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Beitrag vom 01.07.2008
Victoria Wolff – Die Welt ist blau. Ein Sommer-Roman aus Ascona. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Anke Heimberg
Silvy Pommerenke
Der Roman der jüdischen Autorin ist nicht nur ein kurzweiliges Lesevergnügen, sondern auch ein historisches Portrait über Ascona, den "äußersten Vorort Berlins" der zwanziger und dreißiger Jahre. Der Roman erschien 1933 als Vorabdruck in der Neuen Zürcher Zeitung und 1934 erstmals in Buchform. 2008 erschien das literarische Kleinod als gebundene Ausgabe im AvivA Verlag, der es nun als Taschenbuch herausgebracht hat.
Der Roman "Die Welt ist blau", der auf den ersten Blick ziemlich seicht scheint, ergibt auf den zweiten Blick eine literarische Welt voller subtiler und politischer Anspielungen. Mit leichter Hand hat die Autorin - der hypotaktische Sätze eines Thomas Manns fremd sind, die auch nicht die verschlungenen Gedanken einer Simone de Beauvoir teilt -, bewiesen, dass es mitunter an der LeserIn ist, einen leichten Schreibstil zu dechiffrieren und in ihm die filigran eingewobenen Anspielungen zu entziffern.
Der Plot des Romans "Die Welt ist blau" ist schnell erzählt: eine junge Frau reist mit ihrem zehn Jahre älteren Freund 1933 in den Sommerferien nach Ascona, Schweiz. Was unverfänglich klingt, hat für die dreißiger Jahre natürlich eine besondere Brisanz, denn ein unverheiratetes "Mädchen", das mit einem deutlich älteren Mann alleine in den Urlaub fährt, ist Grund genug für kritische Blicke. Somit gehört Ursula Eisenlohr, die Protagonistin des Romans, zu der Generation neuer Frauen, die aus den zwanziger Jahren entsprungen sind. Einerseits noch sehr verspielt und kindlich, entwickelt sich die Hauptakteurin des Buches über die knapp 180 Seiten des Romans zu einer selbstbewussten Frau, die nicht nur das Steuer des Cabriolets dem Mann entreißt, sondern auch schnell die Spielregeln der – platonischen – Beziehung aufstellt. Sie fühlt sich eingeengt, will Freiraum haben und knüpft Kontakt zu einer etwas zwielichtigen Gestalt an dem Bohemien-Ort Ascona. Das kann Peter Mack - ihr Freund, von Beruf Rechtsanwalt -, der die Dinge penibel betrachtet, das Leben ebenso, nur ein Dorn im Auge sein ...
Victoria Wolff, geboren 1903 in Heilbronn, wuchs in einer jüdischen Industriellenfamilie auf. Ihre journalistische Laufbahn begann bereits in den Zwanziger Jahren, als sie ihr Studium vorzeitig abbrach und für die lokale Neckar-Zeitung schrieb, später auch für die Frankfurter Zeitung oder die Kölnische Zeitung. Zuvor hatte sie als eines der ersten Mädchen 1922 ihr Abitur am Heilbronner Knaben-Realgymnasium absolviert. 1932 hatte sie ihr Debut mit dem biographischen Roman "Eine Frau wie du und ich" über George Sand, der ihr schlagartig in vielen großen Tageszeitungen eine Buchbesprechung einbrachte. 1933, nachdem die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht "übernahmen", emigrierte Wolff – mittlerweile Mutter zweier Kinder -, in die Schweiz, wo ihre Bücher bei einem Ableger des Zsolnay Verlages publiziert wurden. Im Sommer 1933 wurde Wolff das Angebot von der Neuen Zürcher Zeitung unterbreitet, dort "Die Welt ist blau" zu veröffentlichen. Für sechs Jahre war die Schweiz ihr Zuhause, bis sie 1939 - nachdem sie aufgrund ihrer "illegalen" journalistischen Tätigkeit denunziert wurde -, über einige Umwege in die USA emigrierte, wo sie 1992 starb.
AVIVA-Tipp: Die Stärke des Romans liegt in den subtilen Anspielungen und - frau kann es nicht anders nennen –, in der Zerpflückung der Sprache. Victoria Wolff betreibt häufig Wortspiele und beleuchtet die scheinbar größten Nebensächlichkeiten mit einer subtilen Raffinesse, so dass viele der scheinbar einfachen Sätze zweimal gelesen werden müssen, um den tieferen Sinn zu erkennen. Die zarte und vor allem von Eifersucht geprägte Liebesgeschichte zwischen Ursula und Peter ist eigentlich nebensächlich, denn es kommt auf die Dinge zwischen den Zeilen an. Ein zeithistorischer Roman, der die Aura Asconas der dreißiger Jahre einfängt und noch nichts von dem Grauen der kommenden Diktatur erahnen lässt.
Zur Autorin: Victoria Wolff wurde 1903 als Tochter eines jüdischen Lederfabrikanten in Heilbronn geboren. Sie verfasste Reportagen und Reiseerzählungen für renommierte Zeitungen und Zeitschriften, bereiste als Reporterin halb Europa und das revolutionäre Russland. 1932 veröffentlichte sie einen biographischen Roman über George Sand, weitere Romane über die Lebenswelten moderner Frauen folgten. 1933 emigrierte sie mit ihren Kindern aus Deutschland und ließ sich im Künstlerort Ascona nieder, wo sie sich mit Tilla Durieux, Leonhard Frank, Erich Maria Remarque und Ignazio Silone anfreundete. Sie veröffentlichte nun vor allem in der Schweiz, musste das Land jedoch 1939 wegen ihrer illegalen schriftstellerischen Tätigkeit verlassen. Über Nizza und Lissabon gelangte sie 1941 in die USA, wo sie als Drehbuchautorin für Hollywood arbeite. 1992 starb sie in Los Angeles. (Quelle: Verlagsinformationen)
Victoria Wolff
Die Welt ist blau
Nachwort von Anke Heimberg
AvivA Verlag, erschienen Mai 2017
224 Seiten
Broschur, mit historischen SW-Photographien
ISBN 978-3-932338-89-7
15,00 Euro
www.aviva-verlag.de
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