Miss Kiet´s Children. Kinostart 7.12.2017. Regie Petra Lataster-Czisch und Peter Lataster. Ausgezeichnet mit dem KINOKINO PUBLIKUMSPREIS DOK.fest MÃœNCHEN - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kultur



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 03.12.2017


Miss Kiet´s Children. Kinostart 7.12.2017. Regie Petra Lataster-Czisch und Peter Lataster. Ausgezeichnet mit dem KINOKINO PUBLIKUMSPREIS DOK.fest MÜNCHEN
Helga Egetenmeier

Miss Kiet bringt ihren Schulkindern nicht nur Rechnen und Schreiben bei, sondern auch gleich ihre neue, die niederländische Sprache. Für ein Jahr begleitete das renommierte Dokumentarfilmpaar Petra Lataster-Czisch und Peter Lataster die Schüler*innen der Willkommensklasse in einem kleinen holländischen Dorf und schuf damit einen klugen Beitrag zur aktuellen Flüchtlings- und Integrationsdebatte.




"In a primary school in a Dutch village Miss Kiet teaches a class of migrant children. Among them are refugees from war zones". Nach dieser kurzen Einblendung zu Beginn bleibt die Kamera nur noch Beobachterin. Kein weiterer Text und keine Stimme aus dem Off ordnet die Bilder ein, allein die Gespräche der Kinder untereinander und mit ihrer Lehrerin Miss Kiet liefern die inhaltliche Verortung.

Die Grundschullehrerin Kiet Engels ist eine Lehrerin, wie es sich Schüler*innen nur wünschen können. Sie bringt den Kindern nicht nur geduldig Schreiben und Rechnen bei, sondern auch soziale Verhaltensweisen und eine neue Sprache. Dabei bleibt sie einfühlsam und strukturierend und zeigt ihre Zuneigung für jede*n Einzelne*n.

Haya, Leanne und Jorj - Schulkinder und Flüchtlingskinder

Im Klassenzimmer sind die Zuschauer*innen durch den Blick der Kamera immer auf Augenhöhe mit den zwischen sechs und zehn Jahre alten Kindern. Verstärkt über den ruhigen Schnitt zwischen den langen Szenen wird so die Kinoleinwand zum Klassenraum. Darin konzentrieren sich die Filmemacher*innen auf die Porträts von drei Schüler*innen. Und so erhält Miss Kiet, die immer mit anwesend ist, nur eine Nebenrolle, die jedoch keinesfalls ihre Arbeit schmälert.

Langsam lernen die Zuschauer*innen die drei Kinder kennen und können wahrnehmen, wie sie sich unterscheiden. Da ist die durchsetzungsfähige Haya, die der neu hinzugekommenen jüngeren Leanne eigentlich helfen möchte und sie damit jedoch in ihrer Freiheit beschneidet. Und da ist der einsam und aggressiv wirkende Jorj, der seinem jüngeren Bruder kaum von der Seite weicht.

Hauptsächlich im Klassenzimmer, jedoch auch während der Pausen auf dem Hof, den Sportstunden und den Übungen für eine Aufführung zeigt die Dokumentation die Kinder in Interaktion und beim Spielen. Für Miss Kiet ist dabei der Pausenhof ein wichtiger Ort, an dem "ihre" Kinder die Dorfkinder treffen können. Dort bemüht sie sich, ihnen über die Sprachhürde hinweg zu helfen, damit sie sich trauen, Kontakt aufzunehmen.

Das Dokumentarfilm-Ehepaar Petra Lataster-Czisch und Peter Lataster

"Miss Kiet´s Children" erinnert an die beeindruckende dokumentarische Studie "Chamissos Schatten" von Ulrike Ottinger. Der Film trägt ebenfalls die Ruhe und Tiefe einer Langzeitbeobachtung, für das sich das Filmteam Petra Lataster-Czisch und Peter Lataster ein Schuljahr lang Zeit genommen hat. Fast zu kurz erscheint der Dokumentarfilm angesichts der übermäßigen Länge heutiger Blockbusterfilme, er hätte sich gern noch eine Stunde mehr Zeit nehmen dürfen.

Petra Lataster-Czisch und Peter Lataster arbeiten als Filmteam seit 1989 zusammen. Ihre seit 1991 fast jährlich realisierten Filme - lange und kurze Dokumentarfilme, sowie Tanzfilme - wurden mehrfach international prämiert. Zu den Aktuellen gehören "The Need to Dance" (2014), der die Arbeit und den schwierigen Weg des flämisch-marokkanischen Choreographen Sidi Larbi Cherkaoui zu einem weltweit bekannten Tänzer dokumentiert und der 2013 erschienene "Awake in a Bad Dream", der drei Frauen, die an Brustkrebs erkranken, begleitet. 2012 fokussierten sie sich in "WE" auf den Blick und dessen Bandbreite: wie ein Vater sein Neugeborenes anschaut bis zum abschätzenden Blick auf die Nase eines afrikanischen Menschen durch einen Weißen. "Jerome, Jerome" erschien 2011 als ein liebevolles, humanistisches Werk über einen autistischen und geistig behinderten Jungen, dessen Alltag der Film zwei Tage lang ohne Kommentar begleitet. Davor erstanden bereits zwölf weitere Dokumentationen des Filmpaares.

AVIVA-Tipp: "Miss Kiet´s Children" ist ein herausragend unaufgeregter und erkenntnisreicher Dokumentarfilm über die Möglichkeiten der Integration als Prozess, der nicht erzwingt und vereinnahmt, sondern versteht und vermittelt. Und auch ein Film für die Liebe zu den Kindern dieser Welt.

Auszeichnung
DOK München 2017: Publikumspreis

Zu dem Dokumentarfilmer*innenpaar Petra Lataster-Czisch und Peter Lataster
Die Autorin und Regisseurin Petra-Lataster-Czisch, geboren 1954 in Dessau und der Kameramann Peter Lataster, geboren 1955 in Amsterdam, bilden seit 1989 ein Filmteam.
2001 gründeten sie ihre Produktionsfirma Lataster-Films. 2012 würdigte sie das International Documentary Filmfestival Amsterdam mit einer Retrospektive und das Niederländische Institut für Bild und Ton brachte eine DVD-Box mit ihren sämtlichen Filmen heraus.
Petra Lataster-Czisch wuchs in der DDR auf, studierte Drehbuchschreiben und Filmwissenschaften und ging 1981 in die Niederlande. 1990 veröffentlichte sie eine Sammlung von Lebenserinnerungen unter dem Titel "Eigentlich rede ich nicht gern über mich - Lebenserinnerungen von Frauen aus dem Spanischen Bürgerkrieg 1936-1939". Über einen Zeitraum von 25 Jahren machte sie 20 Filme. 1994 gewann sie die Auszeichnung als Best Dutch Feature Documentary auf dem Nationalen Filmfestival für ihren ersten Film "Tales of a River" über die Veränderungen des Lebens der Menschen nach der Wende in ihrer Geburtsstadt Dessau.

"Miss Kiet´s Children" wurde mit dem KINOKINO PUBLIKUMSPREIS DOK.fest MÜNCHEN 2017 ausgezeichnet.

Mehr Infos unter: www.latasterfilms.nl

Miss Kiet´s Children
Originaltitel: De Kinderen van Juf Kiet
Niederlande 2016
Regie: Petra Lataster-Czisch und Peter Lataster
Kamera: Peter Lataster
Schnitt: Mario Steenbergen
Sprache: holländisch, arabisch, UT: deutsch
Verleih: déjà-vu film
Lauflänge: 114 Minuten
Kinostart: 07.12.2017
Mehr Infos unter: www.dejavu-film.de

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Beitrag vom 03.12.2017

Helga Egetenmeier