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Beitrag vom 19.08.2008
Irmtraud Morgner zum 75. Geburtstag
Silvy Pommerenke
Am 22. August hätte die ostdeutsche Autorin ihren 75. Geburtstag gefeiert. Anlässlich dieses Jahrestages stellt AVIVA-Berlin ausgewählte Bücher Morgners vor und lässt die fast vergessene Autorin...
...noch einmal auferstehen.
Fast schon ist es bezeichnend, dass von Irmtraud Morgners Werken lediglich drei zur Zeit im Buchhandel erhältlich sind. Wobei der Roman "Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura", der 1974 erschien und mit dem die feministische Autorin auch außerhalb der DDR bekannt wurde, nur noch antiquarisch zu erwerben ist. Ursprünglich angelegt als sogenannte Salman-Trilogie, bildet dieser phantastische Roman den Ausgangspunkt einer gesellschaftlichen Utopie, die im Mittelalter in der Provence beginnt und die Protagonistin – nach einem Schlaf von mehr als achthundert Jahren – direkt in das Jahr 1968 in die DDR katapultiert. Beatriz Dia, so der Name der Romanheldin, verweigert sich bereits im 12. Jahrhundert den gesellschaftlichen Normen und verfasst Minnelieder, in denen sie auch ihr sexuelles Begehren zum Ausdruck bringt. Dies ist allerdings den Männern vorbehalten, und als es Krach mit einem angebeteten Mann gibt, beschließt sie, die nächsten Jahrhunderte zu verschlafen, in der Hoffnung, dass die Zukunft eine gleichberechtigte Gesellschaft bietet. Sie trifft auf die gleichgesinnte Straßenbahnfahrerin Laura Salman, aber das erhoffte Paradies, in dem sich die Subjektwerdung der Frauen vollzogen hat, findet sie nicht. Bei einem tragischen Unfall kommt die Trobadora ums Leben, aber sie hat vorher Laura ihre Visionen übertragen, die diese wiederum in dem neun Jahre später erscheinenden Roman "Amanda" einbaut. Morgner fand mit diesem Roman nicht nur bei den westdeutschen Feministinnen großen Anklang, sondern schuf quasi eine Bibel der Frauenemanzipation.
Irmtraud Morgner war eine tollkühne Visionärin, die Gleichheit und Gerechtigkeit für die Menschen anstrebte. So war auch eines ihrer Glaubensbekenntnisse: "Die Emanzipation der Frauen ist ohne eine Emanzipation der Männer nicht möglich." Als Sozialistin ist sie dennoch in der DDR immer wieder angeeckt, obgleich sie nie daran gedacht hat ihr Geburtsland zu verlassen. Sie war Mitglied im DDR-Schriftstellerverband, erhielt 1975 den Heinrich Mann-Preis der Akademie der Künste der DDR und zwei Jahre später, 1977, den DDR-Nationalpreis. Zwar fielen ihre Texte immer wieder der Zensur zum Opfer, dennoch hat sie sich nicht davon abbringen lassen ihre Kritik an der männlich dominierten Gesellschaft über ihre phantasievolle Art des Schreibens, die fast barock anmutet, in ihre Romane einzuschreiben. Dabei bedient sie sich eines ironischen Schreibstils und verfasst Formen des Schelmenromans, die sich amüsant lesen. Bisweilen benötigt man allerdings einen langen Atem - gerade ihre "Trilogie" ist extrem umfangreich geraten - und vor allem Phantasie, um der Autorin auf ihren aberwitzigen Abenteuern folgen zu können.
Auch in Westdeutschland erhielt Morgner Auszeichnungen, zum einen 1985 den Roswitha-Preis der Stadt Bad Gandersheim und 1988 den Literaturpreis für grotesken Humor der Stadt Kassel.
Irmtraud Morgner, geboren am 22. August 1933 in Chemnitz , verstarb am 6. Mai 1990 in Berlin Ost nach dreijähriger Krankheit an Krebs. Die Mauer hat sie noch fallen sehen, den Titel "Die Cherubinischen Wandersfrauen. Ein apokryphischer Salman-Roman" noch für den letzten Teil der Trilogie gefunden, aber das Erscheinen unter dem Titel "Das heroische Testament. Roman in Fragmenten" nicht mehr erleben können. Der Herausgeber Rudolf Bussmann hat aus einem Nachlass von mehr als 12.000 Seiten ein vierhundertseitiges "offenes Buch" (re-)konstruiert und kommentiert. Der Schweizer hatte bereits 1992 Morgners Roman "Rumba auf einen Herbst aus dem Jahre 1966" herausgegeben und ist Verwalter des Morgner`schen Nachlasses.
Erzählungen – Ein Lesebuch (EV zwischen 1968 und 1982)
Zum Einstieg in das Morgner`sche Werk bietet sich dieses Lesebuch ganz wunderbar an. Der Verbrecher-Verlag hat unter dem Herausgeber Jörg Sundermeier elf Erzählungen der Autorin ediert, die ihren Erstabdruck zwischen den Jahren 1968 und 1982 hatten. Dabei kann man deutlich die Veränderung im Schreibstil Morgners nachvollziehen, die in früheren Texten noch in Anlehnung an den sozialistischen Realismus schrieb, sich später allerdings immer mehr der phantastischen und mythologischen Literatur zuwandte. Die ausgewählten Erzählungen dieses Band reichen von "Bis man zum Kerne zu gelangen das Glück hat" - einem Artikel den sie für den Sonntag 1974 veröffentlicht hat -, die amüsante Erzählung "Gute Botschaft der Valeska in 73 Strophen" - einem Auszug aus "Leben und Abenteuer der Tobadora Beatriz" - bis hin zu dem 1982er Text "Die Heiratsschwindlerin", der wiederum aus der "Amanda" stammt.
Herausgegeben von Jörg Sundermeier
Verbrecher Verlag, VÖ September 2006
Taschenbuch, 165 Seiten
ISBN: 978-3935843744
13,00 Euro
Die wundersamen Reisen Gustavs des Weltfahrers
Lügenhafter Roman mit Kommentaren (EV 1972)
Bei diesem "lügenhaften Roman mit Kommentaren" lässt Morgner ihre Erfahrungen als Tochter eines Lokomotivführers einfließen. Eine amüsante Geschichte, denn Gustav, ehemaliger Lokomotivführer, geht in Rente. Von seinen Ersparnissen kauft er sich eine ausrangierte Lok, die er liebevoll Hulda nennt, und bringt sie wieder zum Fahren. Wobei Hulda nicht nur auf Gleisen fahren kann, sondern sie kann auch segeln, fliegen und viele Dinge mehr. Schnell heuert sich Gustav zwei Männer an, und die drei gehen auf kuriose Weltreise, bei der sie die absurdesten Abenteuer erleben. Stellenweise erinnert die Geschichte an die Erlebnisse des Odysseus, der sich ebenfalls den merkwürdigsten Bewährungsproben stellen musste. Die Homer`sche Odyssee in modernem Gewand: Geschlechter-Kampf inklusive.
Verbrecher Verlag, VÖ September 2006
Taschenbuch, 153 Seiten
ISBN: 978-3935843737
13,00 Euro
Amanda: Ein Hexenroman (EV 1983)
Amanda ist die Fortführung des Romanstoffes von "Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura". Nachdem Beatriz ums Leben gekommen ist, übernimmt ihre Spielfrau Laura Amanda Salman den Kampf um die Gleichberechtigung. Die Figur ist zweigeteilt angelegt, zum einen als Amanda, die hexische Hälfte von Salman, die durch den Teufel abgespalten wurde, zum anderen als Laura, die andere Hälfte, eine Triebwagenfahrerin, die gegenseitig miteinander kämpfen. Dieser Hexenroman ist eine großartig angelegte Allegorie auf den Geschlechterkampf und ein Crossover mythischer Themen und sozialistischer Realität. Morgner hat zudem geschickt ihre 1965 verbotene Erzählung "Rumba auf einen Herbst" mit eingeflochten und verdeutlicht ihr weitreichendes enzyklopädisches Wissen durch Anspielungen und Verweise. Monika Speer schrieb 1983 dazu: "Der Zustand der Welt ist, schlicht gesagt, katastrophal. Und der der Frauenwelt teuflisch!" Während "Beatriz" noch optimistisch angelegt war, weicht "Amanda" einem Skeptizismus, der sich bis heute kaum auflösen lässt. Die Fortführung dieses als Trilogie angelegten Romans findet sich in dem postum herausgegebenen und konstruierten "Das heroische Testament. Roman in Fragmenten".
Faber & Faber Verlag, VÖ Dezember 2007
Gebunden, 680 Seiten
ISBN: 978-3867300605
19,90 Euro