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Beitrag vom 13.09.2007
Fräuleins und GIs. Geschichte und Filmgeschichte
Stefanie Denkert
Die Filmwissenschaftlerin Annette Brauerhoch untersucht das Phänomen des "Fräuleins" in Spielfilmen und rekonstruiert deren Bedeutung für die deutsch-amerikanische Nachkriegsgeschichte.
"Fräuleins", so wurden früher junge, unverheiratete Frauen genannt – und die gab es nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland im Überfluss. Durch den kriegsbedingten Männermangel kam es nicht selten zu Liebschaften zwischen den "Fräuleins" und den amerikanischen Soldaten in den Besatzungszonen. Doch diese Beziehungen wurden überschattet von der Umbruchsituation im Nachkriegsdeutschland. Deutschland musste nach dem Krieg eine neue nationale Identität entwickeln, dabei kam es – wie üblich nach unruhigen Zeiten - zu einem Rollback zu traditionellen Geschlechterrollen, in die die lebenslustigen Fräuleins nicht hineinpassten. Kein Wunder, dass sie auch häufig als "Amiflittchen" bezeichnet wurden.
Annette Brauerhochs Hauptinteresse in "Fräuleins und Gis" gilt deutschen und amerikanischen Spielfilmen, dabei nimmt sie mehr oder weniger bekannte "Fräulein-Filme" der Nachkriegszeit unter die Lupe, u.a. Billy Wilders "A Foreign Affair" (1948), "Hallo Fräulein!" von Rudolf Jugert (1949), "Strassenbekanntschaft" von Peter Pewas (1948) oder "Verboten!" von Samuel Fuller (1958/59), "Fraulein" von Henry Koster (1958) und "The Big Lift" von George Seaton (1950). Die Akademikerin hat für ihr Buch in Militärdokumenten, Presseberichten, Romanen, Archiven für Zeitgeschichte und Filmarchiven ausgiebig recherchiert.
Besonders interessant in "Fräuleins und Gis" ist u.a. die umfassende Analyse von Beziehungen zwischen deutschen Fräuleins und afroamerikanischen Soldaten. Man bedenke, dass in den USA noch strikte Segregation herrschte als sich schwarze GIs aufmachten, die Welt von den Nazis zu befreien. Vielen schwarzen Soldaten erging es in Deutschland besser als im Heimatland, und mit ihrer freundlichen Art machten sie sich nicht nur bei den Fräuleins sehr beliebt. Dabei war es für die Mehrheit der Deutschen das erste Mal, dass sie auf Menschen mit anderer Hautfarbe trafen. In den deutschen Medien herrscht derweil ein bipolares Bild vom Afroamerikaner: einerseits als gutmütiger, freundlicher "Neger", andererseits als "böser schwarzer Mann". Sechs Jahre nachdem die ersten schwarzen Soldaten eingetroffen waren, entbrennt eine öffentliche Debatte über die entstandenen Mischlingskinder, die nun eingeschult werden. Der Bundestag fragt sich ernsthaft, ob diese Kinder mit den "klimatischen Bedingungen" in Deutschland zurecht kommen. Thematisiert wird dieses "Sonderproblem" auch in Filmen, wie "Toxi" (1952).
AVIVA-Tipp: "Fräuleins und Gis" ist kulturgeschichtlich eine wichtige und längst überfällige wissenschaftliche Untersuchung, da das Phänomen des "Fräuleins" zuvor in der Wissenschaft keine Beachtung fand. Da das Buch ursprünglich als Habilitationsschrift gedacht war, ist die Sprache teilweise sehr akademisch - und somit keine leichte Lektüre. Die LeserInnen brauchen zudem einigermaßen gute Englischkenntnisse für die zahlreichen Originalzitate. Dennoch, "Fräuleins und Gis" ist absolut lesenswert!
Zur Autorin: Annette Brauerhoch verbrachte drei Jahre als DAAD Gastprofessorin an der Columbia Universität in New York, bevor sie 2001 den Lehrstuhl für Filmwissenschaft an der Universität Paderborn antrat. Publikationen u.a.: "Die gute und die böse Mutter. Kino zwischen Melodrama und Horror", zahlreiche Aufsätze in Büchern und Zeitschriften zu Schauspiel, feministischer Filmkritik, Avantgarde- und Experimentalfilm. Brauerhoch ist zudem langjährige Mitherausgeberin von "Frauen und Film". (Verlagsinfo)
Annette Brauerhoch
Fräuleins und GIs. Geschichte und Filmgeschichte
Verlag: Stroemfeld/Nexus (2006)
Gebundene Ausgabe, 532 Seiten
Mit zahlr. Fotos, Kartoniert/Broschiert
ISBN-10: 3861091704
ISBN-13: 978-3861091707
Preis: 28 Euro