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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 03.08.2010


Distanz - Ein Film von Thomas Sieben
Elina Ioschpa

Daniel verübt immer wieder unvermittelte Gewaltakte und lebt sonst ein einsames, monotones Leben. Die Liebe zu Jana stellt seinen gewohnten Lebensrhythmus auf den Kopf. Doch kann Jana seine Sucht..




... nach Gewalt heilen?

Daniel ist Gärtner. Im Botanischen Garten fegt er welke Blätter zusammen, bepflanzt leere Beete und bewässert austrocknende Blumen. Die Anfeindungen seiner Kollegen lässt er über sich ergehen und meidet die Konfrontation. Deren Herabwürdigungen bringen ihn nicht aus der Ruhe. Ungerührt tritt Daniel seinen Feierabend an. Auf dem Weg nach Hause bleibt er auf einer Autobahnbrücke stehen, holt aus seiner Tasche einen Stein und wirft ihn auf ein vorbeifahrendes Auto. Das Geräusch der zerbrechenden Frontscheibe, das Reifenquietschen und ein lauter Knall lösen auf seinem Gesicht keine Regung aus. Er rennt nicht weg, schaut sich nicht ängstlich um, langsam geht er nach Hause. Dort sitzt er vor einer weißen Raufasertapete auf dem Sofa, das Licht des Fernsehers flackert auf seinem Gesicht. Daniel sieht fern, wie jeden Abend.

Morgens klingelt der Wecker, er steht auf und bereitet sein Frühstück vor. Im Hintergrund läuft das Radio. Die Stimme des Nachrichtensprechers meldet, dass ein unbekannter Täter einen 3 Kilogramm schweren Stein von einer Autobahnbrücke warf und damit zwei Menschen tötete. Daniel trinkt gleichmütig seinen Apfelsaft und beißt in eine Scheibe Brot, die mit Käse belegt ist. Unbeschwert wäscht er sein Glas ab und geht arbeiten.

Aus seinem einsamen Alltag wird er herausgerissen, als er Jana trifft. Mit warmherziger Beharrlichkeit versucht sie alles, um Daniel näher zu kommen. Nachdem er sie in einer Kneipe einfach sitzen lässt und aus seiner Wohnung wirft, erkennt er schließlich, dass er sich doch zu ihr hingezogen fühlt.

Doch die Liebe zu Jana hält ihn nicht davon ab, noch mehr Menschen zu töten. Die Morde begeht er nicht aus Rache, auch nicht aus Wut. Der Zufall entscheidet über sein nächstes Opfer. Ihn verbindet nichts mit den Menschen, die er tötet. Zufällig joggen sie ihm vor das Gewehr, oder fahren unter einer Autobahnbrücke, auf der Daniel mit einem Stein steht. Seine Mordlust ist willkürlich. Neugierig wie ein Kind betrachtet Daniel die Schusswunde des toten Joggers, er ist nicht geschockt von seiner Tat, spürt keine Reue, keine Emotion.
Nur Jana löst etwas in ihm aus. Er schenkt ihr Blumen, sie sitzen lachend am See, er lässt sie in seine Welt und in seine Wohnung einziehen.

Als die Polizei vor der Tür steht und nach Daniel fragt, kommen bei Jana Zweifel auf. Hat Daniel etwas mit den Morden zu tun, über die in den Medien berichtet wird? Dieser Gedanke lässt sie nicht mehr los, sie sucht in Schubladen, Schränken und findet in einem Umzugskarton Daniels Tagebuch. Schwarz auf weiß liest sie seine Bekenntnisse. Der Schock sitzt tief, dennoch will sie ihn nicht verlassen, sie hofft, dass ihre Liebe ihn vom Morden abhalten kann. Doch kann Janas bedingungslose Zuneigung Daniel ändern?

Objektiv und mit einem distanzierten Blick inszeniert der Regisseur Thomas Sieben Daniels kaltblütige Gewalttaten. Er gibt keine Antworten, die Daniels Verhalten erklären. Stattdessen zeigt er eindringliche Bilder, mit denen er die ZuschauerInnen berührt und verstört.

Beim internationalen Filmfest Oldenburg 2009 wurde "Distanz" mit dem German Independence Award als bester deutscher Film ausgezeichnet. In der Jurybegründung hieß es: "´Distanz´ überzeugt mit intensivem Spiel und einer eindringlichen Kameraführung. Es ist ein Film ohne Verachtung, sondern mit viel Menschlichkeit, der kontrastiv zwischen Liebesgeschichte und Gewalt eine unvorhersehbare Geschichte erzählt. Ihm gelingt das schwierige Kunststück, Empathie für einen Soziopathen aufzubringen."

Zum Regisseur: Thomas Sieben (geboren 1976 in Köln) studierte Politologie an der Ludwig-Wilhelm Universität zu Münster. Am Massachusetts College of Art in Boston, USA studierte er von 1998 bis 1999 Film- und Fotografie. Von 1999 bis 2001 arbeitete er als Producer und Redakteur bei mehreren Produktionsfirmen in München. Thomas Sieben lebt und arbeitet als freier Journalist, Drehbuchautor und Regisseur in Berlin. (Quelle: Av Visionen Filmverleih)

AVIVA-Tipp: In langsam aufeinander folgenden Szenen zeigt Thomas Sieben den einsamen Alltag eines Außenseiters. Die wunderschönen poetischen Bilder, die Daniel beim Fernsehen, Schlafen und Aufwachen zeigen, stilisieren ihn zu einem einsamen Helden. In der Rolle des wortkargen Soziopathen überzeugt Ken Duken voll und ganz. Bemerkenswert ist auch die große Hingabe, mit der Franziska Weisz die sanfte und bedingungslos liebende Jana spielt. Für sie wünscht man sich bis zum Schluss ein Happy End. Der schauspielerischen Glanzleistung von Weisz und Duken ist es zu verdanken, dass der Film von der ersten bis zur letzten Minute spannend bleibt. Nach diesem Film steht fest, Ken Duken ist der neue Kevin Bacon des deutschen Kinos.

Distanz
Deutschland 2008
Buch und Regie: Thomas Sieben
DarstellerInnen: Ken Duken, Franziska Weisz, Josef Heynert, u.a.
Kostüm: Stefanie Millat
Verleih: Av Visionen Filmverleih
Lauflänge: 82 Minuten
Kinostart: 19. August 2010
Weitere Informationen finden Sie unter: www.distanz-film.com

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Beitrag vom 03.08.2010

AVIVA-Redaktion