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Beitrag vom 18.08.2006
Ich besaß einen Garten in Schöneiche bei Berlin. Jani Pietsch
Sharon Adler
Das verwaltete Verschwinden jüdischer Nachbarn und ihre schwierige Rückkehr. Eine Rekonstruktion der Berliner Politikwissenschaftlerin und Historikerin Jani Pietsch. Mit O-Tönen von Gesine Strempel
1933 lebten im Berliner Vorort Schöneiche unter insgesamt 5.000 EinwohnerInnen 170 Juden und Jüdinnen, drei Prozent der Bevölkerung also – mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten setzte die seelenlose Maschinerie den Prozess der systematischen Enteignung der Juden, ihrer Deportation und Ermordung in Gang. Dass das in diesem idyllischen Ort, in dem jeder jeden kannte, nicht unbemerkt geschah, zeichnet Jani Pietsch akribisch auf.
Anhand von Interviews mit ZeitzeugInnen oder deren Nachkommen, Dokumenten und Archivmaterial rekonstruiert sie, wie das bürokratische und private Handlungsgeflecht der Enteignung, das Räderwerk einer seelenlosen Bürokratie, funktionieren konnte:
Es reichte vom Bürgermeister über den Landrat und die Kreisverwaltung bis zum Regierungspräsidenten, der Post, der Versicherungen, der Polizei und Gestapo, von der Gebrauchtwarenhändlerin über den Gerichtsvollzieher und Transportunternehmer bis zum Käufer und Nachmieter.
Als nur wenige Jahre später die jüdischen NachbarInnen verschwunden waren, wohnten in ihren Häusern andere. Und wer bereicherte sich an ihren Möbel, ihren Fahrrädern, Büchern, Geschirr, was geschah mit ihren Haustieren?
7. August 1942: Ich besaß einen Garten in Schöneiche bei Berlin schrieb der 72jährige Dr. Samuel Breslauer, promovierter Jurist, ehemals Chefredakteur des Berliner Lokalanzeigers, mit zittriger Hand in die Vermögenserklärung, die die deutsche Bürokratie ihm vor seiner Deportation abverlangte. Fast auf den Tag genau, 64 Jahre später, werden auf Anregung der Berliner Historikerin Jani Pietsch, die vor zehn Jahren nach Schöneiche zog, die ersten fünf Stolpersteine verlegt, zum Andenken an die verschwunden jüdischen NachbarInnen.
Gesine Strempel, Moderatorin des Magazins Zeitpunkte Kulturradio im rbb, Autorin, Übersetzerin und Trägerin der Hedwig-Dohm-Medaille 2006, machte sich auf die knapp einstündige Reise von Berlin-Charlottenburg nach Schöneiche und traf Jani Pietsch am 10. Mai 2006. Die Zeitpunkte-Reportage wurde am 5. August 2006 gesendet.
Ihre Impressionen:
Weißer und lila Flieder blüht, die Vögel zwitschern und hören sofort auf, als ich das Mikrofon aus der Tasche hole, schlaue Biester, diese Vögel, und der märkische Sand auf dem Weg durch den Park Richtung Goethestraße wirbelt staubig wie eh und je unter meinen Füßen. Jugendstilhäuser, kleine Villen in großen Gärten, Straßenbäume dicht an dicht. Schöneiche nannte bereits 1933 die örtliche Hauptstraße in Adolf Hitler Straße um. 73 Jahre später gehe ich im strahlenden Sonneschein die Goethestraße entlang zu Jani Pietsch, der nach der Wende zugezogenen Historikerin, die in ihrem neuen Wohnort nach Zeugnissen verschwundenen jüdischen Lebens suchte. Auch ihr Haus eine der typischen rundgieblige Berliner Vorortvillen, die immer etwas leicht matronenhaftes an sich haben, in einem 800 m² großen Garten. Die Hündin Zinnober begrüßt mich schweigend, wedelt matt mit dem Schwanz, das rote Fell erwartungsvoll gesträubt. Jani Pietsch muss das Tier beiseite schieben, um mir die Gartentür öffnen zu können. Wir setzen uns an einen Gartentisch, der Wind weht, wird immer wieder über das Mikrofon streichen, aber es ist so schön draußen, in diesem Morgengarten, dass wir sitzen bleiben. Jani Pietsch, die zur Zeit als Lektorin arbeitet, Mutter, Großmutter, drei Jahre nach dem Krieg geboren, erzählt von ihrem Interesse für die Vergangenheit der Umgebung, in der sie lebt als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt:
"Eigentlich schon immer beschäftige ich mich damit. Ich kann gar nicht sagen, wann das angefangen hat. 1995 bin ich nach Schöneiche gezogen, ich hatte mich ein paar Jahre vorher, relativ kurz nach dem Fall der Mauer, als man eben auch selber ins Grüne konnte, im benachbarten Woltersdorf, auch einem sehr schönen Kurort mit Wasser und Schleuse, in eine wunderschöne so genannte rote Villa, eine russische Villa verliebt, die ziemlich verfallen war – ja. Ich hab ein bisschen etwas darüber erfahren, wer die Besitzer waren, sei stand eben leer und verfiel, und es war eine jüdische Berliner Familie, Sommerfeld, die eine kleine Lampenfabrik in Kreuzberg hatten. Mit Aluminiumlampen. Ich habe auch in Kreuzberg den Hof gefunden, in der Skalitzer Straße, wo das alles produziert wurde, und meine Absicht ist damals eigentlich gewesen, die Geschichte dieser Familie und auch vielleicht des gesamten Schleusenbergs, auf dem das Haus stand, zu rekonstruieren, vielleicht so eine Ausstellung über die Geschichte, die Enteignung, die Vertreibung dieser jüdischen Woltersdorfer im Garten zu machen. Ja. Das hat leider nicht geklappt."
Die Enteignung jüdischer NachbarInnen und die deutsche Bürokratie
Doch Jani Pietsch machte sich in ihrer neuen Heimat Schöneiche auf die Suche.
1998 begann sie, ältere OrtsbewohnerInnen nach ehemaligen jüdischen NachbarInnen zu fragen und erhielt stets die gleichen Antworten:
"Hier gab es keine Juden. Hier war alles in Ordnung." Hinter vorgehaltener Hand bedeutete man ihr, der Zugezogenen, doch das Thema besser fallen zu lassen.
"Bei deiner Recherche wird nur herauskommen, dass den Juden die größten Villen gehören und dass sie die jetzt wiederhaben wollen".
Doch eines Tages wurde ihr von der Gemeindevertreterin Dr. Dagmar Nawroth eine Plastiktüte über den Gartenzaun gereicht. Sie enthielt einen wilden Haufen von Zetteln mit überraschenden Hinweisen: "Adler, hinterm Kieferndamm. Hund hieß Prinz. Acht bis zehn SA-Tschakos holten ihn ab. Tochter musste sich von arischem Verlobten trennen."
Aus weiteren, zum Teil heimlich zugesteckten Informationen älterer BewohnerInnen und Unmengen von Archivmaterial rekonstruierte Jani Pietsch in fünfjähriger Recherchearbeit die Namen und Schicksale der jüdischen SchöneicherInnen – auch mit Unterstützung von SchöneicherInnen heute.
Im Jahr 2001 schließlich realisierte sie die Ausstellung "Ich besaß einen Garten in Schöneiche bei Berlin". Die Recherche von Jani Pietsch endet jedoch nicht 1945. Schöneiche gehörte zur DDR und die rechtliche Praxis der DDR es nicht vor, jüdischen EigentümerInnen das während der NS-Zeit entzogene Vermögen zurückzuerstatten. Auch noch lange nach dem Fall der Mauer taten sich für die wenigen Überlebenden, ihre Kinder und Enkel endlose entwürdigend-bürokratisch Hindernisse auf, die eine Rückgabe und Entschädigung verzögerten.
Zur Autorin: Jani Pietsch, Politikwissenschaftlerin und Historikerin, lebt als freie Autorin und Sachbuchlektorin in Schöneiche bei Berlin. Sie organisierte 2001 eine Ausstellung zum Thema, die im Brandenburgischen Landtag, der Staatskanzlei Potsdam und in der Kleinen Synagoge in Erfurt zu sehen war.
AVIVA-Tipp: Bewegende Berichte über Emigration in letzter Minute, Selbstmord vor der Deportation, einem Lebens in der Illegalität, dem Verlust der Würde und schließlich Deportation und Ermordung. Hut ab vor der couragierten Historikerin Jani Pietsch, der es auf beeindruckende Weise gelungen ist, verlorenes jüdisches Leben sichtbar zu machen.
Ich besaß einen Garten in Schöneiche bei Berlin
Das verwaltete Verschwinden jüdischer Nachbarn und ihre schwierige Rückkehr
Jani Pietsch
Campus Verlag, erschienen 16.03.2006
ISBN 3-593-38027-7
EAN 9783593380278
280 Seiten, 100 Abbildungen
Euro 24,90