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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 23.08.2013


Cibelle - Unbinding
Judith Wolff

Sie ist und bleibt unfassbar. Auch auf ihrem neuen Album beweist sich die brasilianische Künstlerin als Formwandlerin. Mit elektronischen Klangschichten und vokalen Verzerrungen widmet sich die...




... Meisterin der Selbsterfindung antreibend-meditativ der Ruhe in der stetigen Veränderung.

Cibelles Arbeiten ließen sich noch nie von Genres und musikalischen Schubladendenken begrenzen. Wir können also ganz entspannt bleiben: Dass die in London lebende Chamäleonita sich mit in ihrem neuesten Werk mehr als jemals zuvor der elektronischen Musik zuwendet, heißt nicht, dass uns hier vereinfachte Rhythmen eingebasst werden, die so gut wie geschmacksneutral sind. Mit dem versierten technischen Können und musikalischen Feingefühl des in Brighton arbeitenden Produzenten Klose stellt Cibelle vielmehr ihrem konzeptuellen Anliegen das passende Hörerlebnis zur Seite.

Mit dem Titel "Unbinding" formuliert Cibelle das, was sie bei den HörerInnen evozieren möchte: Loslassen und dabei zu sich selbst finden. Ziemlich einleuchtend ist die Entwicklung zu diesem lebensphilosophischen Ansatz, der das Album leitet. An ihren verschiedenen inszenierten Selbstbildern blieb Cibelle nie zu sehr verhaftet – genausowenig wie an ihren brasilianischen Wurzeln oder ihrer Wahlheimat London. Immer ließ sie mit phantasievollen Spielereien und Umbrüchen neue Facetten aufblitzen. Anstatt sich wie noch in ihrem letzten Album "Las Vênus Resort Palace Hotel" Kunstfiguren wie ihrem Alter Ego Sonja Khalecallon zu bedienen, scheint sich Cibelle nun in "Unbinding" vollständig zu transzendieren. Sie möchte mit ihrer Musik zum Vehikel werden, das uns auf eine innere Reise schickt. Auf dieser sollen wir die Ruhe und Konstanz entdecken und lieben lernen, die sich durch die alltägliche Veränderungen und das persönliche Auf-und-Ab zieht. Unser Leben, so Cibelle, beruhe immer auf zwischenmenschlichen Wahrnehmungen, Reaktionen und Gegenreaktionen. Wohin die Reise am Ende führt? Ganz klar:

"To the place where we are all one."

Und weil wir Cibelles Ansicht nach ein All-Eins sind, schickt sich die Künstlerin raffiniert dazu an, so viele Grunderfahrungen wie möglich zu verkörpern, ohne dabei in das Konkrete zu verfallen, das es ja zu übersteigen gilt. Nach Covern, Gastauftritten anderer KünstlerInnen oder Hinweisen auf die brasilianische Herkunft der Sängerin, die bei ihren vorigen Arbeiten noch zu finden waren, suchen die HörerInnen vergeblich. Stattdessen tritt ihnen keine einzelne Sängerin entgegen, sondern ein polyphones Wesen, dessen verschiedene Stimmen aus allen erdenklichen Ecken des menschlichen Universums zu stammen scheinen.

"All you have to do is to let go. Then you know the truth."

Cibelle nutzt ihre Stimme in atemberaubender Weise als Instrument. Sie schwingt sich verlockend und soulig ins Divenhafte, dann wieder ins Distanzierte oder in eine an Beth Gibbons erinnernde Strangeness. Sie haucht, flüstert, jauchzt, spricht und quietscht. Cibelle nähert sich an und zieht sich blitzschnell wieder zurück. Ihre Stimme transformiert sich in Rhythmus, wird von Klose gepicht, verzögert, geloopt und in Schichten übereinandergelegt. So entsteht ein weiter Klangraum mit gestapelten ineinander verschränkte Tonspuren und -schichten, in dem sich die Grenzen zwischen Klang und Wort tatsächlich aufzulösen scheinen.

Selbstentgrenzung im Flow

Es ist ein wahres Kunststück, dass bei diesen experimentellen Ausschweifungen der Körper beim Hören trotzdem ganz ungewollt in Bewegung gerät. "Dance music brings people together, to unbind means to let go. Let go of division: on the dancefloor and on the street, we move as one." Im Flow der Dance- und Houseklänge - die manchmal dunkel und tief, dann wieder leicht und fließend sind - und mit einem Kribbeln in der Stirn entsteht eine meditative Bewegung. An Modeselektor lässt sich dabei ebenso denken wie an Caribou, an eine einsame Autofahrt durch die sternenklare Nacht, genauso wie an das ekstatische Aufgehen in einer tanzenden Masse.

AVIVA-Tipp: Wieder einmal beweist Cibelle ihre Transformationsfähigkeit und erschafft dabei eine musikalische Perle. Ihr und dem Produzenten Klose gelingt es, die sie und uns alle bestimmenden Gegensätze von Veränderung und Konstanz, Stille und Ekstase musikalisch erlebbar zu machen.

Cibelle
Unbinding
Label: Crammed Disks
Vertrieb: Indigo (CD), PIAS (digital)
VÖ: 30. September 2013


Mehr Infos:

Video zu "Breathin" auf youtube

www.cibelle.net

www.cibelle.tumblr.com

Cibelle bei "Crammed Disks"


Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Cibelle - Las Vênus Resort Palace Hotel

Cibelle - The Shine Of Dried Electric Leaves





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Beitrag vom 23.08.2013

AVIVA-Redaktion