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Beitrag vom 19.03.2008
Corinna Waffender – Laut gedacht
Silvy Pommerenke
Wieder einmal geht es der Autorin um Freiheit. Aber: Freiheit ist immer die der anders Denkenden. Somit brechen sich auch in diesem Roman unwillkürlich die Probleme Bahn, die dadurch entstehen...
...dass sich jemand Freiraum nimmt, dadurch aber jemand anderes beschneidet.
Corinna Waffenders Romane zeichnen sich durch schwierige Beziehungskonstellationen aus, die scheinbar immer nur VerliererInnen zurück lassen. Genau das ist es aber, was ihre Geschichten lebendig hält, weil sie so nah an der Realität sind. Verdammt nah! Nicht, dass es auch glückliche Beziehungen gäbe, zufriedene Menschen oder intakte soziale Strukturen. Gerade aus der Literatur sind solche Fallbeispiele bekannt. Aber das, was die Autorin mit ihren Romanen beschreibt, ist der unerbittliche Blick auf das reale Leben. Manchmal tut es weh, darüber zu lesen. Manchmal fühlt man sich befreit, weil man andere Beziehungskonstellationen gefunden hat und nichts mit den Romanfiguren zu tun hat. Manchmal erkennt man sich allerdings selbst oder Menschen aus dem eigenen nahen Umkreis in den ProtagonistInnen Waffenders wieder. Somit ist – in welchem Fall auch immer – eine langanhaltende Wirkung Waffenders Schreiben im eigenen (Er-)Leben spürbar.
Zum Plot
Insgesamt drei Paare, eine Single-Frau und eine Mutter kämpfen in "Laut gedacht" um Anerkennung, Liebe, Versprechungen und Treue. Gleichzeitig kämpfen alle aber auch um Selbsterhalt, gegen vergangene Traumen und Schuldigkeiten und vor allem eine von ihnen um Freiheit. Dabei werden die großen Fragen (zumeist in inneren Monologen) diskutiert, was genau denn nun Liebe sei, wie man mit jemand anderem eine Beziehung eingehen kann, ohne sich dabei selbst zu verlieren, und ob eine wohlbezahlte Festanstellung nicht doch so ihre Vorzüge gegenüber der schlechtbezahlten freiberuflichen Tätigkeit mit sich bringt.
Da gibt es auf den ersten Blick das Traumpaar Sascha und Julia. Beide Frauen sind bestens ausgebildet, extrem gut bezahlt in ihrem Job und seit elf Jahren in einer Beziehung miteinander verbunden. Der zweite Blick enthüllt aber, dass Julia unter der Bedingung Saschas, eine offene Beziehung zu führen, extrem leidet. Sie nimmt sich nicht die Freiheiten, die sich die andere als unabdingbare Selbstverständlichkeit zuspricht. Plötzlich taucht Hannah auf, eine mittellose Musikerin, bis gestern noch mit Bert zusammen, und die neuerdings (oder irgendwie immer schon?!) auf Frauen steht. Sie verlässt den gutverdienenden Zahnarzt, der unter ihrem Weggang fast zusammen bricht, weil erst sie ihm die Konturen seines Lebens gezeigt hat. In dieser Zeit lernt Bert Yves kennen, in dem er seinen vermeintlichen Konkurrenten Sascha sieht, der allerdings etwas später seine homosexuellen Neigungen subtil zum Vorschein bringt. Und dann gibt es da noch die Halbschwester Julias, Silke, die so einige Rechnungen mit ihrer erfolgreichen und fremden Schwester offen hat. Als die beiden aufeinander treffen, um über einen Heimplatz der demenzkranken gemeinsamen Mutter zu diskutieren, eröffnen sich plötzlich ganz neue Aspekte von Liebe ...
Corinna Waffenders Sprache ist sachlich und nüchtern instrumentalisiert und passt sich darin ganz den Romanfiguren an, die oftmals an ihren eigenen Gefühlen scheitern. Deswegen fallen wahrscheinlich auch die zwischenzeitlich eingefügten metaphorischen Bilder der Autorin um so mehr ins Gewicht, die den Raum weit öffnen, um dem Romangeschehen hinterherzufühlen. Die Psychologisierung ihrer Figuren gelingt der Autorin aufs Hervorragendste, denn jede/r der ProtagonistInnen entwickelt ein glaubwürdiges Eigenleben, erweckt Betroffenheit oder sogar Einverständnis bei der LeserIn, und letztendlich bleibt vor allem eines beim Lesen: Empathie mit jeder dieser einzelnen Figuren!
Zur Autorin: 1964 geboren in Mainz, 1970 - 1985 Lehrjahre in Rheinhessen, 1986 - 1990 Wanderjahre als DaF-Dozentin und Texterin in Andalusien, 1991 - 1992 Ausbildung zur Übersetzerin in Münster, 1992 - 2000 Studium der Hispanistik und Sozialwissenschaften in Berlin. Seit 2001 lebt Corinna Waffender als Schriftstellerin und Ausdenkerin in Berlin. Veröffentlichung von Prosa und Lyrik seit 1985 in zahlreichen Anthologien verschiedener deutschsprachiger Verlage. (Quelle: Verlagsinformationen)
Weiterlesen: Corinna Waffender - Flüchtig bleiben und Regina Nössler –Dienstagsgefühle
AVIVA-Tipp: Liebe tut weh und kennt keine GewinnerInnen. Dies ist erneut die Aussage von Corinna Waffenders jüngstem Roman. Die Autorin schafft es spielerisch, diese Fiktion – oder Tatsache? – in "Laut gedacht" einzuschreiben, ohne, dass die LeserIn das Gefühl haben müsste, aus Beklemmung das Buch zur Seite zu legen. Im Gegenteil: Fesselnd von der ersten Seite an, werden die Psychologien der Figuren en detail wiedergegeben und lassen dennoch viel Spielraum zum Ausdeuten übrig. Großartig!
Corinna Waffender
Laut gedacht
Querverlag, März 2008
Broschiert, 204 Seiten
ISBN: 3896561529
14,90 Euro