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Beitrag vom 29.04.2003
Batya Gur: Die schwarze Schatulle
Ilka Fleischer
Der erste Kinder- und Jugendkrimi der israelischen Bestseller-Autorin stößt auf geteilte Meinungen...
Der frisch aus den USA nach Israel eingewanderte Benji hat nicht nur mit der hebräischen Sprache einige Schwierigkeiten, sondern mit seiner Situation als "Neuling" und Einzelkind insgesamt. Deshalb bekommt der 8-Jährige den verantwortungsvollen Shabi aus der achten Klasse als Tutor zur Seite gestellt, den er nach einigen Anlaufschwierigkeiten wie einen großen Bruder betrachtet. Zwischen den beiden ungleichen Jungen entwickelt sich eine innige geschwisterliche Freundschaft.
Um so verblüffter ist Shabi, als sein Schützling eines Tages nichts mehr von ihm wissen will und ohne Erklärung vor ihm davonläuft. Am selben Tag verschwindet auch noch seine wunderschöne und wertvolle Schatulle aus dem Klassenzimmer, die Benji ihm zur Bar Mizwa geschenkt hatte. Fühlt sich der Jüngere durch das trompete-spielende Mädchen Joli zurückgesetzt, in die Shabi heimlich verliebt ist? Und wer hat "Die schwarze Schatulle" gestohlen, auf die er so stolz war?
Die Situation spitzt sich immer mehr zu, als auch noch in den Schulkiosk eingebrochen wird und sich herausstellt, dass Benji nicht nur psychisch drangsaliert wird. Der 14-Jährige weiß nun, dass es hier nicht um gekränkte Eitelkeiten geht und muss schnell handeln, um seinen jungen Freund vor weiteren Misshandlungen zu retten.
Das erste Jugendbuch Batya Gurs wurde von KritikerInnen sehr ambivalent aufgenommen. Einerseits kam die FAZ zu dem Schluss, das Erstlingswerk der legendären Krimi-Autorin sei nicht mehr als "passabel" und die FR-Rezensentin attestierte Gur, sie biete "Sinnstiftung statt Realität". Andererseits resumierte das Eselsohr, "Die schwarze Schatulle" sei ein "überdurchschnittlich guter Kinder - und Jugendkrimi" und die Zürichsee-Zeitungen wollen Batya Gur sogar in einem Atemzug mit Erich Kästner genannt wissen.
Beide Sichtweisen haben ihre Berechtigung: Indem die Autorin eine eindeutige Aufteilung in "gute" und "böse" Menschen schafft, mangelt es den ProtagonistInnen zuweilen an realitätsnaher Vielschichtigkeit. Während "die Guten" zwar noch mit ihren halb-schattigen Seiten gezeigt werden, fehlt die Beleuchtung "der Bösen" vollständig. Wodurch wer geworden ist, wie er oder sie ist, wird für die LeserInnen schwer nachvollziehbar.
Dennoch ist Batya Gur über den spannenden Plot hinaus ein thematischer Facettenreichtum gelungen, der nicht allein die Zielgruppe der 10- bis 15-Jährigen anspricht. Insbesondere die vielen feinen Nuancen von Freund- und Liebschaften schildert die Autorin eindrucksvoll verwoben mit ihren Stiefkindern Neid, Konkurrenz und Eifersucht. Gerade deshalb ist "Die schwarze Schatulle" kein reines "Kinderbuch", weder ausschließlich "Mädchen"- noch "Jungenlektüre".
Einen zentralen Gedankengang des jugendlichen Helden Shabi rollt Gur gewissermaßen andersherum auf:
"Wenn ihr größer seid, werdet ihr es verstehen." Solche Sprüche machen mich ganz verrückt. Von all den Gedichten, die wir im Literaturunterricht gelernt haben, erinnere ich mich nur an eine Zeile: "Für das Leben gibt es keine Anfängerklasse". Aber ausgerechnet auf diese Zeile ging die Lehrerin nicht ein."
Insofern kommt mit dem "Anfängerklassen"-Erstling Batya Gurs auch bei der "Fortgeschrittenenklasse" keine Langeweile auf...
Gur, Batya
Die schwarze Schatulle
November 2002
Goldmann Wilhelm Gmbh
6,90 EURO
ISBN/EAN 3-442-45032-290008115&artiId=1325239&nav=5081"