Licht. Ein Film von Barbara Albert mit Maria Dragus. Kinostart 1. Februar 2018 - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kultur



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 23.01.2018


Licht. Ein Film von Barbara Albert mit Maria Dragus. Kinostart 1. Februar 2018
Helga Egetenmeier

Maria Theresia Paradis, eine heute kaum noch bekannte, blinde Pianistin, Komponistin, Sängerin und Musikpädagogin im Wien von Kaiserin Maria Theresia, erhält als 18-Jährige ihr Augenlicht beinahe wieder. Frei nach dem Debütroman "Am Anfang war die Nacht Musik" von Alissa Walser porträtiert…




... die Filmemacherin Barbara Albert ("Die Lebenden") diese kurze Zeit im Leben von Maria Theresia Paradis, in der sie 1777 Patientin des umstrittenen "Wunderdoktors" Franz Anton Mesmer war.

Im Gegensatz zum Buch nimmt der Film die junge Pianistin in den Mittelpunkt und zeigt sie im sozialen Gefüge einer Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, die durch Standesdünkel geprägt ist. Maria Theresia von Paradis wurde am 15. Mai 1759 in Wien geboren und erblindete im Alter von drei Jahren. Von ihren ehrgeizigen Eltern erhielt sie bereits in jungen Jahren eine überdurchschnittlich gute Musikausbildung und galt als musikalisches Wunderkind.

Nachdem bereits einige Ärzte vergeblich versucht hatten, ihr das Augenlicht zurückzugeben, gelingt dies dem Arzt Franz Anton Mesmer (Devid Striesow) mit seinem ganzheitlichen Ansatz für eine kurze Zeit. Maria Dragus, bekannt aus "Das weiße Band" und "Tiger Girl", spielt die Künstlerin als leidenschaftlich in ihrer Musik aufgehende, wie auch selbstbewusste junge Frau, die die zwanglose Behandlungsmethode als eine Befreiung von ihren fordernden Eltern genießt.

Beachtlich differenziert geht der Film auf das soziale Gefüge der Frauen rund um die Künstlerin ein. Als wichtige Förderin spielt die zu dieser Zeit regierende Kaiserin Maria Theresia eine Rolle im Hintergrund, da sie Paradis mit einer jährlichen Pension unterstützt. Auch aus finanziellen Gründen bedeutend ist die reiche Witwe Maria Anna von Posch, nun verheiratet mit dem Arzt Mesmer, da sie ihm seine Praxis einrichtete.

Im Haushalt des Ehepaares Mesmer trifft die Patientin auf die, meist weiblichen, Bediensteten. Hier zeigt sich an der Abhängigkeit einer Blinden von den Sehenden die Beschränktheit von Klassenunterschieden. Angewiesen auf die lebenslustige Zofe Agnes, befreunden sich die beiden Frauen trotz einer anfänglichen Auseinandersetzung um ein Kleid, das die Sehende der Blinden versucht zu entwenden, und erfahren eine kurze Zeit unbeschwerter Freundschaft. Anhand von Agnes´ Schicksal einer abhängig Beschäftigten, verweist der Film auch an die Dringlichkeit der #MeToo-Debatte, da sie, schwanger nach der Vergewaltigung durch einen hochrangigen Gast, ihren Job verliert.

Maria Theresia Paradis, europaweit bekannt zur Zeit der Wiener Klassik

Weltbekannt aus der Zeit der Wiener Klassik (1770 - 1830) sind bis heute männliche Musiker und Komponisten wie Mozart, Beethoven, Schubert und Haydn. Am Beispiel von Maria Theresia Paradis zeigt sich - wie dies 100 Jahre später auch bei der vielseitig begabten Tänzerin Loie Fuller geschah - dass in einer patriarchal orientierten Geschichtsschreibung weibliche Künstlerinnen in der öffentlichen Wahrnehmung verloren gehen. Damit stehen sie auch nicht als Vorbild zur Verfügung, so dass es Musikerinnen und Komponistinnen wie Barbara Heller schwer haben, sich selbstbewusst "Komponistin" zu nennen, wie diese es in dem Dokumentarfilm "Unterwegs in der Musik" aus dem Jahr 2016 für sich ausführt.

Maria Theresia Paradis brach 1783, von ihrer Mutter begleitet, zu einer dreijährigen Konzertreise durch Europa auf. Während ihres Aufenthaltes in Paris lernte sie Valentin Haüy kennen und gab ihm den Anstoß, 1784 die erste Erziehungs- und Unterrichtsanstalt für Blinde zu gründen. Er gilt heute weltweit als Gründer der Blindenschulen und Blindenbildung. Nach ihrer Rückkehr nach Wien widmete Paradis sich verstärkt dem Komponieren und setzte sich nachdrücklich für die Erziehung und Bildung von Blinden ein. Dazu gründete sie 1808 in Wien eine Musikschule für sehende und blinde Mädchen, die auch gelegentlich Jungen aufnahm.
Am 1. Februar 1824 starb Maria Theresia von Paradis im Alter von vierundsechzig Jahren.

AVIVA-Tipp: Damals gefeiert und heute vergessen, zeigt dieser Ausschnitt aus dem Leben der Maria Theresia Paradis eine selbstbewusste Künstlerin während der Zeit der Wiener Klassik. Maria Dragus fasziniert in der Rolle der Paradis zwischen blindem Genie und unsicherer junger Frau. Ernsthaft und zugleich humorvoll inszeniert, beeindruckt dieser Historienfilm auch mit seinem durchgängig weiblichen Blick.

Nominierungen
Offizielle Auswahl, Toronto International Film Festival
14-fache Nominierung für den österreichischen Filmpreis 2018

Regie: Barbara Albert, geboren 1970 in Wien, studierte Regie und Drehbuch an der Wiener Filmakademie. Bei den Filmfestspielen in Venedig wurde 1999 ihr erster Langspielfilm "Nordrand" im Wettbewerb gezeigt, neben weiteren Filmen, drehte sie 2003 "Böse Zellen" und 2012 "Die Lebenden". Seit 2010 lebt und arbeitet sie als Regisseurin, Drehbuchautorin, Produzentin, Dramaturgin sowie als Dozentin an Hochschulen in Österreich und Deutschland. Sie ist Gründungsmitglied der Akademie des Österreichischen Films, erhielt 2012 den Österreichischen Kunstpreis für Film und ist seit 2013 Professorin für Spielfilmregie, sowie Vizepräsidentin an der Filmuniversität "Konrad Wolf" in Potsdam-Babelsberg.

Drehbuch: Kathrin Resetarits, geboren 1973 in Wien, studierte Theaterwissenschaften, Philosophie und Publizistik in Wien und absolvierte ein Regie-Studium bei Wolfgang Glück an der Filmakademie Wien. Als Tochter des Kabarettisten Lukas Resetarits wirkte sie als Co-Autorin bei den Stücken ihres Vaters mit und ist seit 2001 künstlerische Assistentin bei Michael Haneke. Unter anderem an der Filmakademie Wien unterrichtet sie seit 2011 Buch und Dramaturgie.

Hauptdarstellerin: Maria Dragus, geboren 1994 in Galati, studierte Ballett an der Palucca Schule in Dresden und bekam nach kleineren Rollen 2010 den Deutschen Filmpreis als "Beste Nebendarstellerin" für ihre Leistung in Michael Hanekes Drama "Das weiße Band". Sie spielte 2011 in Andres Veiels "Wer wenn nicht wir", 2014 im ZDF-Dreiteiler "Tannbach" und war zuletzt 2017 auf der Berlinale mit "Tiger Girl" vertreten.

Romanvorlage: Alissa Walser, geboren 1961 in Friedrichshafen, studierte in New York und Wien Malerei und lebt seit 1987 als Übersetzerin und Schriftstellerin in Frankfurt am Main. Für ihre Erzählung "Geschenkt" erhielt sie 1992 den Ingeborg-Bachmann- und den Bettina-von-Armin-Preis und 2009 für ihre Übersetzung der Gedichte Sylvia Plaths den Paul-Scheerbart-Preis. Teilweise auf Dokumenten und Zeitzeugnissen beruhend, erschien 2010 ihr Roman "Am Anfang war die Nacht Musik", auf dem die Verfilmung basiert.

Maria Theresia Paradis (1759-1824), Pianistin, Organistin, Komponistin, Sängerin und Musikpädagogin, wurde in Wien geboren und erblindete im Alter von drei Jahren aus ungeklärter Ursache. In historischen Quellen ist die Rede von einer "Verkältung", von einem plötzlichen Schrecken bzw. "Nervenschlag", der zu einer dauerhaften Wahrnehmungs- bzw. Sehstörung geführt haben kann, oder von der falschen Behandlung einer Hauterkrankung. Bevor sie 1777 von dem Arzt Franz Anton Mesmer behandelt wurde, hatte sie schon einige, teils sehr schmerzhafte und erfolglose, Heilversuche hinter sich. Trotz ihrer Blindheit wurde sie ab 1766 als Musikerin ausgebildet, galt in der Zeit der Wiener Klassik, bewundert von Haydn, Mozart und Salieri, als "Wunderkind", absolvierte ab 1783 eine dreijährige erfolgreiche Konzertreise durch Europa und erhielt eine jährliche "Gnadenpension", initiiert von Kaiserin Maria Theresia. 1808 gründete sie das "Institut für musikalische Erziehung", insbesondere für blinde Kinder, sie gilt als "Pionierin der Blindenbildung".

Licht
Internationaler Titel: Mademoiselle Paradis
Österreich, Deutschland 2017
Regie: Barbara Albert
Drehbuch: Kathrin Resetarits (frei nach einem Roman von Alissa Walser)
Kamera: Christine A. Maier
Schnitt: Niki Mossböck
DarstellerInnen: Maria Dragus, Devid Striesow, Maresi Riegner, u.a.
Verleih: farbfilm verleih
Lauflänge: 97 Minuten
Kinostart: 01.02.2018
Mehr Infos und der Trailer unter:
www.lichtderfilm.de und auf Facebook: www.facebook.com/Licht.derFilm

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin

Elisabeth Badinter - Maria Theresia. Die Macht der Frau
Zeitgleich zu Maria Theresias 300. Geburtstag erscheint in Deutschland diese eigenwillige Biographie einer eigenwilligen Frau, das unter dem Originaltitel "Marie-Thérèse, le pouvoir au féminin" schon 2016 in Frankreich veröffentlicht wurde. Auslöser für die feministische Biographin Elisabeth Badinter, diese Biographie zu schreiben, war, dass sie sich ursprünglich mit ihrer Tochter, Marie-Antoinette, beschäftigte. (2017)

Unterwegs in der Musik. Die Komponistin Barbara Heller - Ein Dokumentarfilm von Lilo Mangelsdorff.
Ob Klassik oder Pop, weibliche MusikerInnen und KomponistInnen sind in der öffentlichen Wahrnehmung wenig präsent. Das facettenreiche Arbeitsleben von Barbara Heller, Mitbegründerin des "Arbeitskreises Frau und Musik", ist ebenfalls davon geprägt, wie diese persönlich gehaltene Dokumentation mit einem weiten Blick auf ihren kreativen Schaffensprozess, zeigt. (2016)

Die Tänzerin. Regie Stéphanie die Giusto
Loie Fuller, die heute vergessene Popikone der Belle Époque, verzauberte durch ihren revolutionären Tanzstil das damalige Publikum. In der Hauptrolle hervorragend besetzt mit Soko, der französischen Schauspielerin und Sängerin, hat Stéphanie di Giusto ein markantes und emotionales Biopic über das Leben dieser faszinierenden Frau geschaffen und dabei bewusst eigene Akzente gesetzt. (2016)

Brigitte Beier und Karina Schmidt - Hier spielt die Musik. Tonangebende Frauen in der Klassikszene
Sie spielen Schlagzeug oder Harfe, Kontrabass oder Geige, interpretieren Minimal-Musik oder Johann Sebastian Bach, stehen noch am Anfang ihrer Karriere oder sind alte Häsinnen. So unterschiedlich die Musikerinnen und deren Instrumente auch sein mögen, eins haben sie gemeinsam: Sie alle sind Frauen, die es geschafft haben, ihre Leidenschaft Musik zu ihrem Beruf zu machen. (2012)

Annette Kreutziger-Herr, Melanie Unseld - Lexikon Musik und Gender
Ein Wahnsinnsunterfangen ist das: Die beiden Herausgeberinnen wollen nicht weniger leisten, als "sowohl die Historie des Geschlechterdiskurses als auch der Musikgeschichte und Musikwissenschaft unter dem Aspekt "Gender" lexikalisch zusammenzufassen." (2010)

Annette Kreutziger-Herr und Katrin Losleben - History / Herstory: Alternative Musikgeschichten
Der wissenschaftliche Sammelband wirft mit seiner Neuinterpretation aus Genderperspektive ein frisches Bild auf die Musikgeschichte. (2009)


Weitere Informationen finden Sie unter:

www.sophie-drinker-institut.de
Das Sophie Drinker Institut für musikwissenschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung führt Maria Theresia Paradis unter "Europäische Instrumentalistinnen des 18. und 19. Jahrhunderts"

www.mugi.hfmt-hamburg.de
Musik und Gender im Internet
Neben einer Biographie von Maria Theresia Paradis bietet die Webseite ein Werkverzeichnis, eine ausführliche Literatur- und Quellenangabe, sowie eine Diskografie und Forschungshinweise.

www.archiv-frau-musik.de
Mit seinen ca. 25.000 Medieneinheiten ist das Archiv Frau und Musik das umfangreichste internationale Komponistinnen-Archiv weltweit. Neben Kompositionen und künstlerischen Nachlässen musikschaffender Frauen finden zahlreiche Tonträger veröffentlichter Werke, Mitschnitte von Rundfunksendungen oder private Aufnahmen von Konzerten im Archiv ihren festen Platz, sowie Video- und DVD-Aufzeichnungen.


Kultur

Beitrag vom 23.01.2018

Helga Egetenmeier