Hoffmann und Campe Verlag, erschienen August 2008
Hardcover, 256 Seiten
ISBN 978-3-455-50089-9
19,95 Euro


"Eure Ehre - unser Leid. Ich kämpfe gegen Zwangsehe und Ehrenmord." Von Serap Çileli
"namus" - das ist türkisch und steht für Ehre und gehört damit zu einem der wichtigsten Werte in der türkischen Familien- und Gesellschaftstradition. Serap Çileli, vielen Leserinnen als Autorin des Buches "Wir sind eure Töchter, nicht eure Ehre" bekannt, hat ein neues Werk zum Thema geschrieben. Über die Unterdrückung muslimischer Frauen in patriarchisch gesprägten Gesellschaften, die sich in arrangierten Ehen, Zwangsheiraten, Kopftuchzwang und gar in Ehrenmorden zeigt.

Es ist ihr Lebensthema, denn sie selbst wurde Opfer einer Zwangsehe und häuslicher Gewalt. Nun versucht die Autorin anderen Frauen in Not den Weg zu weisen, sie aufzuklären und das tabuisierte Thema der deutschen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Anhand ihrer eigenen Geschichte und vielen ausgewählten Fallbeispielen zeigt sie, dass die Unterdrückung muslimischer Frauen in Deutschland der Regel- und nicht der Ausnahmefall ist und von der vielbeschworenen Multikulti-Gesellschaft keine Rede sei kann.

Im Gegenteil: Das muslimische Leben spielt sich, laut Çileli, in einer Parallelgesellschaft ab, in der die Erhaltung der Familienehre als das oberste Gebot, unter Einsatz aller zur Verfügung stehenden Mittel, bewahrt werden muss. Schockierend an ihren Berichten ist dabei die Gleichmütigkeit der Mütter, Großmütter und Tanten, die selbst unterdrückt, ihren Töchtern in vielen Fällen nicht beistehen, sondern zu Komplizinnen der Männer werden.

Çilelis Unrechtsempfinden über die untergeordnete Stellung der Mädchen und Frauen in der türkischen Gesellschaft und ihre Wut über beispielsweise die erschütternde Bemerkung eines australischen Imams, der unverschleierten Frauen unterstellt, eine Vergewaltigung zu provozieren, lässt sie allerdings nie zu voreiligen Verurteilungen und Wertungen hinreißen. Das erfrischende und bereichernde an "Eure Ehre – unser Leid" ist ihr Versuch, auch die andere Seite zu verstehen und für das eigentlich unverständliche männliche Verhalten gesellschaftliche Ursachen zu finden.

Sie zeigt, dass auch die Männer eine Last zu tragen haben, dass Söhne ihren Vätern, Brüdern oder Cousins hinterher eifern, weil sie sonst aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Auch macht sie auf die Rolle der Religion aufmerksam, die in Bezug auf den Propheten Mohammed und eine seine Ehefrauen, die 9-jährige Aisha, eine Heirat mit Minderjährigen quasi per religiösem Gesetz legitimiert. Klare und kompromisslose Worte findet sie bezüglich der türkischen Regierungspartei AKP, die versuchte, das Kopftuchverbot aufzuheben und, laut Çileli, eine schleichende Islamisierung des Landes vorantreibt.

Erschütternd ist der letzte Teil des Buches, in dem die Autorin Schicksale muslimischer Frauen wie Zeitungsberichte aneinander reiht. Obwohl das Buch die Phänomene der Zwangsheirat und der Ehrenmorde, die uns Deutschen so fremd sind, begreiflicher machen konnte, drängt sich angesichts der Grausamkeit der Taten das "Warum" auf, das als Antwort nur die Sinnlosigkeit des Geschehenen kennt.

AVIVA-Tipp: Serap Çileli ist es gelungen, ein erschütterndes und berührendes Buch zu schreiben, das durch die Fallbeispiele zugleich anschaulich und durch Exkurse zur türkischen Geschichte, Gesetzgebung und Familientradition erklärend und aufklärend wirkt.

Zur Autorin: Serap Çileli, am 29. Januar 1966 in Mersin, Türkei geboren, kam mit acht Jahren nach Deutschland und wurde mit 15 Jahren in die Türkei zwangsverheiratet. Sie ist eine der ersten Frauen, die sich öffentlich gegen die Unterdrückung muslimischer Frauen einsetzte und ihre eigene Geschichte publik machte. Für ihr Engagement erhielt sie unter anderem im Jahre 2005 das Bundesverdienstkreuze am Bande. Ende 2007 gründete Serap Çileli den Verein "peri e.V." (deutsch: "Die gute Fee"), der sich für Menschenrechte und Integration stark macht. Vor allem Frauen mit Migrationshintergrund, die sich in Konflikt- und Notsituationen befinden, können sich an "peri e.V." wenden. Im Internet kann der Verein unter folgender Seite aufgerufen werden: www.peri-ev.de. Heute lebt sie unter anonym gehaltener Adresse im Odenwald.

Eure Ehre – unser Leid
Serap Çileli
Blanvalet Verlag, erschienen September 2008
240 Seiten
ISBN 978-3764503017
14,95 Euro


"Ali zum Dessert - Leben in einer neuen Welt". Von Hatice Akyün
Sharon Adler
Die "Türkin mit deutschem Pass" kam als Dreijährige mit ihrer Familie nach Duisburg und lebt seit 30 Jahren in Deutschland. Sie "trägt kein Kopftuch und ist nicht zwangsverheiratet". Vermutlich sei sie deshalb noch immer Single, meinte sie anlässlich der Veröffentlichung ihres Debutromans "Einmal Hans mit scharfer Soße" - Leben in zwei Welten" in 2005 manchmal lächelnd.
Ging es damals der klugen Beobachterin der Parallelwelten noch darum, den perfekten Mann für das Leben zu finden, mit dem sie ebendiese zu einer konstruktiv-kreativen Einheit ausbauen könne, so verhält es sich mit "Ali zum Dessert" in 2008 etwas anders. Hatice Akyün ist angekommen. Nicht in der Parallelwelt. Da gibt es noch reichlich zu tun. Doch die Suche nach dem perfekten Mann ist abgeblasen, denn sie hat ihn inzwischen gefunden, ist in Nullkommanichts schwanger geworden und hat ein Kind bekommen.

Wünschte sie sich damals noch den Mann, dessen Eigenschaften die eines deutschen, zuverlässigen "Hans" durch die Charakteristika eines feurigen, emotionalen Liebhabers gekrönt wurden, so stellen sich Hatice Akyün heute neue Schwierigkeiten.
Ihr "Ali zum Dessert" ist ein smarter, intelligenter Deutsch-Türke, der seine Frau anhimmelt und ihr dabei alle Freiheiten lässt, stolz auf sie und auf das gemeinsame süße Mädchen ist.
Ach, warum kann es nicht immer solche Happy-Endings geben?
Hatice Akyün und ihre Familie sind das Paradebeispiel dafür, dass es funktioniert: Das Leben zwischen, in und mit zwei Welten. Sie sinniert und philosophiert gewohnt charmant und dabei scharf beobachtend über das eigene Verhalten, die Gefahr von Klischeebildung auf beiden Seiten und nicht zuletzt über die Vision einer Welt, in der keine Reglementierung immerwährende Gültigkeit besitzt.
Lesen Sie auch unser Interview mit Hatice Akyün anlässlich der Buchveröffentlichung von "Einmal Hans mit scharfer Soße".

AVIVA-Tipp: Erfrischend realistisch, warmherzig und humorvoll, dabei streckenweise ironisch beschreibt Hatice Akyün das Dilemma eines Lebens zwischen und mit zwei Welten, das eine neue Dimension durch die Geburt ihres ersten Kindes erhält.

Zur Autorin: Hatice Akyün wurde 1969 in Akpinar Köyü in Zentralanatolien geboren. 1972 kam sie mit ihrer Familie nach Deutschland, wo sie seither lebt. Hatice Akyün schreibt als freie Journalistin u.a. für den "Spiegel", "Emma" und den "Tagesspiegel". Sie lebte in New York, lange in Berlin und heute in Hamburg. Hinweise zu Lesungen mit Hatice Akyün in vielen Städten finden Sie unter:. www.akyuen.de/unterwegsMehr Infos zu "Einmal Hans mit scharfer Soße" unter: www.einmalhansmitscharfersosse.de

Hatice Akyün
Ali zum Dessert

Leben in einer neuen Welt
Goldmann Verlag, erschienen September 2008
Gebundenes Buch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-442-31147-7
Euro 17,95


Zu Hause in Almanya. Aysegül Acevit erzählt vom türkischen Leben in Deutschland. Von Aysegül Acevit

Was hat Hip-Hop mit türkischer Musik zu tun? Warum verehren die Türken Mustafa Kemal Atatürk? Welche Bedeutung hat eine "abla"?
Aysegül Acevit, in der Türkei geboren und in Deutschland aufgewachsen, erzählt in diesem Jugendbuch witzig und lehrreich über das türkische Leben in Deutschland. Altbekanntes, wie die Geste des Handkusses findet ebenso Erwähnung wie eher Unbekanntes, so beispielsweise die türkischen Wurzeln des deutschen Hip-Hops.

Acevit webt dabei türkische Bräuche, Lebensarten und kulturelle Selbstverständlichkeiten in selbst erlebte oder gehörte Geschichten und Texte ein, die thematisch verschiedenen Kapiteln unterstellt sind und der Vielfalt der türkischen Kultur gerecht werden sollen.

Formal wechselt die Autorin zwischen anekdotischen Erzählungen, Sachtexten und Meinungsäußerungen. Der aufklärerische Impetus, den sie zuweilen zu verfolgen scheint, ist dabei zwar gut gemeint, aber schlecht umgesetzt, da er zur Glorifizierung neigt. Wenn sie beispielsweise davon spricht, dass viele Deutschtürken nicht zwischen den Kulturen hin- und hergerissen sind, sondern beide miteinander vereinen, ist das eine Wunschvorstellung, die sicher nicht der Realität entspricht. An anderer Stelle beschreibt sie dann wiederum das zuvor negierte Phänomen der Parallelgesellschaft und plädiert für eine Integration, die nicht Anpassung, sondern kulturelle Bereicherung bedeutet.

Interessant und leicht verständlich geschrieben ist der Exkurs zur türkischen Geschichte. Aber auch hier hätte Aysegül Acevit gut daran getan, die historischen Fakten nicht zu kommentieren, sondern diese für sich sprechen zu lassen. Dennoch kann positiv vermerkt werden, dass die Autorin trotz mangelnder Differenzierung versucht, mit Vorurteilen aufzuräumen und die türkische Kultur in Deutschland fern von der negativen Medienberichterstattung über Kopftücher und Ehrenmorde darzustellen.

AVIVA-Fazit: "Zu Hause in Almanya" ist ein amüsant geschriebenes, leicht verdauliches aber leider manchmal etwas moralinsaures Sachbuch, das Jugendlichen die türkische Lebensart und Kultur näher bringen soll.

Zur Autorin Aysegül Acevit: wurde 1968 an der türkischen Schwarzmeerküste geboren und wuchs in Deutschland auf. Sie ist Diplom-Sozialwissenschaftlerin und arbeitet als Radio – und Fernsehjournalistin und als freie Autorin in Köln.

Zu Hause in Almanya
Aysegül Acevit
Campus Verlag, erschienen September 2008
198 Seiten
ISBN 978-3593386997
17,90 Euro


"Tante Semra im Leberkäseland". Von Lale Akgün
Lale Akgüns Tante Semra nimmt es als bekennende Muslime mit den Essens- und Verhaltensvorschriften des Islam nicht so genau. Das obligatorische Morgengebet wird einfach ausgelassen, da es angeblich ihrer psychischen Gesundheit abträglich ist, der Ramadan mit einer Kreuzfahrt umgangen, denn das Fastengebot gilt nur eingeschränkt auf Reisen. Auch der Verzehr von Leberkäsebrötchen ist für Semra kein Problem, denn schließlich sei ja gegen Käse nichts einzuwenden. So lustig, verschroben und eigensinnig ist Akgüns ganze Familie, die sie in "Tante Semra im Leberkäseland" lebendig und anschaulich beschreibt.

In den 1960er Jahren nach Deutschland gekommen, ging es Lales Eltern im Gegensatz zu vielen ihren türkischen Landsleute nicht um die verlockenden Arbeitsaussichten, sondern um pure Abenteuerlust. Der Vater ist von dem exotischen Deutschtum mit Weißwürsten und Pünktlichkeit begeistert und kann die Mutter mit der Aussicht auf ein Ingenieurstudium zum Bleiben überreden. Schnell finden sie in Deutschland Anschluss und werden, trotz auftretender kultureller Differenzen, herzlich aufgenommen. Kleine Missverständnisse verpackt Lale Akgün in äußerst unterhaltsame Anekdoten, die nicht nur die typisch deutschen, sondern auch die türkischen Eigenarten aufs Korn nehmen und vor allem als eine Liebeserklärung an die Verschrobenheit ihrer Familienmitglieder gelesen werden können.

Die Auseinandersetzungen zwischen der analytischen und humorlosen Mutter und dem abenteuerlustigen und verschmitzten Vater werden von Akgün als zwischenmenschliche Zwistigkeiten ohne kulturelle Erklärungsmuster beschrieben. Überaus erheiternd erzählt sie beispielsweise von dem unermüdlichen Drang des Vaters, sein sozialistisches Gedankengut unter der türkischen Arbeiterschaft in Deutschland zu verbreiten. Ein Versuch, den die Mutter, eine Mathematikerin und glühende Kemalistin, nur mit einem müden Lächeln quittiert. Genauso erfrischend dargestellt ist Tante Semras unorthodoxer Umgang mit Religion und das übermäßige Interesse von Lale Akgüns Schwester an den europäischen Königshäusern. Durch diese skurrilen Charaktere gelingt es der Autorin, eine ganze Palette an Vorurteilen, die sich in der deutschen Gesellschaft gegenüber türkischen MitbürgerInnen manifestiert haben, aufzuweichen.

Dennoch darf bei der Lektüre nicht in Vergessenheit geraten, dass für die Familie der Autorin, gut bürgerlich situiert ,liberal und demokratisch eingestellt, viele Probleme und Integrationsschwierigkeiten ihrer Landsleute nie ein Thema waren. Und es stellt sich nur an wenigen Stellen im Buch das Gefühl ein, dass Lale Akgün diese privilegierte Position der Familie überhaupt reflektiert. Diese Einseitigkeit und – böswillig ausgedrückt - Undifferenziertheit kann ihr allerdings nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, denn sie erhebt keinen Anspruch, das türkische Leben in Deutschland in seiner Vielfalt zu beschreiben oder gar zu erklären, sondern will lediglich Geschichten aus ihrer "türkisch-deutschen Familie" erzählen. Dass diese Herangehensweise die Integrationsdebatte weitestgehend unberührt lässt, ist aber gerade hinsichtlich von Akgüns Funktion als Bundestagsabgeordnete, in der sie sich unter Anderem mit Fragen der Migration und Integration beschäftigt, irritierend.

AVIVA-Tipp: Lale Akgün ist es mit "Tante Semra im Leberkäseland" gelungen, ein unterhaltsames und leicht verdauliches Buch zu dem Leben einer türkischen Familie in Deutschland zu schreiben.

Zur Autorin: Lale Akgün, geboren 1953 in Istanbul, kam als Neunjährige mit ihrer Familie nach Deutschland. Sie studierte Medizin und Psychologie, arbeitete lange in der Jugendhilfe und Familienberatung und leitete dann das Landeszentrum für Zuwanderung. Seit 2002 ist sie Bundestagsabgeordnete. Sie befasst sich mit Fragen der Migration und Integration und fungiert als Islampolitische Sprecherin der SPD. Lale Akgün hat seit 1981 die deutsche Staatsbürgerschaft und lebt mit Mann und Tochter in Köln.

Tante Semra im Leberkäseland
Krüger Verlag, erschienen Oktober 2008
256 Seiten
ISBN 978-3810501196
14,90 Euro


"Mrs. Atatürk. Latife Hanim. Ein Porträt". Von Ipek Çalislar
Jahrzehntelang wusste die Öffentlichkeit fast nichts über Latife Hanim. Als Ehefrau Atatürks, dem Staatsgründer der Türkei, hatte sie während ihrer zweieinhalbjährigen Ehe einen großen Einfluss auf das politische Geschehen, wurde aber nach der Scheidung in der Öffentlichkeit denunziert und verleumdet. Weder sie noch Atatürk sprachen jemals über ihre Ehe.

Die türkische Journalistin Ipek Çalislar hat sich auf Spurensuche gemacht und zeichnet in ihrer Biographie ein detailliertes und beeindruckendes Porträt dieser hochgebildeten und eigensinnigen Frauenrechtlerin, die einen so maßgeblichen Einfluss auf die Politik ihres Mannes ausübte.

Latife Hanim zeigte sich in der Öffentlichkeit immer ohne Gesichtsschleier und posierte auch mal in Reithosen. Aus einer reichen Izmirer Geschäftsfamilie stammend, genoss sie eine exzellente Ausbildung in England und in Frankreich, die sie mit westlichen Werten vertraut machte. Nach der Heirat mit Mustafa Kemal, der 1934 den Namen "Atatürk" (zu dt. "Vater der Türken") erhielt, setzte sie sich aktiv für ein Frauenwahlrecht und für die Änderung des Scheidungsrechts ein, das bis dahin nur den Männern vorbehalten war.

Im Gegensatz zu vielen ihrer Landsleute strebten Latife und Atatürk in ihrer Ehe eine gleichberechtigte Beziehung an, die insbesondere für viele türkische Frauen eine Vorbildsfunktion hatte. Atatürk war stolz auf die Bildung und die Redegewandtheit seiner Frau und beteiligte sie so oft es möglich war an offiziellen Treffen und auch Besprechungen. Trotz allem ließ er sich im Jahre 1925 in Berufung auf das islamische Recht von ihr scheiden.

Dass dieser fortschrittliche Staatsmann, der selbst die Änderung des Scheidungsrechts antrieb, seine eigene Frau ohne deren Einverständnis und ohne Erklärung nach alter und überholter Tradition verließ, provozierte Empörungsstürme in der ganzen Welt. Die internationale Presse, die Latife aufgrund ihrer westlichen Orientierung und ihrer Emanzipation schon immer zugeneigt war, reagierte entsetzt. Latife selbst verlor in ihrem Heimatland durch die Scheidung jegliche gesellschaftliche Anerkennung und Akzeptanz und floh in die Isolation.

Zur Autorin: Ipek Çalislar ist Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Zuletzt war sie Nachrichtenchefin der Zeitung "Cumhuriyet".

AVIVA-Fazit: Die Biographie ist in jedem Falle zu empfehlen, da sie nicht nur die Lebensgeschichte der Latife Hanim, sondern auch einen prägenden Abschnitt der Geschichte der Türkei erzählt. Bedauernswert ist nur die rabiate Kürzung, die der Orlanda Frauenverlag am Text vorgenommen hat. Gut 250 Seiten wurden gestrichen, wodurch der Erzählstil von Çalislar im Deutschen fälschlicherweise hölzern und holprig wirkt.

Ipek Çalislar
Mrs. Atatürk. Latife Hanim. Ein Porträt

Orlanda Frauenverlag, erschienen September 2008
272 Seiten
ISBN 978-3936937640
17,90 Euro


"Am Rand" von Sebnem Isigüzel
Wie Schachfiguren manövriert Sebnem Isigüzel ihre ProtagonistInnen an den Rand Istanbuls. Im Original heißt ihr Roman "Çöplük", was so viel bedeutet wie "Müll" oder "Müllplatz" - eine treffende Bezeichnung für Sujet und Plot des Buches. Ihre Figuren graben im Müll, im figürlichen und übertragenen Sinne des Wortes. An den Rand der Gesellschaft gedrängt, leben sie das Leben der Verachteten, Heimatlosen und Gesetzlosen. Sie sind der Müll der Gesellschaft, ein Abfallprodukt, die letzte Konsequenz eines an sich selbst krankenden Systems.

"Eine Gesellschaft und ein Land sind zugleich wie ein Mensch", sagt die Autorin und hält der seit 1980 im rasanten Wandel befindenden Türkei mit ihrem Roman einen Spiegel vor. Obwohl der Niedergang ihrer beiden Hauptfiguren Leyla und Yildiz aus ihren jeweils dicht erzählten individuellen Geschichten erklärt werden kann, lässt Sebnem Isigüzel keinen Zweifel daran, dass vor allem die Gesellschaft sie zu dem machte, was sie geworden sind.

Leyla hat ihr früheres Leben als Schachgenie und Diplomatentochter abgestreift wie einen alten zerschlissenen Mantel. Unwiderruflich ist das Vergangene verloren, in ihr altes Leben kann und will sie nicht mehr zurück. Dennoch holen sie die Erinnerungen nach und nach wieder ein, denn, so die Autorin, "Erinnerungen haben Gravitationskraft".

Ähnlich ergeht es der Musikwissenschaftlerin Yildiz. Besessen von dem Komponisten Karacan, an deren Biographie sie arbeitet und besessen auch von der zerstörerischen Beziehung zu der verschwundenen Mutter, gelingt es ihr nicht, ein unabhängiges, selbstbestimmtes Leben in der Gegenwart zu führen. Stundenlang verharrt sie auf einem Bein stehend in der Strafecke, in die sie das in der Wohnung umhergeisternde Muttergespenst bei Ungehorsam verweist. Diese perfide Mutter-Tochter-Beziehung, in vielerlei Hinsicht an Elfriede Jelineks "Klavierspielerin" erinnernd, bestimmt ihr Leben und macht sie komplett handlungsunfähig.

Die Buchautorin entwickelt die zwei Lebens- und Leidensgeschichten der Frauen parallel zueinander, lässt gegen Ende des Romans aber immer mehr Verquickungen und Bezüge entstehen. Obwohl wie eine Schachpartie aufgebaut, kämpfen sowohl Yildiz, als auch Leyla ihren ganz eigenen Kampf.

Ist das alles nun Fiktion oder Realität? Am Ende des Romans erklärt Sebnem Isigüzel die Entstehungsgeschichte der Figuren und stellt den LeserInnen Gespräche mit den im Roman vorkommenden Personen zur Verfügung. Ob als erzählerisches Mittel oder als Hilfestellung für die LeserInnen gedacht, sei dahingestellt. Gebraucht hätte der Roman diesen Zusatz nicht, denn mit der sprachlichen, sowie stilistischen Präzision und einer eindringlichen Erzählerstimme hinterlässt die Lektüre dieses Buches einen erschütternden und bleibenden Eindruck. Wären Worte Schachfiguren, hätte Sebnem Isigüzel eine geniale Schachspielerin werden können.

AVIVA-Tipp: Dicht erzählt, nimmt die Autorin die LeserInnen mit in die Tiefen und Untiefen der menschlichen Seele und der Gesellschaft. Die ProtagonistInnen ihres Romans sind Randgestalten und bei der Beschreibung ihrer Lebensumstände spart die Autorin nicht an Gewaltszenarien und Perversionen. Trotz diesen zum Teil schwer erträglichen Beschreibungen entwickelt dieses Buch einen unheimlichen Sog, der die LeserInnen auch nach Beendigung der Lektüre nicht mehr loslässt.

Zur Autorin: Sebnem Isigüzel, geboren 1973 in Yalova, Türkei, studierte zunächst Anthropologie und arbeitete dann als Journalistin bei privaten Fernsehsendern. Für ihr bisheriges literarisches Schaffen bekam sie in der Türkei zahlreiche Preise. Sie lebt und arbeitet in Istanbul.

Am Rand
Sebnem Isigüzel
Berlin Verlag, erschienen September 2008
416 Seiten
ISBN 978-3827008053
19,90 Euro


Lesen Sie weiter: Türkische Autorinnen im Fokus – Teil II

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Auf der anderen Seite ein Film von Fatih Akin.
Knallhart in Neukölln, ein Film von Detlev Buck.
Der Multikulti-Irrtum, von Seyran Ates.
"10 für Deutschland", von Mely Kiyak.


Buecher

Beitrag vom 09.10.2008

AVIVA-Redaktion