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Beitrag vom 11.03.2008
Charlotte Roche - Feuchtgebiete
Stefanie Denkert
Mit ihrem Debutroman wettert Charlotte Roche gegen die Hygienehysterie, zelebriert die weibliche Sexualität und testet die Grenzen des schlechten Geschmacks. Dabei polarisiert "Feuchtgebiete" die...
... LeserInnenschaft wie selten ein Roman.
Im Februar 2004, in ihrer damaligen Sendung "Charlotte Roche trifft...", machten sich die Ex-VIVA-Moderatorin und ihr Gast Hape Kerkeling über den TV-Werbspot einer Intimwaschlotion lustig. Schon damals machte die Feministin aus ihrem Unverständnis für den übertriebenen Hygienewahn keinen Hehl. Genau drei Jahre später gipfelt Roches Kritik am Hygiene- und Rasurzwang sowie an "parfümierten Slipeinlagen" in ihrem tabubrechenden Roman "Feuchtgebiete". Zur Veröffentlichung ihres Debuts druckten alle namhaften Medien bereits im Vorfeld Interviews mit der 30-jährigen ab, sodass man/frau an "Feuchtgebiete" kaum vorbei kam und sich Interessierte bereits vor der Lektüre eine Meinung gebildet hatten.
Dass "Feuchtgebiete" nichts für schwache Gemüter ist, weil Ich-Erzählerin Helen nicht viel von Hygiene hält und nach einer missglückten Intimrasur im Krankenhaus landet, war vorab zu erfahren. Ebenso die Tatsache, dass Roches Verlag Kiepenheuer und Witsch das Manuskript ablehnte, weil es "zu pornographisch" sei. Dank dem Mut des ebenfalls in Köln ansässigen Verlags DuMont wurde das Buch nun doch verlegt – und für letztere hat sich gelohnt, denn "Feuchtgebiete" stieg gleich auf Platz 2 der Spiegel-Bestsellerliste ein. Sowohl professionelle LiteraturkritikerInnen als auch Hobby-KritikerInnen auf Amazon sind sich jedoch uneinig, was die Qualität des Buchs angeht. Auf der Seite des größten Internet-Buchhändlers schwanken die Bewertungen zwischen dem obligatorischen einen und der Höchstzahl von fünf Sternen.
Warum polarisiert "Feuchtgebiete" so sehr? Weil die 18-jährige Körpersaft-fixierte Helen alles geil findet, was bei Erwachsenen ein Ekelgefühl auslösen könnte – das natürlich je nach soziokulturellem Background antrainiert wurde. Kinder spielen noch unbekümmert mit ihren Fäkalien, aber lernen schnell, was in ihrem Umfeld als "Bäh" gilt. Und Helen steht auf "Bäh": sie isst ihre Popel, schmiert ihr Scheidensekret gerne auf öffentlichen Toiletten über die gesamte Klobrille, legt ihre selbst gebastelten in Menstruationsblutgetränkten Tampons in Fahrstühlen aus. Manchmal hat frau beim Lesen ein leichtes Ekelgefühl, andere Male schon einen Würgereiz.
Vielleicht ist es die Faszination des Grauens, die einen zum Weiterlesen antreibt. Es könnte aber auch an dem großartigen Schreibstil und dem makaberen Humor von Charlotte Roche liegen. Ihre Anti-Heldin ist deshalb auch immer ein Stück weit selbstironisch. Was Helen jedoch sehr ernst nimmt, ist das freizügige Ausleben ihrer Sexualität, und so präsentiert sie sich uns als sexuell aggressiv und außerordentlich experimentierfreudig. Nachdem die Hämorriden-geplagte Protagonistin sich bei der Rasur um ihren "Blumenkohl" am After eine Analfissur zugezogen hat, liegt sie nun Krankenbett und denkt viel über ihr Sexleben nach. Die Handlung in "Feuchtgebiete" ist, abgesehen von Helens Selbstbefriedigung und den Besuchen von ÄrztInnen, PflegerInnen und Familie zwischen zwei Operationen bis zu ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus, hingegen sehr beschränkt. Dafür passiert umso mehr in Helens Kopf: Wir erfahren von ihren Erlebnissen mit Prostituierten, von ihren Intim-Barbier, dass sie gerne verschiedene Sorten Sperma im Mund hätte und vieles mehr.
Nur beiläufig erwähnt sie ihre Drogeneskapaden und, dass sie manchmal ihrem Gedächtnis selbst nicht mehr traut. Ein wenig mehr erzählt Helen von ihren geschiedenen Eltern, die sie um jeden Preis im Krankenhaus wieder zusammenführen möchte und von dem dunklen Familiengeheimnis: einem Selbstmordversuch ihrer Mutter, bei dem sie auch Helens Bruder mit in den Tod reißen wollte. Nur langsam verzieht sich der Nebel aus riesigem Sex-Getöse und dahinter ist Helen eben auch eine verletzliche junge Frau, die sich nach Liebe und Geborgenheit sehnt. Kein Wunder also, dass Helen sich in den Krankenpfleger verliebt, der sich um sie kümmert, während sie vergeblich auf ihre Eltern nach der zweiten Not-OP wartet.
AVIVA-Tipp: Muss das sein? Ja! Mit "Feuchtgebiete" hat Charlotte Roche weder das Rad neu erfunden, noch ist es das erste Buch, das Tabus bricht – aber: allein die Tatsache, dass die Reaktionen auseinander gehen, zeigt, dass es einen Nerv getroffen hat. Und wo sonst findet frau eine Protagonistin, die ihre Sexualität und ihre Körpersäfte so zelebriert, so liebevoll ihren Geschlechtsteilen Kosenamen gibt? Für Männer ist das eine Selbstverständlichkeit, frau denke nur an die beliebten ´Cumshots´ in Pornofilmen und all die Synonyme, die es für männliche Genitalien gibt. Charlotte Roche musste ihre Protagonistin Helen die Grenzen des guten Geschmacks überschreiten lassen, um aufzurütteln, zum Nachdenken zu bewegen. Wen hätte es schon gestört, wenn Helen sich lediglich die Achseln nicht rasiert? Das reicht nicht als Hygienewahnkritik in Zeiten des "Dschungel Camps". Übrigens hat das Ekeln und Schockieren in "Feuchtgebiete" nichts mit der RTL-Sendung gemein, denn Charlotte Roche geht es um eine Hommage an den weiblichen Körper, was leider viele LeserInnen nicht verstanden haben. Ein Manko von "Feuchtgebiete" sollte jedoch nicht verschwiegen werden: Helen liebt es, das Sperma ihrer Sexpartner noch lange in sich zu tragen, spricht aber nie über Verhütung. Die Gefahr von Geschlechtskrankheiten und HP-Viren (die für Gebärmutterhalskrebs verantwortlich sind) wird leider ebenfalls nicht thematisiert. Nichtsdestotrotz ist "Feuchtgebiete" ein wichtiges, und sicher schon bald ein feministisches Kultbuch!
Zur Autorin: Charlotte Roche wurde 1978 in High Wycombe/England geboren und wuchs in Deutschland auf. Für ihre Arbeit als Fernsehmoderatorin u.a. für Viva, arte und das ZDF wurde sie mit dem Grimme-Preis und dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Charlotte Roche lebt in Köln, sie ist verheiratet und hat ein Kind. "Feuchtgebiete" ist ihr erster Roman. (Verlagsinfo)
Charlotte Roche im Netz:
www.charlotteroche.de
Charlotte Roche
Feuchtgebiete
Dumont Buchverlag, 1. Auflage, Februar 2008
Sondereinband, 220 Seiten
ISBN-10: 3832180575
ISBN-13: 978-3832180577
14,90 Euro
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