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Beitrag vom 14.02.2008
Gestatten: Elite - Auf den Spuren der Mächtigen von morgen
Britta Leudolph
Die Journalistin Juliane Friedrichs sucht die deutschen "high potentials" der Zukunft auf und muss feststellen, dass Leistung allein kein Aufstiegsgarant ist, denn die Elite bleibt gern...
...unter ihresgleichen.
Im Sommer 2005 arbeitet die 25jährige Julia Friedrichs als freie Journalistin und ist kurz davor ihr Studium zu beenden.
Im Internet liest sie von der Beraterfirma McKinsey, die von ihrem Auswahlverfahren behauptet: "Wir wählen Eliten aus". Wie das funktioniert, möchte Friedrichs wissen und bewirbt sich zu Recherchezwecken. Bei einem Edel-Assessment-Center in Griechenland erfährt sie, was man sich bei McKinsey unter "Elite" vorstellt – und ist fassungslos. Zurück in Deutschland erhält sie nach weiteren Tests ein verlockendes Jobangebot: 67.000 Euro Jahresgehalt plus Dienstwagen. Nach einigem Zögern und Zaudern entscheidet sie sich, das Angebot auszuschlagen, doch das Thema "Elite" geht ihr nicht mehr aus dem Kopf.
Friedrichs beschließt, sich die renommiertesten deutschen Elite-Schmieden genauer anzusehen, dabei nimmt sie die LeserInnen mit in eine in sich geschlossene Welt, die der Öffentlichkeit sonst unzugänglich ist. Sie besucht unter anderem Elite-Internate, einen Karrierecoach für TeenagerInnen und auch den einzigen Elite-Forscher des Landes, Michael Hartmann Professor für Soziologie.
Während ihrer Recherche trifft Julia Friedrichs auf die unterschiedlichsten jungen Menschen. Einige müssen für ihren Erfolg sehr viel leisten und haben es trotzdem schwer, wie etwa die Einser-Schülerin Fatos, die anderen muslimischen Mädchen eintrichtert: "Seid besser. Lernt. Nur wenn ihr in der Schule gut seid, kommt ihr voran." So mancher der Mächtigen von morgen kann gar nicht genug arbeiten und hält Menschen mit einem Arbeitspensum unter 60 Stunden pro Woche für "MindestleisterInnen": "Mario erzählt in Griechenland stolz von seinen 70-Stunden-Wochen, Bernd geht selten vor acht Uhr abends nach Hause. Er ist Meister des Zeitmanagements. In seinem Rechner hat jede Viertelstunde des Tages ein Feld, das farbig markiert und mit Aufgaben versehen ist."
Doch trifft Friedrichs auch auf junge SchülerInnen eines Internats, die laut Lehrkräften von der "Wohlstandskrankheit" befallen sind. "Die haben sich meistens noch nie in ihrem Leben für irgendetwas anstrengen müssen, für irgendetwas kämpfen müssen. Und denen zu vermitteln, dass es sich lohnt, Ziele zu setzen, die losgelöst sind vom finanziellen Umfeld und vom Ansehen in der Gesellschaft, das ist wahnsinnig schwer. Die dazu zu bringen, dass sie sagen: Ich möchte dies oder jenes erreichen. Der Sache wegen. Um mir zu beweisen, dass ich das kann. Das ist sehr schwer."
Friedrichs setzt sich in ihrem Buch kritisch mit der so genannten "Elite" auseinander und schafft es, den Begriff zu entmystifizieren, entlarvt ihn als das, was er ist: ein Mittel zum Machterhalt, der nur nebensächlich etwas mit Leistung zu tun hat. Dies erreicht sie sehr anschaulich, indem sie den Schilderungen der "Elitären" immer wieder Fakten entgegenstellt, die deren Ausführungen entkräften.
Zudem blickt Julia Friedrichs immer auch auf ihre "normale" Laufbahn zurück, erinnert sich an die Werte, die ihr vermittelt wurden und sucht nach den Werten der "Elite". Sie beschreibt ihre Gefühle der Unsicherheit, Minderwertigkeit aber auch Wut während ihrer Recherchen, was die Schilderungen sehr authentisch wirken lässt.
"An den unterschiedlichsten Stationen meiner Elite-Recherche empörten sich meist wohlhabende junge Menschen über die "deutsche Gleichmacherei", als wäre sie eine nationale Krankheit, eine Lähmung, Quell von Neid und Missgunst. Sie saßen in Schlössern, als sie über die Gleichmacherei schimpften, tippten ihre Kritik in ihr Reiche-Kinder-Internetforum oder verkündeten sie auf Karriere-Messen, wo ihnen Monatsgehälter geboten wurden, die den Betrag, den ein Hartz-VI-Empfänger im Jahr bekommt, übertrafen."
AVIVA-Tipp: Julia Friedrichs Erkenntnisse sind nicht ganz neu, ist doch spätestens seit den Pisa-Studien bekannt, dass in keinem anderen Industriestaat der Welt die Bildungschancen so stark von der sozialen Herkunft abhängen wie in Deutschland. "Gestatten: Elite" gibt jedoch einen interessanten Einblick in die Welt der "Mächtigen von morgen", ist durchaus kritisch geschrieben und auch für "NiedrigleisterInnen" sehr spannend und lesenswert.
Zur Autorin: Julia Friedrichs, geboren 1979, studierte Journalistik in Dortmund. Nach einem Volontariat beim Westdeutschen Rundfunk arbeitet sie nun als freie Autorin von Fernsehreportagen und Magazinbeiträgen, unter anderem für die WDR-Redaktionen "Monitor", "Echtzeit" und "die story". 2007 wurde sie für die Sozialreportage "Abgehängt – Leben in der Unterschicht" mit dem Axel-Springer-Preis für junge JournalistInnen und dem Ludwig-Erhard-Förderpreis ausgezeichnet. Julia Friedrichs lebt in Berlin und Köln.
Am 11. Februar 2008 zeigte der WDR in "die Story" den Bericht "Von Anfang an Elite" von Julia Friedrichs und Eva Müller, eine thematische Übersicht finden Sie unter: www.wdr.de.
Der "Monitor"-Beitrag Traumjob Berater - Schein und Alltag einer Erfolgsbranche von Julia Friedrichs und Markus Zeidler untersucht die Methoden der Beraterfirma McKinsey.
Julia Friedrichs
Gestatten: Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von morgen
Hoffmann und Campe Verlag, erschienen Februar 2008
Gebunden, 256 Seiten
ISBN: 978-3-455-50051-6
Preis: 17,95 Euro