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Beitrag vom 24.12.2007
Susan Sontag. Geist und Glamour. Die erste Biographie von Daniel Schreiber
Sharon Adler
Ein sorgfältig recherchiertes Portrait der streitbaren, charismatischen, widersprüchlichen und umstrittenen jüdischen politischen Intellektuellen und risikofreudigen Künstlerin Susan Sontag.
Über die Filmemacherin, Theaterregisseurin, Dramatikerin, Fotografin, Essayistin und Romanautorin ist viel geredet und veröffentlicht worden, und doch liegt mit dem hier vorliegenden umfassenden Lebensabriss knapp drei Jahre nach ihrem Tod nun die erste Biographie über die Künstlerin, die Privatperson und das Gesamtkunstwerk Susan Sontag vor. Die Frau, die in unzähligen Interviews häufig sich widersprechende und doch stets authentische Meinungen vertrat, erfasste den Zeitgeist nicht nur intuitiv, vielmehr prägte sie ihn entscheidend mit.
Der Titel "Geist und Glamour" trifft somit das Wesen der Susan Sontag und den Tenor ihres Werkes genau. Der Amerikanerin bedeutete Schreiben immer Freiheit, dabei legte sie instinktiv den Kern skandalöser Diskussionen frei und löste sie aus. Den Titel des Enfant terrible suchte sie ebenso, wie sie ihn ablehnte, und der Intellekt wie der Glanz waren ihr lebenswichtig.
Die Provokateurin und Pop-Ikone galt mit ihrer markanten, indianisch anmutenden Erscheinung, den rabenschwarzen Haaren und der exzentrischen silbergrauen Strähne, als erste öffentliche Intellektuelle Amerikas und Celebrity zugleich, mehr noch: Sie manifestierte sich selbst als "Amerikas öffentliches Gewissen".
Am 16. Januar 1933 in New York als Susan Rosenblatt als Tochter polnischer Einwanderer, des Exportkaufmanns Jack Rosenblatt und der Lehrerin Mildred Jacobson, in eine wohlhabende jüdische Familie hineingeboren, wurde sie und ihre jüngere Schwester Judith zunächst von den Großeltern und dem Kindermädchen aufgezogen, während die Eltern geschäftlich in China zu tun hatten.
Schon als Kind verfasste sie, die sich später als ruhelos beschrieb, Dramen, Gedichte und Geschichten, lernte als Dreijährige lesen und liebte es als Zehnjährige, sich in Enzyklopädien zu vertiefen: "Ich entschied, dass ich sie alle lesen würde."
Als Susan sechs Jahre alt war, starb ihr Vater an Tuberkulose. Die alkoholkranke und schwer depressive Mutter heiratete erneut, der Name des Stiefvaters war Sontag, den Susan nur all zu gern annahm, da sie in der Schule mehrmals als "schmutzige Jüdin" beschimpft worden war. Von der Mutter allein gelassen, die es Susan untersagte, sie "Mutter" zu nennen, da es ihr peinlich war, zu altern, suchte sich ihre Vorbilder außerhalb der Familie. So hat sie Jahre später in einem Interview die Biographie von Marie Curie, die von ihrer Tochter Eve verfasst wurde, als "eine der einflussreichsten Lektüren ihrer Kindheit bezeichnet." Auch mit der Rolle der Jo in "Little Women", dargestellt von der jugendlichen und unangepassten Katherine Hepburn konnte sie sich identifizieren.
Zielstrebig verfolgte sie als Mädchen und als junge Frau bis zu ihrem Tod das "Projekt Susan Sontag". So lud sich die 14-jährige bei Thomas Mann selbst zum Tee ein und war enttäuscht, weil ihr großes Idol nur von Banalitäten sprach. Sie las begeistert Proust, Burke und andere. Mit 16 Jahren wechselte sie aufs College, nahm an Graduate-Programmen teil, für die sie eigentlich noch nicht qualifiziert war, mit 17 heiratete sie Philip Rieff, einen gefeierten Soziologie-Dozenten, mit 19 wurde sie Mutter. Schon während des Studiums schrieb Susan Sontag mit Philip Rieff eine Studie über den Einfluss des Psychoanalytikers Sigmund Freud auf die moderne Kultur ("Freud: The Mind of the Moralist"). Sie studierte an den Universitäten von Berkeley und Chicago, später an der Harvard University. Zu weiteren Studien hielt sie sich nach ihrem Magister in Oxford, wo sie sich fremd fühlte, und in Paris auf, das sie liebte und sie mit den von ihr verehrten Ikonen der intellektuellen Elite zusammenbrachte.
Nach ihrer Rückkehr aus Paris trennte sie sich von Rieff, weil sie plante, "mehrere Leben zu führen", was sie in der symbiotischen Beziehung zu ihrem Mann nicht realisieren konnte und zog nach New York. Ein weiterer Grund, ausgelöst durch eine turbulente Affäre mit Harriet Sohmers in Paris, war ihre Erkenntnis, als frauenliebende Frau glücklich zu sein, was sie von nun ab in wechselvollen Liebesbeziehungen zu unterschiedlichsten Frauen wie Maria Irene Fornes, Nicole Stephane und später Annie Leibovitz ausleben konnte. Etwas schamhaft bezeichnet der Biograph die lesbischen Beziehungen in der Zeittafel "Bekanntschaften".
Nach der Scheidung von ihrem Mann lebte Susan Sontag den Spagat als eine der ersten öffentlich alleinerziehenden, berufstätigen Mutter. Sie war eine 23-jährige mit Kind in dieser riesigen Stadt, angereist mit zwei Koffern, dreißig Dollar in der Tasche und Hunger auf das Leben und den Erfolg.
Kontakte zu einflussreichen Verlegern und unzählige, häufig lebenslange Freundschaften zu Szene-Größen ebneten ihr den unaufhaltsamen Aufstieg. Schon bald wurde das intellektuelle Amerika auf Susan Sontag aufmerksam, und sie gehörte dazu. Sie trat in Filmen von Andy Warhol und Woody Allen auf, wurde von Annie Leibovitz und Diane Arbus fotografiert, war Werbegesicht der Wodka-Marke "Absolut" und verfasste gleichzeitig kulturkritische Essays wie 1978 das Essay "Illness as Metaphor" ("Krankheit als Metapher") oder 1989 "Aids and its Metaphors" ("Aids und seine Metaphern") sowohl in renommierten als auch avantgardistischen Kunst- und Literaturzeitschriften, Zeitungen und Magazinen wie dem "New York Review of Books". 1963 veröffentlichte sie mit "The Benefactor" ("Der Wohltäter") ihren ersten Roman, 1967 erschien mit "Death Kit" ("Todesstation") ihr zweiter Roman. Breite Aufmerksamkeit wurde dem Essay "Notes on Camp" (1964) zuteil, in dem Sontag die neue Sensibilität und die Kunst der Gegenwart reflektierte. 1968 nahm sie eine Einladung der nordvietnamesischen Regierung zu einem zweiwöchigen Aufenthalt an und schrieb später "Trip to Hanoi" ("Reise nach Hanoi"). Ihr erster Film (Buch und Regie) entstand 1969 in Schweden mit dem Titel "Duet for Cannibals", 1971 führte sie Regie bei "Zwillinge" (Brother Carl), 1974 stellte sie ihren Dokumentarfilm über den Yom-Kippur-Krieg unter dem Titel "Promised Lands" vor. Die der Biographie "Geist und Glamour" anhängende Bibliographie liefert einen Überblick zum Gesamtwerk der Künstlerin.
Susan Sontag erhielt diverse Auszeichnungen, unter anderem den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (2003), für "Über Fotografie" den National Book Critics Circle Award, 2001 den Jerusalem-Preis oder den National Book Award (2000) für ihren historischen Roman "In America".
Auch wenn sie ihr großes selbst gestecktes Ziel, für ihre belletristische Arbeit anerkannt zu werden, wegen der häufig prekären finanziellen Situation nicht erreichen sollte, so bleibt doch ihr Werk von neun berühmt gewordenen Essay-Sammlungen, vier heftig diskutierten Romanen, zwei unveröffentlichten Filmscripts und einem experimentellen Theaterstück bestehen. Ihre Werke wurden in 32 Sprachen übersetzt.
"Essays zu schreiben ist Teil einer Sucht, von der ich mich versuche zu lösen. Mein letzter Essay ist wie meine letzte Zigarette." Von beidem sollte sie bis zu ihrem Tod nicht loskommen. Susan Sontag starb am 28. Dezember 2004 an Krebs. Ihr Grab befindet sich auf dem Pariser Friedhof Montparnasse, in unmittelbarer Nähe zu ihren literarischen Vorbildern.
Zum Autor: Daniel Schreiber, geboren 1977, studierte in Berlin und New York Literatur und Theaterwissenschaften, Slawistik und Performance Studies. Heute lebt er in New York und schreibt als freier Journalist unter anderem für die taz, Theater heute, Freitag und die Frankfurter Rundschau. (Quelle: Verlagsinformation)
AVIVA-Tipp: Daniel Schreiber ist ganz dicht dran an der Bibliographie und Chronologie in Susan Sontags Leben, und bis auf wenige Ausnahmen bleibt er mit seiner subjektiven Meinung im Hintergrund. Konstatierend, nicht sezierend stellt der Biograph heraus, dass sich Sontag ihre Erinnerung nach eigenem Gusto zurechtzimmert. Es ist unmöglich, an dieser Stelle das vollständige Werk Susan Sontags, ihr atemloses Leben, ihre künstlerische Entwicklung, ihre Werke oder den Inhalt dieser gelungenen Biographie mit den Innenansichten und der Außenwirkung von "Amerikas öffentlichem Gewissen" als Ganzes vorzustellen, daher sollten sich diejenigen "Susan Sontag. Geist und Glamour" nicht entgehen lassen, die sich intensiv mit dieser widersprüchlichen, oft schwierigen und charismatischen Frau beschäftigen möchten.
Weitere Infos auch unter: www.susansontag.com
Daniel Schreiber
Susan Sontag. Geist und Glamour
Aufbau-Verlag, erschienen Dezember 2007
Gebunden, 343 Seiten
978-3-351-02649-3
22,95 Euro / 44,00 Sfr