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Beitrag vom 05.08.2003
Gelebte Geschichte
Jana Scheerer
Wie war das mit Monica und der Zigarre? Wer sich Antworten auf diese Frage erhofft, sollte Hillary Clintons Erinnerungen nicht lesen. Statt intimer Details bietet sie Weltgeschichte aus erster Hand.
Geschichte befindet sich meistens zwischen zwei Buchdeckeln und ist, bei allem Interesse, auf Dauer ganz schön anstrengend zu lesen - außer, Hillary Rodham Clinton erzählt sie.
Vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis zu ihrem Auszug aus dem Weißen Haus im Jahr 2000 spannt Hillary Clinton einen Bogen über fast hundert Jahre. Dabei erzählt sie sehr persönlich die Geschichte ihrer Großeltern und Eltern, verliert aber nie den Blick für das Politische.
Besonders spannend wird das in den Momenten, in denen sie selbst die Bühne des politischen Geschehens betritt - sei es als Goldwater Girl im Wahlkampf des republikanischen Senators Barry Goldwater oder als aktives und zugleich kritisches Mitglied der Studentenbewegung. Gerade diese große Bandbreite ihres Engagements - sie fand aus einem republikanisch geprägten Elternhaus zu den Demokraten - macht sie als politische Person glaubwürdig.
Dabei geht es immer wieder um Kinder- und Frauenrechte, die in Hillary Clintons Leben gleich auf doppelte Weise eine große Rolle spielen: Einerseits ist ihre politische Arbeit stark auf Frauenthemen konzentriert, andererseits erlebt sie als Frau an Bill Clintons Seite immer wieder, wie schwer es ist, zugleich Ehefrau, Mutter und aktive Politikerin zu sein.
So stößt gerade ihre Interpretation der Rolle als First Lady auf deutlichen öffentlichen Wiederstand: Als Vorsitzende der "Health Care Task Force" setzt sie sich aktiv für die Gesundheitsreform ein, anstatt ab und zu in einem Krankenhaus ein paar Kinderhände zu schütteln und ansonsten das Weiße Haus zu hüten. Kritiker verleihen ihr dafür den Titel "Co-Präsidentin."
Sogar auf ihren Namen nimmt die neue Rolle Einfluss: Nachdem sie sich jahrelang "Hillary Rodham Clinton" genannt hat, wird sie nun kurzerhand in "Hillary Clinton" umgetauft. Präsidentinnengattinnen führen keinen Doppelnamen.
Natürlich kann sie in ihrem Bericht auch die vielen Skandale der Clinton-Administration nicht auslassen. Dabei ist es besonders interessant, als Leserin noch einmal einen wirklichen Überblick über die Geschehnisse zu bekommen: Tatsächlich begann alles mit Whitewater, der Immobilienaffäre von Arkansas, und weitete sich dann über Paula Jones bis hin zu Monica Lewinski aus.
Dass Whitewater in Wahrheit ein unglückliches Grundstückgeschäft war, das den Clintons außer einem großen Geldverlust nichts gebracht hat, stellt Hillary Clinton sehr glaubwürdig dar, genauso, dass der eigentliche Bösewicht der anschließenden Verfahren Kenneth Starr heißt. Trotzdem spricht sie ihren Ehemann nicht von aller Schuld frei, macht aber eine wichtige Differenzierung: Die zwischen Ehemann und Präsident.
Während Hillary mit dem Ehemann Bill noch nicht mal mehr ein Wort wechselt, unterstützt die First Lady weiterhin den Präsidenten. Was in den Medien oft fast ekelhaft als "Stärke" einer betrogenen Ehefrau - nämlich das Ertragen der Eskapaden des Gatten - dargestellt wurde, bekommt hier Sinn: Das Projekt, an dem Hillary und Bill Clinton zusammen arbeiteten, war einfach zu groß, um es durch persönliche Gefühle zu zerstören.
Und dieses Projekt und die jahrzehntelangen gemeinsamen Erfahrungen sind wohl auch das, was Hillary Clinton letztendlich die Kraft gab, ihrem Ehemann zu verzeihen. Dazu kommt ihr starker Glaube, dessen Betonung im Buch wohl nur im religiös geprägten amerikanischen Kontext zu verstehen ist. Schließlich fand auch Bill Clinton nicht zuletzt "Vergebung" bei der amerikanischen Bevölkerung, weil er seine "Sünden" im Sinne einer "Beichte" zugab und Besserung gelobte.
Eine weitere nordamerikanische Besonderheit ist die fast schon penetrante Kriegsmetaphorik: Das Hauptbüro im Wahlkampf wird als "War Room" bezeichnet, es gibt die "Health Task Force" und zur Aufmunterung sagt Hillary Clinton sich "Sei tapfer, Soldat!"
Und dass ein Angriff auf ein potentielles Terroristenausbildungslager in Afghanistan freimütig und im Bewusstsein der Gerechtigkeit als "Vergeltungsschlag" für die Bombenanschläge auf amerikanische Botschaften in Tansania und Kenia bezeichnet wird, ruft ins Gedächtnis zurück, aus welcher Perspektive hier Geschichte erzählt wird.
Doch diese Subjektivität ist Hillary Clintons volles Recht und letztendlich auch die große Stärke des Buches. Schade nur, dass der Doppelsinn des amerikanischen Originaltitels in der deutschen Übersetzung verloren geht: "Living History" bedeutet "gelebte Geschichte" und "lebende Geschichte" - und genau das bietet das Buch. Bleibt nur noch eins zu sagen: Hillary for President!
Hillary Rodham Clinton
Gelebte Geschichte
Econ, 2003
ISBN 3-430-11862-x
24 Euro
Hardcover, 670 Seiten200593272675"