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Beitrag vom 16.12.2007
Antje Rávic Strubel – Vom Dorf
Silvy Pommerenke
Ich schreibe, also bin ich! So scheint es dem vermeintlichen Ghostwriter Antje Rávic Strubels gegangen zu sein, der ausschließlich seine Daseinsberechtigung über das Medium der Lettern,...
...in diesem konkreten Fall durch die Phantasie ARS, erhält. So nennt jedenfalls der Stalker die von ihm Angebetete und versucht sich ihrer Sprache, ihrer Gedanken, ihres Schreibstils anzunehmen. Ob das gelingt?
Das Vexierspiel, das Antje Rávic Strubel in ihrem neuesten Roman betreibt, der schlicht mit "Abenteuergeschichten zum Fest" betitelt ist, dürfte vor allem die literaturwissenschaftlich (vor-)gebildete Leserin zum Vergnügen reizen - die dafür um so mehr! Was Strubel hier versucht, ist nichts weniger, als die Vision auszuleben, wie es wohl wäre, wenn man sich selbst begegnete. Die Autorin tut dies, indem sie einen scheinbaren Stalker - respektive Nachahmer ihrer Selbst – einen Text schreiben lässt. Eigentlich sollte es "ihr" Buch sein, denn dieser Jemand ist so dreist, im Namen Strubels, ihrem Hausverlag ein Manuskript anzubieten. Von ihm geschrieben, durch sie transportiert. Wie soll sie als Autorin damit umgehen? Sie erweist sich in dieser Frage als souverän, spricht mit ihrem Verlag das Problem an, und beide Seiten kommen gemeinsam zu dem Ergebnis: "Wir veröffentlichen es trotzdem!"
Amüsant ist dies, doch neu deswegen noch lange nicht. Man merkt der Autorin ihr literaturwissenschaftliches Studium und ihre Faszination für Paul Auster an, denn die Idee, dass sich ein Fremder der eigenen Feder bedient, ist sozusagen in der Literatur Geschichte. E.T.A. Hoffmann hat sich schon früh der Autonomie seiner Figuren unterordnen müssen, Paul Auster ist einer der zeitgenössischen Autoren, der das Spiel von Fiktion und Nonfiktion perfekt bis aufs verstörendste beherrscht, und dessen Romanfiguren ebenfalls ihm, dem Autor, die Feder aus der Hand reißen.
Da kann man eigentlich nur sagen, dass das SchriftstellerInnendasein ein gefährliches ist, wenn sich Stalker, Ghostwriter oder auch das Alter Ego des eigenen Griffels annehmen.
Kurzgefasst ist der Inhalt der "Abenteuergeschichten zum Fest" so zu beschreiben, dass die (erdachte?) Protagonistin ihrer Familie jedes Jahr aufs Neue Weihnachtsgeschichten schreiben muss. Dies tut sie, indem sie auf die Hilfe ihrer älteren Freundin vom Dorf - die bisweilen in einem herrlichen Berlinerischen Dialekt wiedergegeben wird – zurückgreift. Diese hilft ihr immer wieder, ihre Weihnachtsgeschichten, egal welchen Inhalts, zu einem runden Schluss zu bringen. Das führt allerdings manches Mal zu solch absurden Situationen, dass die Freundin unsichtbar ist, im Schneegestöber von orange-farbenen Kräften auf einem LKW verschleppt wird, oder bei einer Geiselnahme im Berliner Fernsehturm einem Mann (ARS Stalker?!) in die Hände, respektive in die Psyche fällt...
Die Leserin ist oftmals verwirrt darüber, was denn nun welcher Feder entspringt, was Realität sein soll, oder was Fiktion ist. Und genau das macht dieses Buch so überaus lesenswert, denn Banalitäten und Schöngeistiges kann man alle Tage lang lesen. Das Besondere jedoch wartet in diesem – weder mit Roman noch mit Erzählung betitelten - Schriftstück auf, das die Leserin rein auf die Sprache und die Phantasiekunst der Autorin, oder auch die des Ghostwriters, zurückgeworfen wird.
Zur Autorin: 1974 in Potsdam geboren, machte Antje Rávic Strubel erst eine Lehre zur Buchhändlerin um anschließend Amerikanistik, Psychologie und Literaturwissenschaften zu studieren. Neben diversen erhaltenen Auszeichnungen und Stipendien arbeitet sie als Autorin, Journalistin, Übersetzerin und Gastdozentin. Von ihr sind unter anderem die Romane "Offene Blende", "Unter Schnee", "Fremd gehen" und "Kältere Schichten der Luft" erschienen, für den sie im November 2007 den Hermann-Hesse-Preis erhielt.
Antje Rávic Strubel im Netz: www.antjestrubel.de
Weiterlesen: Corinna Waffender und Antje Wagner
AVIVA-Tipp: Antje Rávic Strubel hat erneut den Spagat zwischen Fiktion und Nonfiktion brillant geschaffen, ohne die LeserIn mit diesem sprachlichen Experiment zu langweilen oder gar zu überfordern. Im Gegenteil: Der Text macht Lust auf Weihnachten (so das geht), Spaß auf`s Weiterlesen (das geht in jedem Fall) und die Freude auf weitere Strubel'sche Lektüre (das gehört dann unbedingt zum Pflichtprogramm).
Antje Rávic Strubel
Vom Dorf
dtv Premium, November 2007
Broschiert, 200 Seiten
ISBN: 3423246224
12,00 Euro