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Beitrag vom 12.09.2011
Nina Pauer - Wir haben keine Angst. Gruppentherapie einer Generation
Nina Breher
Eine junge Autorin stellt sich die Frage, welche Ängste ihre AltersgenossInnen umtreiben. Wie so viele andere zuvor versucht sie, die Generation der heute 20- bis 30-jährigen zu definieren.
Nina Pauers optisch wie sprachlich knalliges Debüt lässt sich nur allzu leicht als Generationenbuch abstempeln. "Wir haben keine Angst" ist eine wortgewandte Publikation zum Zwecke der Zeitdiagnostik, und als sei der Untertitel "Gruppentherapie einer Generation" nicht genug, prangt zu allem Überfluss noch ein Sticker mit einem Kommentar von Florian Illies ("Generation Golf") auf dem Cover. Ja – die Autorin (Jahrgang 1982) charakterisiert ihre Generation und versucht sogar, dieser psychische Dispositionen zu unterstellen. Aber eine Reduzierung auf allein diese Merkmale täte dem Buch unrecht.
Der Generationenbegriff birgt eine gewisse Problematik. Wer ist überhaupt gemeint? Wo fängt die beschriebene Generation an, wo hört sie auf? Die Beschreibung eines Kollektivs von Menschen als "Generation" ist schwammig, vereinnahmend und kann ausschließend wirken. Obwohl das Wort selbst außer auf dem Cover und auf der Innenseite des Einbands kaum vorkommt, schwingt die Bezeichnung in jedem der zahllosen "wir´s" im Fließtext mit.
Doch zum Inhalt. Anna und Bastian sind etwa in demselben Alter. Sie haben nicht viel gemeinsam, abgesehen davon, dass sie zufällig zum selben Psychiater gehen. Während Anna sich emsig im Hochklettern der Karriereleiter übt und als hoffnungsvolles Talent in der PR-Branche gilt, studiert Bastian noch immer. Er kann sich für die verschiedensten Dinge begeistern und doch – so richtig fertig wird er mit keinem seiner zahllosen Projekte. Beide beginnen zu zweifeln: Ist der eigene Lebensentwurf wirklich der Richtige?
"Die Chance meiner Generation war schon immer gleichzeitig auch ihr Fluch: Alles ist möglich." Das klingt wie ein Zauberspruch in den Ohren der Unentschiedenen, die es in westeuropäischen Großstädten wie Sand am Meer gibt. Aus Verzweiflung über die unendlichen Optionen haben es Anna und Bastian sogar schon mit Yoga oder dem Zen-Buddhismus probiert. Ohne Erfolg. So leicht lässt sich die große Leere, die sie jeden Sonntag auf der Couch befällt, nicht abschütteln.
Haben die beiden irgendwo zwischen antiautoritärer Erziehung, überhöhten Ansprüchen an sich selbst und Selbstdarstellung im Web 2.0 ihre Lebensfähigkeit verloren? Oder sind sie einfach nur Wohlstandskinder, die sich Probleme einbilden, die keine sind? Eine Mischung aus beidem trifft wohl am ehesten zu. Vielleicht ist es ein Luxusproblem, aber von der Hand weisen lässt es sich nicht: Je mehr Möglichkeiten sich in einem Leben bieten, umso schwieriger fällt es, sich auf eine festzulegen und diese zu verfolgen, ohne zu zweifeln. Und es ist auch eine Wahrheit, dass mensch im Prozess des Erwachsenwerdens früher oder später realisieren muss, dass eineN nicht einmal eine wohlbehütete Kindheit, wie sie die beiden ProtagonistInnen hatten, auf alles vorbereiten kann.
"Wir sind nicht gegen das System. Aber auch nicht so richtig dafür. Dafür passiert es einfach viel zu weit weg von uns, nach seinen ganz eigenen Regeln.", bemerkt die "Wir-Erzählerin" zum Thema Politik. Und tatsächlich: In solchen Aussagen, irgendwo zwischen Bastian und Anna, finden sich viele wieder. Stellenweise mag das Buch den Anschein erwecken, nicht die versprochene Gruppentherapie, sondern das Wolfsgeheul einer verwöhnten Generation zu sein, der es eigentlich verdammt gut geht. Doch auch hier muss eine Lanze für den frechen Roman im orangefarbenen Einband gebrochen werden: Das Wolfsgeheul, das zugegebenermaßen den größten Teil des Geschriebenen ausmacht, wird am Ende aufgelöst. Es entpuppt sich als die notwendige Bestandsaufnahme eines Phänomens, das es der Autorin zufolge in einem nächsten Schritt anzupacken gelte. So gelesen ist das Buch weniger ein jämmerlicher Hilfeschrei als tatsächlich so etwas wie eine fiktive Selbsthilfegruppe. Jungen Menschen, die sich verloren fühlen im Informations-, Arbeits-, Universitäts- oder Alltagsstrudel, sei es ans Herz gelegt. Lest es und lernt, damit umzugehen, dass im Leben kaum etwas eindeutig oder gar einfach ist.
Am Ende der Lektüre muss mensch sich eingestehen, dass das so problematische "wir" in diesem Buch eigentlich recht elegant und nur halb so schlimm ist. Jeder/m ist es freigestellt, sich ganz oder in Teilen darunter zu subsumieren – oder es eben sein zu lassen. Mit Sicherheit gibt es in diesem Fall FreundInnen, Familienmitglieder oder Bekannte, die mensch beim Lesen wiedererkennt. Aber: Bitte nehmen Sie dieses Buch nicht zum Aufruf, die hier beschriebenen Personen mit "Generation Angst" zu betiteln! Denn sie haben schon andere Namen, die sie längst nicht mehr hören können: Generation MTV, Generation Praktikum, Generation Y oder gar Generation Porno – die Liste ist schon viel zu lang.
Wenn alles im Generationenbegriff Platz finden soll, lässt sich übrigens Nina Pauers Schreibweise wohl am ehesten mit "Generation Poetry Slam" betiteln. Lakonisch, ironisch, mit Hang zur Übertreibung und zum Slapstick schreibt sie sich in kurzen Sätzen in Rage über den gesellschaftlichen Ist-Zustand. Dies hat eine Leichtfüßigkeit der Sprache zur Folge, die von frucht- und inhaltslosen Generationendiskussionen geplagte LeserInnen erfreuen wird.
AVIVA-Tipp: Keiner von uns will ernsthaft für immer ein freischwebendes, ich-bezogenes, ewig flexibles Individuum sein." Die Autorin beschreibt in ihrem Debütroman humorvoll und lebendig Freud und Leid einer urbanen, akademischen Mittelschichtgeneration, die sich im Jahr 2011 irgendwo zwischen Studium und Praktikum, erster Festanstellung und Rucksackreise befindet.
Zur Autorin: Nina Pauer, geboren 1982, ist freie Autorin. Sie studierte Geschichte, Soziologie und Journalistik an der Universität Hamburg und der Université Michel Montaigne in Bordeaux. Während ihres Studiums hat sie am Hamburger Institut für Sozialforschung in den Arbeitsbereichen "Nation und Gesellschaft" und "Die Gesellschaft der Bundesrepublik" gearbeitet. Sie schreibt vor allem für das Feuilleton der ZEIT und das ZEITmagazin.
Weitere Infos auf Nina Pauers Blog unter: www.ninapauer.wordpress.com
Nina Pauer
Wir haben keine Angst
Gruppentherapie einer Generation
S. Fischer Verlag, erschienen: September 2011
Hardcover, 198 Seiten
ISBN: 978-3-10-060614-3
13,95 Euro
Weitere Informationen finden Sie unter: www.fischerverlage.de
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