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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 30.11.2007


Barbara Bronnen, Fliegen mit gestutzten Flügeln
Yvonne de Andrés

Die letzten Jahre der Richarda Huch. Zum 60. Todestag der großen - fast vergessenen - Grande Dame der deutschen Literatur werden ihre letzen Lebensjahre beleuchtet.




In diesem Buch sucht Barbara Bronnen der Grande Dame der deutschen Literatur, Ricarda Huch ein Denkmal zu setzen. Huch ist am 17. November 1947 gestorben. Im November 2007 erschien "Fliegen mit gestutzten Flügeln". Die Geschichte, die sie über die letzten Lebensjahre Huchs zu erzählen hat, ist in der Tat dramatisch.
Ricarda Huch war im Jahr 1926 "als erste Frau in die neugegründete Sektion für Dichtkunst in der Preußischen Akademie der Künste" berufen worden. Sie verließ die Akademie jedoch nach der Machtübernahme der Nazis. Gottfried Benn hatte 1933 allen nicht hinausgeworfenen Mitgliedern der Akademie die Frage gestellt, ob sie bereit wären, "unter Anerkennung der veränderten geschichtlichen Lage weiter ihre Person der Preußischen Akademie der Künste zur Verfügung zu stellen". Huch hatte sich fürs Gehen entschieden. Die neuen Machthaber wollten die bekannte und berühmte Richarda Huch unbedingt als Aushängeschild in der Akademie halten. Aber sie lehnte erhobenen Hauptes ab: "Was die jetzige Regierung als nationale Gesinnung vorschreibt, ist nicht mein Deutschtum".

Nach ihrem Austritt aus der Akademie wurde es um "den weiblichen Goethe" – so wurde Huch damals allgemein gehandelt – ruhig. Huch war isoliert. Ihre Bücher lagen nicht mehr in den Schaufenstern der Buchläden und wurden immer weniger gelesen. Der Insel Verlag verlegte nur noch Nachauflagen Huchs, keine Novitäten mehr. Richarda Huch, 59 Jahre alt, dachte nicht über ein mögliches Exil nach, sie begab sich in die "innere Emigration".

Sie fühlte sich alt und mochte keine neuen Wurzeln mehr schlagen. Mit ihrer Tochter und ihrem Enkel zog sie nach Heidelberg und pendelte von dort aus häufig zu ihrem Schwiegersohn nach Freiburg. Sie versuchte möglichst wenige Kompromisse mit den Nationalsozialisten einzugehen. Alfred Döblin schrieb über sie: "Sie war… viel zu stolz, um nicht mutig zu sein".

1936 zog sie, hoch betagt, mit ihrer Familie nach Jena. Ihre Wohnung in der Straße Oberer Philosophenweg 72 wird eine Adresse für Gespräche mit Gegnern des Nationalsozialismus, wie Helmut Gollwitzer, Ernst von Harnack und anderen. Von den Nazis wurde Richarda Huch zur gleichen Zeit "als politisch unzuverlässig" eingestuft. Heinrich Lilienfein, der Generalsekretär der Deutschen Schillerstiftung in Weimar regt 1940 bei der Reichsschriftungskammer an, Richarda Huch eine Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung zur Verfügung zu stellen. Huch lehnte ab. Sie wollte sich nicht vereinnahmen lassen. Dies ist sicher zu loben. Aber ist es schon Widerstand? Barbara Bronnen schreibt: "Mit Hilfe des Widerstands sollte es gelingen, ihr Land aus Schimpf Schande, Schuld herauszuführen und Opferwille, Mut und Zivilcourage, nicht zuletzt Hoffnung auf einen neuen Anfang hinüberzuretten."

Nach der Befreiung hat die zweiundachtzigjährige Huch nur noch ein Ziel, sie will den Frauen und Männern des deutschen Widerstandes ein würdiges Denkmal setzen. Sie arbeitet an einem Buch, das biographische Portraits der Mitglieder der Weißen Rose, der Frauen und Männer des 20. Juli und der Roten Kapelle (der Gruppe um Schulze-Boysen-Harnack) darstellen sollte. 1946 konnte sie den jungen Arche Verlag in der Schweiz für die Veröffentlichung gewinnen. Das "Gedenkbuch" erschien 1947 unter dem Titel "Bilder deutscher Widerstandskämpfer". Das Kapitel über die Rote Kapelle hatte Huch jedoch nicht mehr geschafft. Sie bat Günther Weisenborn, es zu schreiben. 1953 veröffentlichte er "Der lautlose Aufbau".

Noch vor ihrem Tod eröffnete Ricarda Huch als Ehrenpräsidentin 1947 den Ersten Deutschen Schriftstellerkongress im Hebbel-Theater in Berlin. Man traute ihr diese Position wegen der Herausgabe des "Gedenkbuches" zu, und glaubte auch, sie könne genügend Fingerspitzengefühl aufbringen, um in einer solchen Versammlung ausgleichend zu wirken. Mehr als 250 AutorInnen und VerlegerInnen nahmen an der Tagung teil. Viele der SchriftstellerInnen aus den Westzonen jedoch waren skeptisch und hatten abgesagt. Barbara Bronnen beschreibt Ricarda Huch und ihre Rede auf dem Kongress so: "Hinter ihr die Toten. Vor ihr die Davongekommenen."

Huchs Rede "Ruf an die Schriftsteller" setzt sich deutlich "für ein natürliches Nationalgefühl, distanziert von Fremdenhass, Chauvinismus und Dünkel" ein. Wer die Rede im Protokoll des Schriftstellerkongresses nachliest, wird feststellen, dass sie so "fulminant", wie Bronnen sie darstellt, nicht war. Die Situation in Berlin damals ist angespannt. Die Zwangsvereinigung von SPD und KPD hat gerade stattgefunden und der politische Druck in der Sowjetische Besatzungszone nimmt deutlich zu. Der Autor Melvin J. Lasky provoziert den Eklat zwischen Ost und West: "Mein Gegenstand ist der freie, unabhängige Schriftsteller und sein unabhängiges Bemühen um die kulturelle Freiheit."

Nachdem Huchs Schwiegersohn in Hessen Kulturminister geworden war und der politische Druck und die Abkehr von bildungsbürgerlichen Traditionen in der SBZ zunahmen, floh Huch von Jena nach Kronberg-Schönberg im Taunus. Die Strapazen dieser Reise waren so groß, dass sie ihnen am 17. November 1947 erlag. Barbara Bronnen gelingt es, die letzten Lebensjahre Huchs sehr plastisch einzufangen. An vielen Stellen jedoch übertreibt sie. Die große Literatin erscheint in großem, manchmal zu hellem Glanz.

Zur Autorin: Barbara Bronnen, 1938 in Berlin geboren. Studium der Germanistik und Philosophie. Seit 1957 wohnt sie in München. 1962 Promotion, danach Tätigkeit als Lektorin und Journalistin. 1987 nimmt sie eine Gastprofessur für Poetik an der Universität Bamberg an. 1988/89 wird sie Stadtschreiberin von Linz. Heute lebt sie als freie Schriftstellerin und publiziert Erzählungen, Essays, Features, Romane und Sachbücher. Ihre letzten erschienen Publikationen sind: "Am Ende ein Anfang" (2006), "Du brauchst viele Jahre, um jung zu werden" (2004). Weitere Informationen finden sich unter: www.bronnen.de

AVIVA-Tipp: Es ist sicher schwierig, nur über die letzten Jahre einer heute fast vergessenen Autorin zu schreiben. Für das Verständnis der Person Ricarda Huch wäre es hilfreich gewesen, auch einen Einblick in ihr Gesamtwerk zu erhalten, da sich erst vor diesem Hintergrund die Ereignisse, die hier besonders hervorgehoben werden, erschließen können. Nur aus dieser Perspektive würde man vielleicht auch richtig begreifen, warum Huch selbst nicht den Weg in die Emigration oder/und den in den Widerstand fand. Darüber hinaus fehlt dem Buch häufig die Einbettung des Lebens und der Haltungen von Huch in die Konflikte der damaligen Zeit. Auch fehlt im Anhang eine Kurzbiographie mit den wichtigsten Lebensstationen, Publikationen und Auszeichnungen. In diesem Buch wird all das, was in Vergessenheit geraten ist, bereits vorausgesetzt. Die Autorin erzählt nur das Ende einer Geschichte, den Anfang lässt sie weg.



Barbara Bronnen
Fliegen mit gestutzten Flügeln

Die letzten Jahre der Ricarda Huch 1933 - 1947.
Arche Literatur Verlag, erschienen November 2007
Gebunden - 187 Seiten15 Fotos.
ISBN: 9783716023730
19,90 Euro


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Beitrag vom 30.11.2007

Yvonne de Andrés